Kommentar zum Stahlkonzern: Thyssenkrupps Mitarbeiter sind zurecht sorgsam

Die erste Frage im Bewerbungsgespräch bei Thyssenkrupp ist nicht selten: „Wer aus der Familie arbeitet denn noch hier?“ Und häufig ist die Antwort: Großvater und Vater. Tradition und Verbundenheit mit dem Unternehmen sind Teil der Identität ganzer Regionen im Ruhrgebiet. Sie erklären, warum der Ton von Betriebsrat und der Gewerkschaft IG Metall so scharf ist im Kampf um die Zukunft der Stahlwerke und Arbeitsplätze.

Auch wenn der geplante Einstieg des tschechischen Investors Daniel Křetínský von langer Hand geplant ist, dürfte der Druck auf den Umbau der Stahlsparte nun nur zunehmen. Bislang gibt es allerdings noch wenig Konkretes, und das befeuert die Sorge der Beschäftigten – obwohl ihnen klar sein sollte, dass sich zwangsläufig einiges ändern muss.

Rund 13.000 der noch 27.000 Beschäftigten der Stahlsparte arbeiten in Duisburg, einer Stadt, die ohnehin vom Strukturwandel gebeutelt ist. Doch auch in den anderen Werken arbeiten viele Mitarbeiter seit Jahrzehnten, manche haben Zechenschließungen mitgemacht und stehen jetzt im nächsten Industriekonglomerat vor einer ungewissen Zukunft. Manche warnen vor einem „zweiten Rheinhausen“, wo vor mehr als 30 Jahren ein großer Arbeitskampf um ein Stahlwerk am Ende scheiterte.

Global ist Thyssenkrupp längst nicht mehr so bedeutend

Sicher ist, dass die Stahlproduktion reduziert werden soll und damit ein nicht näher definierter Abbau von Arbeitsplätzen einhergeht. Bis 2026 sind die Beschäftigten vor Werksschließungen und betriebsbedingten Kündigungen geschützt. Doch zwei Jahre gehen schnell rum, und mit dem neuen Investor könnte der nächste Restrukturierungsprozess in die Stahlsparte einziehen. In den vergangenen Jahren wurden in dem Industriekonzern schon Zehntausende Stellen abgebaut.

In der Stahlproduktion liegt der Ursprung von Thyssenkrupp aus Essen, das über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahrhunderten zu einem der bedeutenden Industriekonzerne der Welt geworden ist. Auch heute ist Thyssenkrupp noch mit Abstand der größte deutsche Stahlproduzent, selbst wenn dieser Geschäftsbereich dem Unternehmen immer wieder Sorgen bereitet und zig Restrukturierungen durchlaufen hat.

Global betrachtet ist Thyssenkrupp zudem längst nicht mehr so bedeutend, gleichwohl steht allein das Stahlwerk in Duisburg für 2,5 Prozent des CO2-Ausstoßes im Land. Das ist fast so viel wie alle Inlandsflüge zusammen – und illustriert die Bedeutung der Stahlindustrie nicht nur für eine Region, sondern auch für die Klimatransformation der Industrie in Deutschland.

Enormer Wasserstoffbedarf

Die grüne Umstrukturierung der Stahlproduktion steht vor der Tür: Alle Konzerne haben sich unwiderruflich auf den Weg dahin gemacht, ob Salzgitter, Arcelor Mittal, die Dillinger Hütte oder eben Thyssenkrupp. Der Umbau ihrer Hochöfen zu „Direktreduktionsanlagen“, in denen mittels Elektrolyse zuerst mit Gas und später Wasserstoff das Eisenerz geschmolzen wird, wird von Bund und Ländern stark gefördert.

Thyssenkrupp bekommt 2 Milliarden vom Bund und Nordrhein-Westfalen, solche Förderbescheide sollen den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft garantieren, die dann auch anderen Branchen zugutekommen. Der Bedarf ist enorm: Thyssenkrupp brauchte nur für sein Stahlwerk in Duisburg perspektivisch 720.000 Tonnen grünen Wasserstoff.

Der Umbau fällt in eine Zeit, in der die europäische Stahlindustrie unter Druck steht – durch hohe Energiepreise, sinkende Absatzmengen und die Sorge vor noch mehr günstigem Stahl, der aus China nach Europa kommen könnte. China ist der mit Abstand größte Stahlproduzent der Welt, mehr als 1 Milliarde Tonnen im Jahr werden dort hergestellt. Zum Vergleich: Deutschland, immerhin größter Produzent in der EU und global in den Top 10, kam 2023 laut Weltstahlverband auf rund 35 Millionen Tonnen Rohstahlerzeugung. In China dient der Stahl vor allem dem heimischen Verbrauch, doch könnten gerade die grün produzierten Mengen künftig für den Export genutzt werden.

Anders als in Deutschland stehen in China auch schon Direktreduktionsanlagen. Und selbst wenn China der größte CO2-Emittent der Welt ist und weiter Kohlekraftwerke baut, installiert es gleichzeitig mehr als doppelt so viel Anlagenkapazität für Solar und Windenergie im Jahr wie Deutschland und die USA zusammen.

Man muss nicht gut finden, wie das in China passiert, aber wenn sich das Land vornimmt, Stahlwerke mit grüner Energie zu versorgen, wird das sicher schneller gehen als hierzulande. Thyssenkrupp verbindet mit dem Einstieg Křetínskýs durch dessen Fokus auf die Energiewirtschaft die Hoffnung auf einen soliden Partner für den Wandel. Ob er gelingt, ist fraglich – und das Zittern der Belegschaft berechtigt.

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