Ehemalige Kämpferinnen der Farc-Guerilla finden nur schwer wieder in ein bürgerliches Leben zurück und haben Angst um ihre Sicherheit. Vorurteile und die politische Behäbigkeit der bisherigen Regierung legen ihnen Steine in den Weg
In einem kolumbianischen Wiedereingliederungslager für ehemalige Guerillakämpfer sitzt María Rosalba García de Sepúlveda neben ihrer grün-orangefarbenen Hütte. Sie trägt Hosen mit Blattmuster und isst Marmeladenkekse. „Man fürchtet ständig um seine Sicherheit“, sagt die 68-Jährige. 43 Jahre lang war Sepúlveda Teil der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens, der Farc – einer linken Guerillagruppe, die von Bauern gegründet wurde und fünf Jahrzehnte lang gegen die Regierung gekämpft hat. Nachdem sie sich mit 18 Jahren der ländlichen Armut entziehen wollte, stieg sie zu einer der wenigen weiblichen Kommandantinnen auf, bekannt unter ihrem Kriegsnamen „Eliana“. Das Lager in La Guajira im Norden Kolumbiens, das auf einem Feldweg liegt und von Soldaten mit Sturmgewehren bewacht wird, fühlt sich zunächst wie ein Gefängnis an. Aber die rund 400 Bewohner, darunter 135 ehemalige Guerilleros und ihre Familien, haben ihr Bestes getan, um es wohnlicher zu machen. „Das Leben hier ist hart“, sagt Sepúlveda. „Die Leute werden krank und die Häuser sind sehr, sehr klein.“
Wenn es regnet, fließt Wasser durch die Ritzen der Hütten, von denen den Bewohnern gesagt wurde, dass sie nur vorübergehend sein würden, und die Wege werden zu Flüssen aus Abwasser und Schlamm. Der Strom fällt 24 Stunden aus und die Toilettenspülung funktioniert nicht. „Wir sollten sechs Monate hierbleiben und dann eine angemessene Unterkunft bekommen“, sagt Sepúlveda.
Als vor sechs Jahren in Havanna, Kuba, das Friedensabkommen unterzeichnet wurde, garantierte es die Sicherheit der ehemaligen Kombattanten. Die Gewalt hat in Kolumbien in den vergangenen zwei Jahren zugenommen, wobei Ex-Farc-Kämpfer*innen einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. Seit 2016 wurden 342 ermordet, davon elf allein im Juli – dem tödlichsten Monat seit 2019.
Sepúlveda und ihre Nachbarn fühlen sich betrogen. Wo ist die Unterstützung und Sicherheit, die ihnen versprochen wurde? „Wenn wir eine Regierung mit einem wahren Wunsch nach Frieden hätten, hätte sie sich um diese Dinge gekümmert“, sagt sie. „Stattdessen werden unsere Kameraden ermordet.“ Das Gefühl, dass die Regierung ihre Seite der Abmachung nicht eingehalten hat, haben nicht nur Ex-Guerilleros. Im Januar wies das oberste Gericht des Landes die Regierung an, mehr zum Schutz der ehemaligen Farc-Kämpfer*innen zu tun. Die „Grundrechte auf Leben, persönliche Unversehrtheit und Frieden“ von Ex-Kombattanten seien „ignoriert“ worden, hieß es im Urteil.
In den vergangenen vier Jahren hat die Regierung von Iván Duque, der sich gegen das von seinem Vorgänger unterzeichnete Friedensabkommen ausgesprochen hatte, vielen versprochenen Reformen keine Priorität eingeräumt.
Kämpferin wird Hausfrau
Obwohl vor allem Frauen eine historische Rolle im Friedensprozess spielten, haben etliche nun das Nachsehen. Viele fühlten sich in der Farc gleichgestellt, wo sie etwa ein Drittel der Kämpfer*innen ausmachten. Die Reformen in den ländlichen Gebieten, die die Beschäftigungsaussichten verbessern und die Ungleichheit verringern sollten, sind ins Stocken geraten. Während einige in den ländlichen Gebieten ausharren, haben die schlechten wirtschaftlichen Aussichten viele ehemalige Guerilleros dazu veranlasst, die Wiedereingliederungslager zu verlassen und ihr Glück in den Städten zu versuchen. Zu denen, die ihr Glück in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, versuchen, gehört Sandra Patricia Velasco, 32.
Nachdem sie sich mit 17 Jahren der Farc angeschlossen hatte, verbrachte sie ihr ganzes Erwachsenenleben in deren Reihen, durchstreifte die Berge, schlief in Dschungellagern und ließ sich zur Krankenschwester ausbilden, die auf dem Schlachtfeld Erste Hilfe leistet. „Du siehst viele sehr harte Dinge, wie zum Beispiel, dass deine Freunde im Kampf getötet oder sehr schwer verletzt werden. Es ist Krieg. Das wird normal“, sagt sie. Nach dem Friedensschluss zog sie nach Bogotá und tauschte ihre militärische Routine gegen das Leben in der Stadt. Sie tut jetzt etwas für sich selbst, wie „sich gut anziehen, essen gehen und tanzen“.
Die Umstellung war schwierig. Obwohl sie Erfahrung in der Krankenpflege hatte, wurde sie von der Arbeit im Gesundheitswesen ausgeschlossen; auch Jobs mit Kindern und Familien sind tabu. „Die Leute sehen uns nicht als Menschen“, sagt sie. „Sie denken, wir seien Terroristen, die immer noch auf der Suche nach Krieg sind.“ Alejandra Tellez ist ähnlich verunsichert. Die 37-Jährige – Spitzname „la chiqui“ oder „die Kleine“ – schloss sich mit 15 Jahren der Guerilla an, weil sie wütend über die Gewalt war, die sie in ihrer Kindheit erlebte. Dazu gehörten, wie sie sagt, die Ermordung eines Gemeindeleiters und die Folterung ihrer Mutter, nachdem ihre Familie verdächtigt wurde, mit der Rebellengruppe ELN zusammenzuarbeiten. Jetzt lebt sie ein Leben als Hausfrau, mit ihrem eigenen Kind, Henry, vier Jahre alt – ein Baby des Friedens, wie sie sagt.
Grund zum Optimismus
Sowohl sie als auch Velasco sind freundlich, sprechen aber offen über ihre Zeit bei der Farc. Empfinden sie Bedauern oder Traurigkeit über ihre Rolle im bewaffneten Konflikt? Nein. Sollten sie das? Velasco und Tellez fühlen sich ihrerseits auch als Opfer des Staates und ihrer Umstände. Sie wurden zwar nicht gezwungen, hätten sich aber auch nicht der Farc angeschlossen – einer Gruppe, die 1964 von Bauern mit dem Ziel gegründet wurde, die soziale Ungleichheit zu bekämpfen, und die sich später durch Drogenhandel und Entführungen finanzierte –, wenn sie eine bessere Möglichkeit gesehen hätten.
Was die Gewalt anbelangt, so war sie Teil der militärischen Operationen, hatte einen politischen Zweck und war streng reglementiert, sagen sie. „Ich kam zur Farc, weil ich diejenigen töten wollte, die meiner Mutter wehtaten“, sagt Tellez. Heute kämpft Tellez mit dem „Konsumdenken und dem Egoismus“ des Lebens in Bogotá. Sie glaubt, dass sich die Dinge eines Tages bessern werden. Aber jetzt will sie erst einmal raus. „Ich beantrage politisches Asyl in Deutschland, um zu sehen, ob das möglich ist.“ Und wenn sie bleiben würden? „Die Schulbildung ist nicht die beste und es gibt Diskriminierung“, erklärt sie, den Blick auf ihren Sohn gerichtet.
Trotz der Herausforderungen gibt es auch Grund zum Optimismus. Zwar haben sich einige wenige wieder bewaffnet, doch die meisten Ex-Farc-Guerilleros sind weiterhin dem Friedensprozess verpflichtet. Die Tatsache, dass die ehemaligen Kämpfer bereit sind, so harte Bedingungen zu ertragen, ist ein Beweis für dieses Engagement, sagt Alejandra Allado, Koordinatorin von Soberanas, einem von der norwegischen Regierung unterstützten Reintegrationsprojekt. „Glauben Sie mir, wenn sie sich nicht engagieren würden, würde niemand ein solches Leben ertragen“, sagt sie. Unter der Regierung Duque seien die Dinge „rückwärts gelaufen“, fügt Allado hinzu. Doch im August kam der erste linke Präsident Kolumbiens, Gustavo Petro, an die Macht. Da er selbst ein ehemaliger Guerillakämpfer ist, besteht die Hoffnung, dass er den vernachlässigten Reformen seines Vorgängers Priorität einräumen wird.
Shanti Das ist Reporterin des Observer
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