Koloninalismus | Toussaint Louverture: Der Freiheitskämper aus der Karibik

Toussaint Louverture inspirierte Anna Seghers zu einer Novelle. Trotzdem kennt man ihn hierzulande heute kaum. Die Monographie „Black Spartacus“ sollte das ändern. Annäherung an einen Vorkämpfer der Demokratie

Durch die Wucht der Trauerbekundungen zum Tod von Elizabeth II. gehen die Stimmen unter, die daran erinnern, dass die Queen hinter Kräften stand, welche die Entkolonisierung des Empire nur zögerlich hinnahmen. Charles III. wird sich weiter mit den Unabhängigkeitsbestrebungen Nordirlands auseinandersetzen müssen. Ähnlich geht es Frankreich, dessen überseeische Departements in der Karibik und im Pazifik immer wieder Unabhängigkeitsreferenden anstreben. Deutschland ist mit den Reparationsforderungen lange verlorener Kolonien befasst und mit Rassismus, dem Migranten aus dem Süden ausgesetzt sind.

Die koloniale Ideologie wirft also einen langen Schatten. Welche Barbarei hinter ihr steht, sei allerdings schon von einem Denker wie Hegel klar erkannt, aber über 200 Jahre verdrängt worden, urteilt die amerikanische Philosophin Susan Buck-Morss in ihrem Buch Hegel und Haiti. Grundlage von Hegels progressiver Rechtsphilosophie sei ein reales Geschehen in Haiti gewesen, der profitabelsten Zuckerrohr-Kolonie Frankreichs, die bis zur Unabhängigkeit 1804 Saint-Domingue hieß. In der Zeitschrift Minerva las Hegel wiederum über die Befreiungsbewegung der karibischen Sklaven und stieß dabei auf eine Verfassung dieser Bewegung, die den Menschen jedweder Abstammung gleichberechtigte Bürgerschaft garantierte. Es war ein gewisser Toussaint Louverture, der Führer dieser Freiheitsbewegung, der die Verfassung in Auftrag gegeben hatte.

Zeitsprung: Auf ihrer Irrfahrt ins mexikanische Exil geriet Anna Seghers auch nach Santo Domingo, in die heutige Dominikanische Republik. Als spanische Mitreisende die dortigen Matrosen auf Spanisch ansprachen, wurde ihr „plötzlich die Größe, die Gewalt der vergangenen spanischen Kolonialmacht klar“. Später, nachdem das Schiff endlich in Mexiko angekommen war, verfasste Seghers eine Novelle über Toussaint Louverture, deren Titel an eine Novelle Heinrich von Kleists erinnert: Die Hochzeit von Haiti. Sie erschien 1949 in Ostberlin, später auch in den Karibischen Geschichten und machte Toussaint in der DDR bekannt. Er gilt in der ganzen sich von Kolonialismus und Neokolonialismus befreienden Welt, von der Karibik über Afrika bis hin zu Black Lives Matter, als Lichtgestalt. Selbst Frankreich erkennt ihn heute als einen bedeutenden Vorkämpfer der Demokratie an. Im heutigen Deutschland jedoch ist er bis dato noch kaum bekannt. Gut also, dass nun endlich die Monografie Black Spartacus. Das große Leben des Toussaint Louverture von Sudhir Hazareesingh auf Deutsch vorliegt.

Toussaint Louverture wurde von Jesuiten ausgebildet

Toussaint Louverture wurde in den 1740er Jahren als Sohn eines aus Benin verschleppten Sklaven geboren; schon als Kind entwickelte er vielseitige Fähigkeiten, als Jugendlicher wurde er von Jesuiten ausgebildet und in seinen Dreißigern in die Freiheit entlassen. Heute erstaunt, wie weit der Ruf der Aufklärung mit ihrem Versprechen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit erschallte. Um den Sklaven der Karibik die Menschenrechte dennoch zu verweigern, wurden sie zu Beginn der Revolution zu Ausländern erklärt.

1791 erhoben sich aber die etwa 500.000 Sklaven in Saint-Domingue. Zunächst zielte der vom Vodookult geprägte Aufstand auf die Vernichtung der weißen Ausbeuter. Toussaint, der 1793 die Führung übernahm, agierte als gewiefter Militär und republikanisch-staatsmännisch. So fand er in der ethnisch gemischten Gesellschaft zahlreiche Verbündete, bis hin zu den Pflanzern, deren Besitzrechte er garantierte. Die ehemaligen Sklaven sollten Lohnarbeiter werden, ein Viertel des Gewinns erhalten. Im selben Jahr sah sich Gouverneur Étienne Mayneaud Bizefranc de Lavaux genötigt, die Sklaverei in Saint-Domingue aufzuheben und Toussaint zum „Schwarzen Spartakus“ und Vizegouverneur zu erklären.

Weil die Kolonie als geschwächt galt, griffen Engländer und Spanier sie an. Toussaint verbündete sich aus taktischen Gründen mit den Spaniern, wechselte aber sofort die Seite, als 1794 die Jakobiner in Paris die Sklaverei aufhoben, was die Koloniallobby sofort zu hintertreiben suchte. Es war Toussaints militärischem Genie zu verdanken, dass seine schlecht ausgerüsteten, zum Teil nackt kämpfenden, aber hoch motivierten Truppen Engländer und Spanier aus Saint-Domingue vertrieben.

Toussaints Prestige in der multiethnischen Gesellschaft war dermaßen gestiegen, dass er sich scharfe Konflikte mit den ihm paternalistisch entgegentretenden Nachfolgern von Lavaux leisten konnte. Gegen den 1799 an die Macht gekommenen Napoleon eroberte er den spanischen Teil der Insel und schaffte auch dort die Sklaverei ab. Toussaint schloss Handelsverträge mit England, Spanien und den USA. Ab 1801 übte er das Gouverneursamt selbst aus. Um die Insel vor dem Zugriff der Sklavereilobby zu schützen, ließ er ebenjene Verfassung ausarbeiten, die Hegel faszinierte. Sie bekräftigte zwar, dass Saint-Domingue französisch bleibe, aber für Napoleon stellte sie eine Unabhängigkeitserklärung dar.

Arbeitsethos des frühen Sozialismus

Gegen die 1802 zu der Insel geschickte, weit überlegene Streitmacht leisteten Toussaints Truppen enormen Widerstand. Er selbst geriet in Gefangenschaft, wurde auf Fort Joux im Jura unter erbärmlichen Bedingungen eingekerkert und starb 1803. Seine Offiziere Jean-Jacques Dessalines und Henri Christophe kämpften weiter, bis das französische Heer durch Tropenkrankheiten so dezimiert war, dass die Kolonie aufgegeben werden musste. In den Teilen der Karibik, die Paris erneut kontrollieren konnte, wurde die Sklaverei wieder errichtet.

1825 musste sich Haiti die Anerkennung der Unabhängigkeit durch Frankreich mit 150 Millionen Goldfranken erkaufen, was die Entwicklung nachhaltig behinderte.

Hazareesingh lässt Toussaints Wirtschaftskonzept in seiner Monografie gleichsam mitlaufen, es lohnt sich indessen, genauer darauf einzugehen. Auch um die in der Revolution rückläufige Exportfähigkeit wiederherzustellen, wollte er die Großraumwirtschaft erhalten. Es war aber unmöglich, alle Befreiten an die Plantagen zu binden. Sie wollten eigenen Geschäften nachgehen oder kauften selbst Land. Dem begegnete Toussaint mit der Proklamation eines an den frühen Sozialismus erinnernden Arbeitsethos, einschließlich geordneter Familienverhältnisse. Durch den Erhalt der Plantagen sicherte er sich das Wohlwollen ihrer Besitzer und zunächst auch die Bürger-Eintracht, die im Grunde Nelson Mandelas Idee der Regenbogen-Nation vorwegnahm. Ein Teil der ehemaligen Sklaven radikalisierte sich aber wieder – auch gegen Toussaint.

Hier brach ein Widerspruch auf, der – wie schon Anna Seghers feststellte – „an die jungen Nationalstaaten“ erinnere, sogar an „Probleme bei unserem eigenen Aufbau“, womit sie an die Kollektivierung der Landwirtschaft in der DDR anspielte. Späteres Beispiel ist Simbabwe, wo die von Weißen geführten Plantagen als Pfeiler der Exportwirtschaft lange nach der Unabhängigkeit erhalten wurden. Schließlich gab Präsident Mugabe sozialem Druck nach und teilte die Ländereien auf, womit ihre Wirtschaftlichkeit aber zusammenbrach.

Kühn und emanzipatorisch

Toussaint Louverture stand für die Kühnheit, sich eine Welt zu imaginieren, die um radikal unterschiedliche Prinzipien herum organisiert und doch emanzipatorisch ist. Diese Ethik könnte heute noch eine wirkungsvolle Grundlage für eine Politik der Hoffnung sein und einen robusten Internationalismus fördern, zugleich „selbstmitleidige Negativität vermeiden, die häufig postkoloniale Narrative durchsetzt“, wie Hazareesingh schreibt.

Seghers’ 1994 letztmalig aufgelegte Novelle wäre heute kaum noch publizierbar: Unbekümmert nutzte sie das von ihr positiv besetzte N-Wort. Es sei deshalb noch auf eine andere Auseinandersetzung mit dem Befreiungskämpfer hingewiesen: La deuxième mort de ToussaintLouverture (2001) der haitianisch-französischen Schriftstellerin Fabienne Pasquet. Pasquet lässt Heinrich von Kleist, dessen Novelle Die Verlobung in St. Domingo 1811 die Aufständischen zu blutrünstigen Racheengeln machte, in Fort Joux einsitzen. Toussaint, der ihm als karibischer Heiler eine Wunde versorgt, führt dort in einer „bemerkenswerten Umkehrung der traditionellen hierarchischen Beziehung zwischen der europäischen Aufklärung und ihren kolonialen Untertanen“ einen Monolog. Er flößt Kleist „bedingungslose Liebe zum Leben ein und vermittelt ihm die Ideale des patriotischen Widerstands, allgemeiner Freiheit und fortschreitender Transformation“.

Black Spartacus. Das große Leben des Toussaint Louverture Sudhir Hazareesingh Andreas Nohl (Übers.), C. H. Beck 2022, 551 S., 34,95 €

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