Kohlenstoffdioxid darf nachdem Beschluss dieser Ampel im deutschen Meeresboden verschwinden

Für die einen ist es ein Zeichen von Technikoffenheit, für die anderen ein Rückfall in die Zeit der Klimadinosaurier. Am Mittwoch hat das Bundeskabinett beschlossen, dass es künftig auch in Deutschland möglich sein soll, Treibhausgase abzuscheiden und dann entweder unterirdisch einzulagern oder in gebundener Form zu nutzen. Die Verfahren werden Carbon Capture and Storage (CCS) sowie Carbon Capture and Utilisation / Usage (CCU) genannt. Das Ziel beider Anwendungen ist es, dass das Kohlendioxid oder dessen Äquivalente nicht in die Atmosphäre entweichen, wo sie für die Erderwärmung sorgen.

Die Industrie gibt sich den neuen Möglichkeiten gegenüber sehr aufgeschlossen. Fast jedes zweite Unternehmen ist bereit, CCS in den kommenden Jahren einzusetzen, sofern sich die Verfahren wirtschaftlich nutzen lassen. Das hat eine Kurzbefragung der Deutschen Industrie und Handelskammer DIHK unter 1000 Unternehmen aus verschiedenen Branchen und Regionen Deutschlands ergeben. 8 Prozent der Betriebe hätten sich schon konkret mit CCS auseinandergesetzt, zeigen die Ergebnisse, die der F.A.Z. exklusiv vorliegen.

„Überraschend viele Unternehmen haben bereits konkrete Vorstellungen zur Nutzung von CCS“, sagte der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks der F.A.Z. „Somit ist ein großes Potential für die Abscheidung von CO2 in Deutschland vorhanden, das gilt insbesondere, wenn sich die Technologie hoffentlich schon bald als wirtschaftlich erweist.“ Es sei für die Zukunft eine noch größere Bereitschaft zu erwarten, „sobald die gesellschaftlichen Akzeptanzprobleme dieser Technologie überwunden werden“, so Dercks. Die Technik werde einen bedeutenden Beitrag zum Klimaschutz leisten. Dafür seien aber die Beschleunigung und die staatliche Absicherung des Netzausbaus in Deutschland und in der EU nötig.

Habeck: „wichtiger Tag für die Industrie“

„Mit Blick auf die Wirtschaftlichkeit brauchen wir den Aufbau eines europäischen CO₂-Markts, der auch einen Anreiz für die direkte Entnahme von CO₂ aus der Atmosphäre schafft. Dazu ist die Integration von CCS in den europäischen Emissionshandel notwendig“, forderte Dercks. „Dann könnten Betriebe eingespartes CO2 per Zertifikat an Unternehmen weiterverkaufen, die CO2 noch nicht komplett vermeiden können.“

Der Industrieverband BDI lobte, für eine wettbewerbsfähige Transformation der deutschen Industrie zur Klimaneutralität sei die Überarbeitung des CO₂-Speicherungsgesetzes ein sehr wichtiger Schritt. „Hierdurch werden nun endlich die gesetzlichen Grundlagen für CCS und CCU geschaffen und wesentliche Hemmnisse für den Markthochlauf beseitigt“, sagte der stellvertretende BDI-Hauptgeschäftsführer Holger Lösch. „Vor dem Hintergrund langwieriger Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie langer Vorlaufzeiten für den Bau der notwendigen Infrastruktur muss das Tempo im parlamentarischen Verfahren nun aufrechterhalten werden.“

Dercks und Lösch äußerten sich, nachdem das Kabinett auf Antrag von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) die Eckpunkte zu einer so genannten Carbon-Management-Strategie sowie einen darauf aufbauenden Gesetzentwurf zur Änderung des bestehenden Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes beschlossen hatte. Damit werden CCS und CCU ebenso möglich wie der Transport der Gase und deren Einlagerung im Meeresboden; ausgeschlossen sind dort jedoch Schutzgebiete.

Habeck sprach von einem „wichtigen Tag für die Industrie“ und von einer „Richtungsentscheidung“, denn ohne die neuen Techniken seien „die Klimaschutzziele nicht zu erreichen“. Zugleich erhöhe die Kabinettsentscheidung die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie.

BDEW begrüßt Neuerungen

Mit der Erlaubnis zur Speicherung auf offener See (offshore) schließe Deutschland zu vielen anderen Staaten auf, etwa zu Norwegen, und stelle sich seiner Klimaverantwortung als großes Industrieland. Bundesrechtlich bleibt die Einlagerung an Land (onshore) weiterhin nicht erlaubt außer für Forschungszwecke. Die neuen Regeln halten den Bundesländern aber diese Möglichkeit über das jeweilige Landesrecht offen, wenn sie das beantragen (Opt-in).

Habeck wies darauf hin, dass man die Gesetzestexte mithilfe der anderen Ressorts, der Verbände, der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Länder weiterentwickelt habe. Als nächstes werde die Carbon-Management-Strategie komplett zu Ende gebracht. Das geänderte Speichergesetz KSpG schaffe einen klaren Rechtsrahmen zum Aufbau einer CO₂-Pipelineinfrastruktur und der Offshore-Lager. Der Entwurf gehe jetzt an die beiden Parlamentskammern, den Bundestag und den Bundesrat.

Der Energieverband BDEW begrüßte die Neuerungen. „Die Carbon-Management-Strategie ist ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung Klimaneutralität“, sagte die Verbandsvorsitzende Kerstin Andreae. „Insbesondere in der Industrie und der Abfallverbrennung fallen CO₂-Emissionen an, die auf absehbare Zeit nur durch Abscheidung vermieden werden können.“ Nun sei es entscheidend, zügig einen Rechtsrahmen für die Transport- und Speicherinfrastruktur zu schaffen, um die Grundlage für den Hochlauf der neuen Technik zu schaffen.

Kritik von Naturschutzorganisation

Andreae wies darauf hin, dass für die Stromerzeugung die Emissionsvermeidung zentral sei: „Inwiefern CCS für Gaskraftwerke künftig eine Rolle spielen kann, wird von den Kosten, der Infrastruktur und der Flexibilität der Anlagen abhängen.“ Skeptisch steht der BDEW der Opt-In-Lösung für die Onshore-Speicherung gegenüber. Zum Schutz des Grundwassers und angesichts einer hohen Bevölkerungsdichte sowie tektonischer und seismischer Bedenken sei man gegen die Landnutzung.

Naturschutzorganisation wie der WWF oder der BUND lehnen die jüngsten Kohlenstoffbeschlüsse vollständig ab. Sie führten in den „Klima-Jurassic-Park“, teile der BUND in Analogie zu dem Dinosaurierfilm mit. Von den Gesetzesänderungen profitiere nicht das Klima, sondern die fossile Wirtschaft. „Heute knallen die Korken bei Shell, Exxon, Wintershall DEA, Equinor und Co“, monierte der BUND-Vorsitzende Olaf Brandt. „Die Koalition serviert ihnen mit dem heutigen Beschluss des CCS-Gesetzes ein flächendeckendes Kohlendioxid-Pipelinenetz und Klimamülldeponien unter dem Meer und an Land.“

Kraftwerke und große Industriekonzerne könnten jetzt auch nach dem beabsichtigen Zieljahr für die deutsche Klimaneutralität 2045 Erdgas und Erdöl einsetzen. „Genau dafür lobbyieren die internationalen Petrostaaten und -konzerne seit vielen Jahren, der Beschluss der Ampel bestätigt ihren Erfolg“, sagte Brandt. „Die Energiewende wird ausgehebelt, der Ausstieg aus den fossilen Energien, für den sich Deutschland noch auf der Weltklimakonferenz stark eingesetzt hat, ist plötzlich massiv gefährdet.“

„Es bleibt beim Kohleausstieg“

Die Organisation sieht „die Nordsee, das Weltnaturerbe Wattenmeer sowie Wälder, Moore und Wiesen von neuer Industrialisierung bedroht“. Anders als Habeck und Andreae behaupten, trage CCS nicht zum Klimaschutz bei, sondern bewirke das Gegenteil. „Mit CCS werden die Klimaziele unerreichbar“, sagte Brandt. Es sei „eine gefährliche Scheinlösung, ein Bluff aus der Trickkiste der internationalen Öl- und Gaskonzerne, um den Ausstieg aus fossilen Energien und echte Lösungen zu verhindern.“

Auch der WWF kritisierte, die Ampel öffne „Pandoras Büchse“. Die neuen Regelungen wirkten „wie ein Freifahrtschein für Gaskraftwerke und stehen im Widerspruch zu den auch von Deutschland getragenen Beschlüssen auf der vergangenen Klimakonferenz in Dubai“, so Klimaexpertin Viviane Raddatz: „Die Speicherung von Kohlendioxid für die Gasbranche zu öffnen, erlaubt ihr ein Weiter-so mit Aussicht auf CO2-Abscheidung, die in solchen Maßstäben überhaupt nicht sicher ist.“ Das führe zu vermeidbaren CO₂-Emissionen, die die Klimakrise weiter anfachten.

Das Wirtschaftsministerium stellt indes klar, dass sich bestimmte CO₂ ausstoßende Prozesse weder vermeiden noch – wie etwa vom BUND gewünscht – auf Strom umstellen ließen. Um gasförmige Energieträger oder Biomasse klimaverträglich zu verstromen, böten CCS und CCU einen „technologieoffenen Übergang“. Hingegen bleibe der Zugang zu den CO₂-Pipelines und zu den Speicherstätten für Emissionen aus Kohlestrom oder aus Anlagen zur Kraft-Wärme-Kopplung verschlossen: „Es bleibt beim Kohleausstieg.“

Staatlich gefördert werde die Technik nur im Falle von schwer oder gar nicht vermeidbaren Emissionen, etwa in der Abfallwirtschaft. Gaskraftwerke oder andere fossile Stromerzeuger könnten keine Finanzhilfen erhalten. Um CO₂ künftig exportieren zu können, ratifiziere die Bundesregierung die Änderung des sogenannten London-Protokolls und ändere das Hohe-See-Einbringungsgesetz.

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