Kohleausstieg: Was die Milliarden-Entschädigung zum Besten von die Leag bedeutet

Der Energiekonzern Leag in Cottbus kann mit bis zu 1,75 Milliarden Euro an staatlichen Entschädigungszahlungen für den Kohleausstieg bis 2038 planen. Mehr als vier Jahre nach der Eröffnung des Prüfverfahrens genehmigte die Europäische Kommission am Dienstagnachmittag die Beihilfe. „Die Bestätigung der vereinbarten Entschädigungen für Tagebaufolgekosten, Sozialverpflichtungen und eingetretene entgangene Gewinne be­deutet vor allem eines: Planungssicherheit“, sagte Adi Roesch, der Vorstandsvorsitzende von Leag, der F.A.Z.

Die Zusage der EU-Kommission ändere nichts an der Finanzplanung der Leag, sagte Roesch. Das Energieunternehmen will in den kommenden fünf Jahren bis zu sechs Milliarden Euro in wasserstofffähige Gaskraftwerke, Großbatteriespeicher und erneuerbare Energien investieren. Ei­­ne erste Tranche der Ausgleichszahlungen soll noch in diesem Jahr an die Leag überwiesen werden.

Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) äußerte sich zufrieden. „Die Genehmigung der Zahlungen für den Kohleausstieg der Leag sind ein echter Erfolg für eine ganze Region“, sagte Reiche mit Blick auf den Strukturwandel in der Lausitz. Darauf hoffen auch die Ministerpräsidenten der beiden ostdeutschen Flächenländer, in denen die vier Braunkohlekraftwerke der Leag mit einer installierten Kapazität von rund sieben Gigawatt stehen.

Die Zahlungen sind ein Politikum

„Die Zahlung bringt endlich Sicherheit für die Beschäftigten“, sagte Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD). Für das Unternehmen und die gesamte Region gebe es jetzt Planungs­sicherheit, erklärte sein Amtskollege in Sachsen, Michael Kretschmer (CDU). Leag gehört mit rund 7000 Beschäftigten zu den größten Arbeitgebern in der Lausitz.

Die Zahlungen an die Leag sind ein Politikum. Volkswirte bezweifeln grundsätzlich, ob es eine gute Idee war, Konzernen wie RWE oder der Leag vorzuschreiben, wann sie ihre Kraftwerke vom Markt nehmen sollen, und sie dafür mit viel Geld zu entschädigen. Die Bundesregierung hatte sich nach Empfehlung der „Kohlekommission“ 2019 dafür entschieden. Ökonomen argumentieren jedoch, dass der Kohleausstieg sich durch steigende Preise im europäischen Emissionshandel ganz von selbst ergebe, ohne Vorschriften und ohne teure Entschädigungszahlungen.

Die EU-Kommission hält dem entgegen, dass die Beihilfen für Leag notwendig und angemessen seien, weil „alternative poli­tische Maßnahmen keine so gezielte und vorhersehbare Stilllegung sowie einen Konsens zwischen Deutschland und den Kraftwerksbetreibern ermöglichen würden“.

Unmut über langes Verfahren

In Ostdeutschland hatte sich in den vergangenen Monaten zunehmend Unverständnis darüber breitgemacht, dass das Beihilfeverfahren für den Energiekonzern sich so lange hinzog. RWE hatte dagegen schon im Dezember 2023 eine Entschädigungszahlung von 2,6 Milliarden Euro zugesprochen erhalten. Die Dauer des Verfahrens für Leag hatte – anders als manchmal suggeriert – nichts mit dem Firmen­sitz im Osten Deutschlands, sondern mit dem Kohleausstiegspfad des Unternehmens zu tun.

RWE hatte seinen ersten Kohlemeiler bereits 2020 abgestellt und will 2030 ganz aus der Kohleverstromung aussteigen. Leag dagegen will das erste Kohlekraftwerk erst 2028 vom Netz nehmen und das letzte 2038 abschalten. Der lange Zeitpfad erschwert die Prognose entgangener Gewinne und die beihilferechtliche Bewertung der Entschädigung.

Das Unternehmen steht auch wegen seiner Eigentümerstruktur unter besonderer Beobachtung. Seit der Übernahme der ehemaligen Braunkohlekraftwerke und Tagebaue von Vattenfall durch die tschechische Beteiligungsgesellschaft EPH wird Leag vom tschechischen Milliardär Daniel Křetínský kontrolliert. Kritiker warnen seit Jahren, dass Křetínský die nun genehmigten staatlichen Beihilfen versilbern und den deutschen Steuerzahler mit milliardenschweren Rekultivierungskosten in den Tagebauen sitzen lassen könnte.

Alle Gewinne verbleiben im Unternehmen

Leag hält dagegen, dass man hohe Rückstellungen für die Rekultivierung der Tagebaue gebildet habe und der Eigentümer seit Übernahme des Unternehmens im Frühjahr 2016 keine Dividende abgezogen habe. „Daran wird sich auch nach der Entscheidung aus Brüssel nichts ändern, mit unserem Gesellschafter sprechen wir vor allem über neue Investitionsprojekte”, sagt Roesch. „Alle Gewinne werden im Unternehmen verbleiben und weiterhin in erster Linie in die Transformation Richtung nachhaltiger Energie investiert“, teilte ein Sprecher von EPH auf Anfrage mit.

Schon im Sommer 2024 hatte der damalige Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) eine grundsätzliche Einigung mit der EU-Kommission über Entschädigungszahlungen für die Leag angedeutet. Schon damals wurde deutlich, dass das Unternehmen für einen Teil der Kosten, die der Kohleausstieg nach sich zieht, kompensiert werden soll. Das umfasst un­ter anderem Vereinbarungen mit den Beschäftigten über sozialverträgliche Ruhestandsregelungen oder Vorsorgeverein­barungen mit Brandenburg und Sachsen über die Folgekosten des Tagebaus. Diese Fixkosten des Kohleausstiegs werden für Leag mit 1,2 Milliarden Euro beziffert.

Die Einigung auf eine beihilferechtlich unbedenkliche Entschädigung für entgangene Gewinne in Höhe von bis zu 550 Millionen Euro ließ dann noch einmal fast 18 Monate auf sich warten. Die diskutierten Modelle für die Berechnung sind komplex. Entsprechend kompliziert gestalteten sich die Verhandlungen zwischen Brüssel, Berlin und Cottbus. Schließlich wurden in das Kohleverstromungsbeendigungsgesetz zwei Formeln aufgenommen, mit denen die Bundesnetzagentur die erwartbaren entgangenen Gewinne von Leag für jeden einzelnen Kraftwerksblock ermitteln soll. Für jeden Kraftwerksblock, der vom Netz genommen wird, kann die Formel bis zu fünf Jahre angewendet werden.

Kosten für Rekultivierung im Tagebau werden erstattet

Mit einer ersten Zahlung in Höhe von rund 380 Millionen Euro noch in diesem Jahr sollen Leag Vorauszahlungen an die Vorsorgegesellschaften der Länder Brandenburg und Sachsen für Rekultivierungskosten im Tagebau erstattet werden, die der Konzern seit 2019 geleistet hat. Weitere knapp 460 Millionen Euro zahlt der Bund von 2025 an bis einschließlich 2029 in fünf gleich großen Tranchen direkt in die Vorsorgegesellschaften ein. Darüber hinaus könnten von 2030 bis 2042 abhängig von der Marktentwicklung weitere Ent­schädigungszahlungen für entgangene Gewinne an die Leag fließen. Der Barwert aller Zahlungen ist auf 1,75 Milliarden Eu­ro gedeckelt.

Spätestens nach der grundsätzlichen Vereinbarung mit Brüssel im Sommer 2024 war ein positives Ende des Beihilfeverfahrens erwartet worden. Die Genehmigung aus Brüssel ist dennoch ein wichtiger Schritt für Leag. Das Unternehmen plant milliardenschwere Investitionen. Am Dienstag kündigte der Konzern den Bau eines Batteriegroßspeichers mit einer Leistung von 400 Megawatt am Kraftwerkstandort Boxberg an. „Wir planen schon heute über die Braunkohle hinaus und bauen an einer neuen Energielandschaft, die die Stromversorgung sichert, Arbeitsplätze schafft und Wertschöpfung in der Region hält“, sagte Roesch.

Planungssicherheit hat Leag beim Konzernumbau weiterhin nur begrenzt. Die gesamte Energiebranche wartet weiter auf die Ausschreibung neuer Gaskraftwerke. „Da waren wir beim Besuch der Bundeswirtschaftsministerin in Schwarze Pumpe im Sommer noch euphorischer“, sagte Roesch. Damals hatte Reiche in Aussicht gestellt, dass die Kraftwerkstandorte von Leag in der Lausitz bei der Ausschreibung von Gaskraftwerken zum Zuge kommen sollten. „Ich bin weiter zuversichtlich, dass wir mit unseren Standorten die perfekten Voraussetzungen haben“, sagte Roesch.

Die Bundesregierung hatte nach der Sitzung des Koalitionsausschusses am Freitag mitgeteilt, dass sie im kommenden Jahr zehn Gigawatt Leistung zur Sicherung der Versorgungssicherheit ausschreiben wolle, die bis 2031 in Betrieb gehen sollen. Davon sollen acht Gigawatt auf wasserstofffähige Gaskraftwerke entfallen. Spätestens 2027 sollen weitere zwei Gigawatt ausgeschrieben werden, die bis 2032 in Betrieb gehen. Doch die Zustimmung der EU-Kommission dazu fehlt noch immer.

Das hat Folgen für den gesetzlich verordneten Kohleausstieg: Ob Leag tatsächlich 2028 und 2029 die ersten beiden Kraftwerke und RWE alle seine Kraftwerke wie geplant bis 2030 vom Netz nehmen kann, steht in den Sternen. Das lange Warten auf Berlin und Brüssel geht erst mal weiter, nicht nur in der Lausitz.

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