In einem groß angelegten juristischen Feldzug zum Bundesverfassungsgericht will die Klimaschutzbewegung die Ampelregierung zu einer ambitionierteren Klimaschutzpolitik zwingen. Die Vertreter mehrerer Umweltverbände kündigten am Mittwoch drei neue Verfassungsbeschwerden an, die man gemeinsam mit Klägern aus allen Teilen der Gesellschaft erheben werde.
Die Verbände rügen insbesondere die Novelle des Bundesklimaschutzgesetzes (KSG). Die geplanten Änderungen seien unvereinbar mit den Vorgaben, die das Bundesverfassungsgericht der Politik 2021 gemacht habe. In dem Klimabeschluss hatte das Gericht unter anderem gemahnt, Klimaschutz dürfe nicht zulasten junger Menschen und künftiger Generationen auf die lange Bank geschoben werden.
Da die Ampelregierung die erforderlichen Maßnahmen für die Begrenzung der Erderwärmung nach dem Pariser Abkommen verschleppe, drohe nun aber eine verfassungswidrige „Vollbremsung“ in Form massiver Freiheitseingriffe, sagte die Rechtsanwältin Roda Verheyen bei der Präsentation der Verfassungsbeschwerden. Verheyen vertritt eine der drei Klägergruppen, die von Greenpeace und Germanwatch angeführt wird. Auch einige Klimaaktivisten wie Luisa Neubauer (Fridays for Future) und mehrere Bürger sind dabei. Die Organisatoren wollen bis Ende August Tausende weiterer Bürger als sogenannte Zukunftskläger für den Gang nach Karlsruhe gewinnen.
Steinmeier hat noch nicht unterzeichnet
Eine zweite Verfassungsbeschwerde planen der Umweltverband BUND und der Solarenergie-Förderverein Deutschland gemeinsam mit Einzelklägern. „Die deutschen Klimaschutzziele sind schon jetzt grundrechtswidrig schwach, weil das Klimabudget für die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels praktisch schon aufgebraucht ist“, sagte der Prozessbevollmächtigte Felix Ekardt. Für die dritte Verfassungsbeschwerde hat sich die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit einem knappen Dutzend junger Leute zusammengetan. Die Umweltorganisation sucht außerdem 100.000 „Klimahelden“, die sich der Verfassungsbeschwerde symbolisch anschließen.
Ungewiss ist allerdings, wann und in welchem Umfang sich das Bundesverfassungsgericht mit den Einwänden der Klimaschutzbewegung befassen wird. Denn Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Novelle des KSG bislang nicht unterzeichnet. Nach der Verabschiedung im Bundestag und im Bundesrat wird die Gesetzesänderung seit nunmehr fünf Wochen im Bundespräsidialamt geprüft.
Das KSG war nach dem Karlsruher Richterspruch zunächst inhaltlich und zeitlich geschärft worden. Nun aber sollen Kernbestandteile des Gesetzes geändert werden. Bislang gelten für jeden Sektor, etwa Verkehr, Gebäude oder Energiewirtschaft, konkrete jährliche CO₂-Obergrenzen. Falls die Novelle des KSG in Kraft träte, stünden die sektorbezogenen Jahresemissionsmengen nur noch auf dem Papier, rügt die DUH. „Ihre Verfehlung bleibt aber ohne jede Konsequenz“, kritisierte der Prozessbevollmächtigte Remo Klinger.
Künftig gebe es nur noch „Emissionstöpfe“ – einen für die 2020er-, einen für die 2030er- und einen für die erste Hälfte der 2040er-Jahre. Damit werde verschleiert, in welchen Bereichen Anstrengungen zur CO₂-Vermeidung vorgenommen werden müssten. Das Bundesverfassungsgericht habe aber dargelegt, dass „weitere Jahresemissionsmengen und Reduktionsmaßgaben so differenziert festgelegt werden (müssen), dass eine hinreichend konkrete Orientierung entsteht“, schreibt die DUH.
Die Novelle des KSG sehe auch keine ausreichende Nachsteuerung zur Einhaltung der Klimaschutzziele mehr vor. Damit entfalle der laut Bundesverfassungsgericht „erforderliche Planungsdruck“. Lege man die aktuellen Prognosen der Bundesregierung zur Entwicklung der Emissionen zugrunde, müssten zwischen 2031 und 2040 in jedem Jahr mehr als 20 Millionen Tonnen CO₂ zusätzlich eingespart werden. Das werde zwangsläufig zu unverhältnismäßigen Freiheitseingriffen führen, prophezeit Rechtsanwältin Verheyen.
Vor allem Menschen auf dem Land mit weniger Geld wären betroffen, wenn drastische Maßnahmen wie Fahrverbote oder die Stilllegung von Autos mit Verbrennermotor erforderlich würden. Es drohe dann „Freiheit nach Maßgabe des Geldbeutels“. Das Bundesverfassungsgericht müsse Maßnahmen anordnen, um die Grundrechte zu schützen.
Einige Verbände wollen auch nach Karlsruhe ziehen, wenn die KSG-Novelle nicht kommt. Auch die gegenwärtige Rechtslage sei verfassungswidrig, da man sich die gesetzlich zugelassenen Emissionen nicht mehr leisten könne.