Deutschland fehlt es an Pflegekräften, in Kliniken genauso wie in Altenheimen. Und die Versuche von Politikern und Unternehmern, Personal aus dem Ausland anzuwerben, sind bisher mäßig erfolgreich. So viel ist bekannt. Neu ist, dass eines der größten Verlags- und Bildungsunternehmen des Landes antritt, um es besser zu machen.
Die Klett-Gruppe aus Stuttgart, bekannt für die Schul- und Wörterbücher der Häuser Klett, Pons und Langenscheidt, übernimmt die Mehrheit beim 2019 gegründeten Berliner Pflege-Start-up Careloop und will dessen Geschäft mit der Ausbildung und Vermittlung von ausländischen Pflegekräften in den kommenden Jahren kräftig ausbauen.
Gut 150.000 unbesetzte Stellen gibt es in der Pflegebranche jetzt schon, bis 2050 wird diese Zahl wegen der fortschreitenden Alterung der deutschen Bevölkerung nach einer Prognose des Statistischen Bundesamts auf schlimmstenfalls 690.000 steigen. Andere Länder haben umgekehrte demographische Voraussetzungen. Vielerorts gibt es deutlich mehr junge Leute als Arbeitsplätze. Theoretisch könnte das den Personalmangel beheben. Praktisch haben zuletzt aber gerade mal 16.000 Zuwanderer die Anerkennung ihrer im Ausland absolvierten Pflege-Ausbildung beantragt.
Zuerst Pflegekräfte, später auch Erzieher aus dem Ausland
Da ist Luft nach oben. Philipp Haußmann, der Vorstandssprecher der Klett-Gruppe, sieht darin eine Chance. Das Ziel, das er mit der Übernahme von Careloop verbindet, formuliert er im Gespräch mit der F.A.Z. so: „Ich traue uns zu, dass wir im besten Fall in nicht allzu ferner Zukunft allein annähernd so viele Pflegekräfte nach Deutschland bringen, wie 2023 insgesamt gekommen sind.“
Klett ist mit rund einer Milliarde Euro Umsatz und Standorten in 24 Ländern stark genug, um Marktführer in der Anwerbung und Vermittlung von Pflegekräften zu werden. Mit Blick auf die aktuelle Größe von Careloop ist die Vorgabe gleichwohl ehrgeizig. Seit der Gründung vor fünf Jahren haben nach Unternehmensangaben einige Hundert Pflegekräfte über die Vermittlungsplattform den Weg nach Deutschland gefunden; unter den Herkunftsländern rangieren Vietnam, Iran, Tunesien und Marokko vorn. Neben der Online-Personalbörse, auf der Arbeitgeber nach potentiellen neuen Mitarbeitern Ausschau halten können, bietet die Firma vorbereitende und begleitende Bildungsmaßnahmen für zuwanderungswillige Pflegekräfte an. Außerdem kümmert sie sich um die bürokratischen Voraussetzungen für die Einwanderung.
Als der Schlüssel für den Erfolg von Pflege-Zuwanderung habe sich die Bildung erwiesen, sagt Alexander Lundberg, einer der beiden Careloop-Gründer. Denn wenn es an der Bildung mangele, kehrten die Leute oft schon nach ein oder zwei Jahren enttäuscht in ihre Heimat zurück. „Bei uns bleiben dagegen mehr als 90 Prozent langfristig an ihrem neuen Arbeitsplatz“, überschlägt Lundberg, der wie sein Mitgründer Matti Fischer als Minderheitsgesellschafter und Geschäftsführer weitermacht.
„Deutsche Behörden brauchen viermal so lange“
Mit Klett soll die Erfolgsquote mindestens genauso hoch bleiben. Dafür setzt Philipp Haußmann, der Chef des Stuttgarter Familienunternehmens, erstens auf Deutsch-Unterricht in der Fremde bis zum Niveau B2, was nach der Definition der EU „ein normales Gespräch mit Muttersprachlern ohne größere Anstrengungen auf beiden Seiten“ ermöglicht. Das gehört für Klett zum bewährten Kerngeschäft und soll künftig eng mit dem Auswahlverfahren verknüpft werden.
Zweitens sollen möglicherweise bestehende Lücken in der fachlichen Qualifikation vor der Ausreise nach Deutschland geschlossen werden, damit die Ausbildung hierzulande dann auch reibungslos anerkannt wird. Als dritte wichtige Komponente nennt Haußmann interkulturelle Bildung als Vorbereitung auf den Alltag in Deutschland: „Es geht mir nicht nur um den Arbeitsplatz, sondern auch um die Integration in die deutsche Gesellschaft.“
Im September hat Haußmann den Bundeskanzler auf einer Reise nach Usbekistan begleitet. Mit der Regierung des Landes wurde ein Abkommen geschlossen, das die Anwerbung von 2000 Pflegekräften im Jahr ermöglicht. Ein neuer Markt, in dem Careloop an vorderster Stelle mitmischen soll. Die Attraktivität Deutschlands sei dort ungebrochen, berichtet Haußmann; viele junge Usbeken verknüpften die Bundesrepublik mit Sicherheit, Sauberkeit, guten Aufstiegs- und Verdienstmöglichkeiten. „Unser Nachteil gegenüber einigen anderen Ländern, die auch Fachkräfte anwerben wollen: Bei uns brauchen die Behörden zum Teil drei- oder viermal so lange, bis alle Genehmigungen vorliegen.“
Klett hat in den vergangenen Jahren immer wieder Firmen zugekauft, darunter die Betreiber von Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen. Die Gewinnung und Qualifizierung von Fachkräften ist ein Geschäftsfeld, das in der Gruppe bisher bloß mit einem Ableger in Serbien vertreten ist. Haußmann sieht hier Wachstumsmöglichkeiten über den Pflegebereich hinaus, was angesichts des grassierenden Fachkräftemangels in allerlei Branchen nicht groß überrascht. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass wir eines Tages auch Erzieherinnen und Erzieher aus dem Ausland nach Deutschland bringen“, sagt er. „Aber das ist erst der übernächste Schritt.“
Für das Vermittlungs- und Bildungspaket von Careloop, zu dem auch die bürokratische Abwicklung der Zuwanderung gehört, sollen nicht etwa die ausländischen Pflegekräfte bezahlen, sondern ihre neuen deutschen Arbeitgeber. Marktüblich seien dafür Preise zwischen 10.000 und 15.000 Euro, sagt Klett-Chef Haußmann. In dieser Spanne verortet er auch das eigene Angebot. Wie viel sein vor bald 130 Jahren gegründetes Unternehmen nun für die Übernahme von Careloop bezahlt hat, die kommende Woche auf dem Deutschen Pflegetag in Berlin den Branchenkollegen vorgestellt werden soll, verrät er hingegen nicht.