Kippen | Vom Ministerpräsidenten zum Marlboro-Mann: Wie sich Politiker an die Tabaklobby verkaufen

Ex-Ministerpräsident Torsten Albig arbeitet heute für Philip Morris. Während jährlich 120.000 Deutsche am Rauchen sterben, feiern Abgeordnete fröhlich beim „Sommerfest“ dieses Kippengiganten. Wie viel Einfluss hat die Branche auf Politiker?


Wie viel Einfluss hat die Kippen-Lobby auf unsere Politik?

Collage: der Freitag, Material: Midjourney



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Finanziell gesehen hat Torsten Albig alles richtig gemacht. Als ihm die heute-show kürzlich vor den Toren des Sommerfestes seines Arbeitgebers auflauerte, verriet er ihr zwar nicht, wie viel er verdient. Aber eines sei klar: Als Cheflobbyist des Tabakkonzerns Philip Morris, der er seit 2023 ist, sei es definitiv mehr als auf seinem alten Posten. Dabei hatte der SPD-Mann bis 2017 kein geringeres Amt inne als das des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein.

Rauchen ist eine der häufigsten Todesursachen hierzulande. Während es 2024 im deutschen Straßenverkehr 2.270 Tote gab, sterben im Zusammenhang mit Tabakmissbrauch pro Jahr rund 120.000 Menschen. Aber weil sie ein Wirtschaftsfaktor ist, wird die Branche mit Samthandschuhen angefasst. Laut „Pro Rauchfrei“ zahlte die Zigarettenindustrie im vergangenen Jahr hierzulande Steuern in Höhe von 15,6 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Alkoholkonsum generierte knapp drei Milliarden Euro für das Staatssäckel.

Dass Raucher der Volkswirtschaft jährlich rund 100 Milliarden Folgekosten bescheren, kommt in den Verbands-Pressemitteilungen eher selten zur Sprache. „Deutschland erlaubt es der Tabakindustrie, die durch das Rauchen verursachten Kosten weitgehend auf die Allgemeinheit abzuwälzen“, so Johann Bartelt, Landesleiter Berlin bei Pro Rauchfrei. Das treibe die Krankenkassenbeiträge in die Höhe.

Dennoch ist Torsten Albig längst nicht der einzige Spitzenpolitiker, der zur Tabaklobby wechselte. 2008 wurde die frühere Grünen-Bundestagsabgeordnete Marianne Tritz Geschäftsführerin beim Deutschen Zigarettenverband – damals noch ein kleiner Skandal, zumal Tritz sich einst als PR-Frau für den megalinken Gasthof Meuchefitz im Wendland und gegen Atomkraft engagiert hatte.

Wie viel Einfluss hat die Branche angesichts ihres offensichtlich guten Netzwerks auf die deutsche Politik? Und welche Folgen hat das für unser aller Gesundheit?

Tobias Rüther: „Es ist die tödlichste Industrie, die wir haben“

Ein Platzhirsch auf dem deutschen Markt ist Reemtsma mit den Marken Gauloises, Ernte 23, Davidoff und Cabinet. Der Jahresumsatz beläuft sich auf knapp fünf Milliarden Euro. „Es ist die tödlichste Industrie, die wir haben“, erklärt Tobias Rüther von der Tabakallianz des LMU Klinikums in München gegenüber dem ZDF.

20 Prozent der Deutschen sind Raucher, zusammen konsumieren sie rund 66 Milliarden Zigaretten jährlich, Tendenz seit 2024 wieder steigend. Man könnte sagen: Die sind doch selbst für ihre Gesundheit verantwortlich! Aber das würde verkennen, mit wie viel Macht und Kreativität die Branche seit vielen Jahren versucht, jeden einzelnen Raucher bei der Stange zu halten. Beziehungsweise: beim Glimmstängel.

So hatte der mittlerweile aufgelöste Verband der Cigarettenindustrie (VdC) über Jahrzehnte mutmaßlich Wissenschaftler so beeinflusst, dass deren Veröffentlichungen die Gefahren des Passivrauchens verharmlosten. Die Beziehungen in die Politik reichten so weit, dass der VdC die Haltung der Regierung zum Passivrauchen vorgab und Gesetze vorformulierte. Das Image war im Keller, nachdem das herausgekommen war. Damals mussten sich Politiker kritische Fragen gefallen lassen.

Heute folgen viele ungeniert der Einladung zum Sommerfest von Philip Morris in Berlin. Gesichtet wurden die Unionspolitiker Alexander Dobrindt, Alexander Throm, Sandra Carstensen und Mathias Middelberg. „Es geht hier null um irgendwas mit Rauchen“, behauptet Letzterer gegenüber dem heute-show-Reporter, sondern „um gute Gespräche und guten Austausch“.

Seit 2021 stieg die Zahl der jugendlichen Gewohnheits-Vaper um 90 Prozent

Die Zigarettenindustrie verweist gern auf ihren volkswirtschaftlichen Nutzen. Rauchen schafft Jobs. Nicht nur in den Glimmstängel-Fabriken, auch im Handel, in der Wissenschaft, der Onkologie, auf Herz-Kreislauf-Stationen, bei Anti-Falten-Creme-Herstellern, bei den Müllmännern, Farbproduzenten, Tapezierern, Aschenbecherfirmen, Werbemachern – und im Bestattergewerbe. Trotzdem sank der Tabakkonsum in Deutschland bis 2023 noch. Aus einst 30 Prozent jungen Rauchern waren neun Prozent geworden, Rauchen war uncool – bis die süßlich-hedonistische Variante aus Plastik und Aluminium den Markt eroberte.

Die als Einweg- oder Mehrwegverdampfer erhältlichen E-Zigaretten ähneln dem Schnaps-to-go-Flachmann und schmecken nach Wassermelone, Minze, Apfel, Cola oder Cheesecake. Bei Zigaretten weiß man, dass sie Krebs erregen, beim „Dampfen“ ist gerade die vermeintliche Harmlosigkeit gefährlich.

Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) können Vaper in 16.000 Geschmacksvarianten effektiv Umwelt und Gesundheit verpesten, inklusive noch höherem Nikotingehalt als bei herkömmlichen Rauchwaren. 14- bis 17-Jährigen gefällt das. Seit 2021 stieg die Zahl der jugendlichen Gewohnheits-Vaper um 90 Prozent. Ein Beispiel für die Wirksamkeit flächendeckender Werbung – und die ungesunde Verquickung von Profitinteressen mit Politik.

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Wie viel Einfluss haben Business-Interessen auf die Politik? Diese Frage ist seit der Übernahme der Regierungsgeschäfte von Schwarz-Rot noch virulenter. Immerhin war Bundeskanzler Friedrich Merz bis 2020 als Blackrock-Lobbyist tätig – und in den USA sitzt gleich ein Milliardär im Weißen Haus.

In unserer mehrteiligen Serie „Regiert uns die Wirtschaft? schauen wir auf die Situation in Deutschland, den Vereinigten Staaten und anderen Teilen der Welt. Was hilft wirklich gegen die „stille Übermacht“ des Lobbyismus?

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