Als „ChatGPT für Musik“ bezeichnete das Branchenmagazin „Rolling Stone“ vor einigen Monaten das KI-Start-up Suno . Seinen Nutzern generiert das Tool auf Befehl komplette Songs – mit Instrumenten, Text und Gesang. Thema und Genre können ebenfalls variiert werden. Die Ergebnisse klingen teils erstaunlich gut.
Auch Konkurrent Udio ist seit einiger Zeit in aller Munde, beide bieten eine Gratis-Version und diverse Abo-Optionen, sie zählen zu den fortgeschrittensten KI-Tools auf diesem Gebiet. Und beide Start-ups haben bislang nicht öffentlich gemacht, auf welcher Datenbasis, also mit welcher Musik, ihre Modelle trainiert wurden und werden.
Seit geraumer Zeit steht der Verdacht im Raum, dass unter dem Trainingsmaterial urheberrechtliche Werke sind, ohne dass die jeweiligen Rechteinhaber die Erlaubnis für die Nutzung gegeben haben. Dieser Vorwurf ist nun auch Gegenstand von zwei Klagen des US-amerikanischen Dachverbandes der Labels, Recording Industry Association of America (RIAA). Der Verband reichte die Klagen gegen Udio und Suno am Montagabend deutscher Zeit im Namen der drei weltgrößten Musikunternehmen, Universal, Sony und Warner Music ein.
Ähnlichkeiten zu Songs von ABBA oder Green Day
Beide Start-ups hätten missbräuchlich „massenhaft geschützte Aufnahmen“ verwendet, heißt es in einer Mitteilung des Verbands. Dieses Vorgehen sei „Kern des Geschäftsmodells“ beider Unternehmen. In den Klagen wird auch darauf verwiesen, dass Massen an KI-generierten Songs in der Folge in direkte Konkurrenz mit den Werken, auf deren Basis sie ohne Erlaubnis trainiert wurden, treten könnten. Beispielsweise auf Streamingdiensten, wo sie diesen Gelder streitig machten und den Tantiemenpool verwässerten.
In den Klageschriften sind zudem beispielhaft diverse Songs angeführt, die den Klägern zufolge erhebliche Ähnlichkeiten zu Hits von Mariah Carey, ABBA oder Green Day aufwiesen. Auch hätten Suno und Udio teils sogenannte Tags von Produzenten kopiert, die diese als Erkennungsmerkmal nutzen.
Zuvor hatte schon Ed Newton-Rex, der ehemalige Audio-Verantwortliche beim KI-Start-up Stability AI, in zwei Beiträgen auf der Branchenwebsite „Music Business Worldwide“ dargelegt, wie er mit verschiedenen Prompts auf Suno und Udio Originalen sehr ähnliche Songs erstellen konnte, etwa indem die Prompts Rechtschreibfehler enthielten. Newton-Rex schlussfolgerte, dies sei wohl nur möglich, da beide KI-Tools mit den entsprechenden Songs trainiert worden seien.
125 Millionen Dollar für Suno
Udio reagierte zunächst nicht auf die Klage. Suno-Ko-Gründer und Chef Mikey Shulman erklärte in einem Statement, die Technologie von Suno sei „transformativ“. Das Tool sei so designt, dass es „komplett neuen Output generiere“ und keinen existierenden erlerne und „wiederausspucke“. Daher erlaube man auch keine Prompts, mit den Namen von Künstlern.
Suno hatte Anfang Mai im Rahmen einer neuen Finanzierungsrunde 125 Millionen Dollar eingesammelt. Udio wiederum zählt beispielsweise den prominenten Wagniskapitalgeber Andreessen Horowitz zu seinen Investoren, ebenso wie Instagram Ko-Gründer Mike Krieger oder den Musiker Will.I.Am. Mit Blick auf das Training des KI-Modells hatte Suno-Ko-Gründer Shulman im April gegenüber der Nachrichtenagentur Bloomberg erklärt, die Herangehensweise des Unternehmens sei „legal“ und „ziemlich ähnlich zu der anderer“.
Damit dürfte er auf das in den USA existierende „Fair-Use“-Prinzip angespielt haben, auf das auch andere Tech-Unternehmen pochen. Nach diesem kann eigentlich geschütztes Material auch ohne Erlaubnis und ohne die Zahlung von Lizenzgebühren genutzt werden, sofern es etwa der öffentlichen Bildung und der „Anregung geistiger Produktion“ dient. Dem Verband zufolge haben sich beide Start-ups vor Einreichung der Klagen auf das Prinzip bezogen.
Doch wie andere Marktteilnehmer auch, dürften KI-Unternehmen nicht einfach „geschütztes Material für die kommerzielle Nutzung reproduzieren.“ Zumal der Output mit den fürs Training genutzten Werken konkurrieren kann. Und das „Fair-Use“-Prinip solle den Ausdruck menschlicher Kreativität fördern, beide Start-ups generierten aber im Gegenteil „nachahmende Maschinen-generierte Musik“.
Nicht die erste Klage von Seiten der Musikindustrie
Die Musikindustrie gibt sich grundsätzlich aufgeschlossen für den Einsatz von KI etwa als kreative Unterstützung für Musiker, sei es in der Produktion, im Songwriting oder auch in der Vermarktung von Musik. Auch die Nutzung von Songs für Trainingszwecke schließen die Unternehmen keineswegs grundsätzlich aus. Grundvoraussetzung dafür sind, so die Sichtweise der Musikbranche, allerdings Lizenzvereinbarungen, die Kontrolle für Rechteinhaber und Künstler gewährleisten – diese nicht zuletzt aktiv zustimmen müssen – und eine Vergütung vorsehen. Auch der Schutz von Persönlichkeitsrechten, beispielsweise mit Blick auf die Stimme von Künstlern, müsse sichergestellt sein, heißt es stets in Hinblick auf Deep-Fakes.
Schon im Oktober 2023 hatten Universals Verlagssparte, Concord Music und ABKCO Music das KI-Start-up Anthropic verklagt. Der Vorwurf: Zum Trainieren des Claude genannten ChatGPT-Konkurrenten nutze Anthropic ohne Erlaubnis Songtexte aus den Katalogen der Verlage. Claude könne so für Nutzer auch ähnliche oder „nahezu identische“ Kopien der Lyrics von bekannten Werken liefern.
Anfang April dieses Jahres hatten zudem mehr als 200 Künstler einen offenen Brief unterzeichnet, in dem es hieß, Künstliche Intelligenz dürfe nicht dazu missbraucht werden, das Schaffen von menschlichen Künstlern zu entwerten. Die Unterzeichner warfen in diesem „einigen der größten und mächtigsten Unternehmen“ vor, ohne Zustimmung der Musiker und der Rechteinhaber KI-Modelle zu trainieren.
Ganz ähnlich las sich ein Schreiben von Sony Music an mehr als 700 Tech-Unternehmen aus dem Mai. Das zweitgrößte Musikunternehmen untermauerte in diesem seine Position, dass geschützte Inhalte nicht ohne Erlaubnis genutzt werden dürften. In dem der F.A.Z. vorliegenden Brief hieß es aber zudem, man habe „Grund anzunehmen“, dass womöglich schon Inhalte ohne Erlaubnis für das Training oder die Kommerzialisierung von KI-Modellen genutzt worden seien.