Die Frau mit dem dunklen Haar und der weißen Tracht blickt ernst in die Kamera. Ihre Stimme klingt seltsam glatt, fast hölzern, als sie sich an die Abgeordneten des albanischen Parlaments wendet. „Manche haben mich als verfassungswidrig bezeichnet“, sagt die Erscheinung. „Das hat mich verletzt.“
Es ist der 18. September. Im Plenarsaal der Hauptstadt Tirana schlagen Abgeordnete plötzlich auf Tische, manche rufen empört dazwischen. So berichten es albanische Medien. Auf zwei großen Bildschirmen flimmernd, lässt sich die Rednerin davon nicht stören. Sie spricht weiter: „Ich bin nicht hier, um Menschen zu ersetzen, sondern um ihnen zu helfen.“
Kurz darauf verlassen oppositionelle Parlamentarier aus Protest den Plenarsaal. Eigentlich sollten sie über die neue Regierung und ihr Programm diskutieren, doch nun ist die Sitzung nach 25 Minuten beendet. Nur eine bleibt vom Unmut im Saal unberührt: Die Frau auf den Bildschirmen ist kein Mensch, sondern ein Avatar, geschaffen aus Code.
Die digitale Erscheinung namens Diella – Albanisch für „Sonne“ – ist die neue Ministerin für Künstliche Intelligenz.
Diella soll unlautere Geschäfte unterbinden
Diella ist die weltweit erste KI-Ministerin, so verkauft sie zumindest Albaniens Premierminister Edi Rama. Sie soll nie schlafen, unbestechlich sein, kein Gehalt brauchen, frei von Hintergedanken handeln. Künftig soll das digitale System das Beschaffungswesen verantworten; ein Bereich, der in Albanien als besonders korrupt gilt. Als gläserne, digitale Regierungsfigur soll Diella unlautere Geschäfte unterbinden. Der Vorgang ist weltweit einzigartig. Inzwischen blicken Medien aus aller Welt gespannt auf das KI-Experiment.
Doch ein Algorithmus im Ministeramt wirft brisante Fragen auf: Wer kontrolliert Diella, wer programmiert sie? Wie nachvollziehbar können die Entscheidungen einer KI sein? Kann Künstliche Intelligenz wirklich regieren – oder droht damit Menschen der Kontrollverlust an eine digitale Macht?
„Geboren“ wurde Diella laut Webseite der albanischen Regierung am 19. Januar 2025. Nach dieser Logik hat Albaniens Nationale Agentur für Informationsgesellschaft sie zur Welt gebracht. Die Behörde unter direkter Aufsicht des Premierministerbüros kümmert sich um die Digitalisierung des albanischen Staates. Entwickelt wurde Diella in Kooperation mit Microsoft und OpenAI, den Betreibern von ChatGPT. Technisch funktioniert sie als sogenanntes Large Language Model: ein Computer-Superhirn, das durch Lesen riesiger Textmengen Sprache versteht. Es kann chatten, erklären und wirkt manchmal fast wie ein Mensch.
Zunächst startete Diella als virtuelle Assistentin auf der digitalen Verwaltungsplattform e-Albania. Als Chatbot beantwortete sie Bürgeranfragen und führte Antragsteller Schritt für Schritt durch Verwaltungsprozesse. Wenige Monate später führte die Regierung „Diella 2.0“ ein. Die KI erhielt ein Gesicht, einen animierten Avatar in traditioneller albanischer Tracht, für den die albanische Schauspielerin Anila Bisha Modell stand und ihre Stimme lieh.