McKenna ist 24 Jahre alt und lebt in einem ländlichen, konservativen Bundesstaat der USA. Nach einem Jahr der Selbstsuche wollte sie eigentlich wieder Männer treffen. Für das vergangene Wochenende hatte sie zwei erste Dates geplant, aber nach Donald Trumps Wahlsieg sagt sie beide ab.
„Es bricht mir das Herz, zu wissen, dass man in diesem Land nur zählt, wenn man ein heterosexueller weißer Mann ist“, sagt sie. „Es ist niederschmetternd, dass wir an diesem Punkt angelangt sind. Darum werde ich nicht zulassen, dass mich ein Mann anfasst, bis ich meine Rechte wieder habe.“
Ehe, Dates, Sex, Geburt: Alles tabu
McKenna, deren Nachname anonym bleibt, hörte vor einigen Monaten in einem TikTok-Video erstmals von 4B, einer Bewegung aus Südkorea. Die Grundidee: Frauen schwören heterosexuellen Ehen, Dates, Sex und Geburten ab, um gegen institutionalisierte Frauenfeindlichkeit und Missbrauch zu protestieren. Der Name 4B bezieht sich auf diese vier spezifischen Tabus. Das Internetphänomen begann 2018 mit Protesten gegen Rachepornos und entwickelte sich schnell zu Südkoreas #MeToo-Bewegung. Nach Trumps Wahlsieg erinnerte sich McKenna an die 4B-Bewegung – und sie ist nicht die einzige in den USA.
Trumps Unterstützung durch Figuren der „manosphere“ wie Joe Rogan, den Nelk Boys und Adin Ross bedeutet, dass er unter ihren Followern – hauptsächlich jungen Männern – starken Rückhalt hat. Für junge Frauen bedeutet die lange Geschichte der Frauenfeindlichkeit des ehemaligen Präsidenten jedoch, dass eine Stimme für Trump eine Stimme gegen den Feminismus ist – auch, weil reproduktive Rechte ein zentrales Wahlkampfthema waren.
Vor den US-Wahlen sagten Experten eine historische Geschlechterkluft im Wahlverhalten voraus, und Umfragen am Wahltag bestätigen diese Vorhersage: Frauen im Alter von 18 bis 29 Jahren wählten mit überwältigender Mehrheit demokratisch, während Trump im Vergleich zu 2020 bei Männern dazugewann.
Seit Trump das Rennen gemacht hat, bieten TikToks mit hunderttausenden Aufrufen Frauen eine Möglichkeit, sich zu rächen: 4B, beziehungsweise den Kontaktabbruch mit Männern.
Männer-Boykott als Rache für den Trump-Sieg
„Mädels, es ist Zeit, alle Männer zu boykottieren! Ihr habt eure Rechte verloren, und jetzt verlieren sie das Recht auf Sex! Die 4B-Bewegung beginnt jetzt!“, schreibt eine TikTokerin in einem Video mit fast dreieinhalb Millionen Ansichten.
In einem anderen Clip trainiert eine Frau auf einem Stepper. „Ich baue meinen Traumkörper, den in den nächsten vier Jahren kein Mann anfassen wird“, lautet der Text unter dem Video. Der Top-Kommentar zu ihrem Beitrag: „Im Club sind wir alle zölibatär.“
Am Mittwoch nach der Wahl stiegen die Google-Suchanfragen nach „4B“ in den USA um 450 Prozent, wobei das größte Interesse aus Washington DC, Colorado, Vermont und Minnesota kam.
In Südkorea begann 4B während nationaler Proteste gegen die Spycam-Epidemie, bei der Täter ihre Opfer – meist Frauen – beim Sex oder Urinieren in öffentlichen Toiletten ohne deren Wissen oder Zustimmung filmten.
Männer tauschten heimliche Toiletten-Videos auf Discord
„Diese Videos wurden von Männern auf Discord verkauft und ausgetauscht, und die Frauen wussten nicht, wie viele Männer daran teilnahmen, oder ob ein Mann aus ihrem Umfeld beteiligt war“, sagte Min Joo Lee, Assistenzprofessorin für Asienwissenschaften am Occidental College. „Damals herrschte Verunsicherung: ‚Wem kann ich vertrauen? Und bevor ich mein Vertrauen in Männer zurückgewinne, muss ich den Kontakt mit ihnen vermeiden.‘“
Aus den Demonstrationen entstand eine Bewegung gegen das Patriarchat im Allgemeinen. Einige Aktivistinnen schnitten sich die Haare oder weigerten sich, Make-up zu tragen, um Schönheitsideale und den männlichen Blick abzulehnen.
Südkorea hat die niedrigste Geburtenrate der Welt, was unter anderem auf hohe Lebenshaltungskosten, das Primat der Arbeit gegenüber dem Privatleben und eine geringere Zahl von Eheschließungen zurückzuführen ist. Einige Unternehmen und Regierungsbehörden bieten Anreize für Eltern: So ermöglicht eine Unternehmensgruppe ihren Mitarbeitenden mit drei oder mehr Kindern ein kostenloses Auto, und ein großer Baukonzern gab 5 Millionen Dollar aus, um Arbeitnehmenden, die Babys bekommen, 75.000 Dollar in bar zu schenken.
In Busan, der zweitgrößten Stadt des Landes, veranstaltete ein staatlich gefördertes Pilotprogramm Blind-Dating-Events, bei denen Singles für jedes Match 600 Dollar erhielten. Diejenigen, die heirateten oder mit ihren Partnern ein Haus kauften, steckten bis zu 85.000 Dollar ein.
Südkoreas Präsident macht Feminismus für Wirtschaftsprobleme verantwortlich
Wie auch bei #MeToo in den USA bezeichneten Männer in Südkorea 4B als Überreaktion und Diskriminierung. Der konservative Präsident Südkoreas, Yoon Suk-yeol, forderte in seinem Wahlkampf die Abschaffung des Ministeriums für Gleichstellung und Familie, das vor geschlechtsbezogener Gewalt und Diskriminierung schützt. Feministinnen seien für die wirtschaftlichen Probleme des Landes verantwortlich, sagte er.
Haein Shim, eine südkoreanische Aktivistin und derzeitige Studentin am Clayman Institute for Gender Research der Universität Stanford, schrieb in einer E-Mail, dass Frauen, die an 4B-Protesten teilnahmen, Cybermobbing, Belästigung, Stalking und Gewaltandrohungen ausgesetzt waren. „Viele von uns trugen Masken, Sonnenbrillen und Hüte, um unsere Gesichter zu verdecken, und es war üblich, sich vor und nach einer Demo unterschiedlich zu kleiden, um das Risiko von Stalking zu minimieren.“
Es gibt auch differenzierte Kritik an 4B. „Einige diskutierten, ob es eine nachhaltige Art des Feminismus sei, sich völlig von Männern abzuschotten. Und einige Leute glauben, dass es produktive Gespräche zwischen Menschen mit unterschiedlichen Weltanschauungen geben muss, damit die Gesellschaft vorankommt“, so Lee. Feministinnen äußerten auch Bedenken darüber, dass 4B „die Bedürfnisse heterosexueller Frauen missachtet, um Männer zu bestrafen, die sich nur vielleicht an Frauenfeindlichkeit beteiligt haben.“
4B stiftet Solidarität zwischen Frauen
Haein Shim meint jedoch, dass 4B über einen bloßen Boykott von Männern hinausgeht und Frauen zu gegenseitiger Solidarität ermutigt. „Es ist ein neuer Lebensstil, der sich darauf konzentriert, sichere Gemeinschaften aufzubauen, sowohl online als auch persönlich, und unsere Existenz in dieser verrückten Welt zu schützen“, sagt sie. „Wir wollen nicht einfach als die Frau oder Freundin irgendeines Mannes abgestempelt werden, sondern die Unabhängigkeit haben, frei von gesellschaftlichen Erwartungen zu leben.“
4B erinnert an feministische Gruppen der zweiten Welle der 1960er und 70er Jahre wie Cell 16, die das Zölibat und die Trennung von Männern befürworteten. Die zeitgenössischere Onlinebewegung 4B ist für Frauen der Generation Z jedoch zugänglicher. Auf TikTok wirken 4B-Posts gemeinschaftlich und therapeutisch. Sie sind in Zeiten, in denen Grundrechte auf dem Spiel stehen, eine Möglichkeit, die Kontrolle zurückzuerobern.
Derweil erregen Südkoreas Fruchtbarkeitsprobleme auch die Aufmerksamkeit des Trump-Verbündeten Elon Musk. Der Tesla-CEO hat mindestens elf lebende Kinder (ein Sohn starb 2002 im Säuglingsalter). Er sieht Pronatalismus, die enthusiastische Befürwortung der Fortpflanzung, als den Weg, die Menschheit vor dem „Bevölkerungskollaps“ zu retten. Als sich Taylor Swift diesen Sommer für Kamala Harris aussprach, bot er ihr unaufgefordert an, sie zu schwängern. Musk sieht Südkoreas sinkende Fruchtbarkeitsrate als Schreckensszenario für Amerika, wenn die Bürger sich nicht damit beschäftigen, Babys zu zeugen.
Rechtsextreme tweeten „Dein Körper, meine Entscheidung“
Elon Musk ist der archetypische 4B-Feind, aber er ist nicht der einzige. Rechtsextreme Online-Persönlichkeiten wie Nick Fuentes, ein weißer Rassist, der Hitler lobt und seine „ideale Frau“ einmal als 16 Jahre alt beschrieb, feierten Trumps Wahlsieg auf X und twitterten: „Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den Männern dafür zu danken, dass sie dieses Land vor dummen Schlampen gerettet haben, die die Welt zerstören wollten, um ihre Abtreibungsrechte zu erhalten“, und „Dein Körper, meine Entscheidung. Für immer.“
Diese gewalttätige Rhetorik, die unter Trumps rechtsextremen Unterstützern verbreitet ist, wird die Mehrheit der jungen Amerikanerinnen nicht gerade davon überzeugen, dass sie momentan mit Männern ausgehen sollten.
Im Moment ist sich McKenna nicht sicher, wie 4B nach der Wahl für sie aussehen wird. Sie möchte mehr über die Community recherchieren. Sie schwört dem Sex nicht für immer ab oder legt ein Zölibatsgelübde ab. „Wenn ich jetzt mit meinen Freundinnen ausgehe und mich unter Leute mische, werde ich kein Date suchen, sondern Veränderung einfordern“, sagt sie. „Und wenn Männer mich anmachen, werde ich mich wehren.“