Kate Winslet ist „Die Fotografin“: Nackt in Hitlers Badewanne

Elizabeth „Lee“ Miller war eine schillernde Persönlichkeit. Sie stand in den 1920er-Jahren als Fotomodell in New York vor der Kamera, begann in Paris selbst für Modemagazine wie Vogue zu fotografieren und wurde schließlich Kriegsfotografin. Wer ihren Namen in die Suchmaschine eingibt, wird auf ein Schwarzweißbild stoßen, auf dem sie nackt in einer Badewanne sitzt. Sie putzt sich mit einem Waschlappen die Schulter, auf der Fußmatte liegen schlammige Stiefel und am hinteren Wannenrand steht ein Porträt von Adolf Hitler. Aufgenommen wurde das Bild am 30. April 1945 von ihrem Kollegen und Freund David E. Scherman vom Life-Magazin, kurz nach der Besetzung von Hitlers Münchener Privatwohnung durch die GIs.

Wie ist dieses Foto, das Miller und Scherman in der Führer-Badewanne inszeniert haben, entstanden? Ellen Kuras erzählt es in Die Fotografin als spontane Aktion. Miller (Kate Winslet) und Scherman (Andy Samberg) kommen in die von Soldaten bevölkerte Wohnung am Prinzregentenplatz, nachdem sie zuvor ausgemergelte Menschen und Leichenberge in Güterwaggons nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau fotografiert haben. Miller, innerlich und äußerlich vom Krieg gezeichnet, findet das saubere Badezimmer, holt ihren Kompagnon dazu, zieht sich aus und beginnt, die Gegenstände für das Bild zu drapieren: künstlerische Inszenierung und grausame Realität berühren sich.

Als Frau ausgeschlossen

Leider findet Kuras, die als Kamerafrau für Filme wie Coffee and Cigarettes oder Vergiss mein nicht! bekannt ist, in ihrem Biopic paradoxerweise selten vielsagende Bilder. Vieles, was interessant wäre, wird nur am Rand angerissen: Fragen zur Moral der Bilder, wie sie zuletzt in Alex Garlands Civil War subversiv gestellt wurden. Oder auch zu den psychischen Wunden einer Frau, die an vorderster Front Dinge fotografierte, die niemand sehen wollte, deren Dokumentation für die Aufklärung aber essenziell ist. Ein eindrückliches Psychogramm war Matthew Heinemans Biopic A Private War über die amerikanische Kriegsjournalistin Marie Colvin, die 2012 bei einem Artillerieangriff im syrischen Homs ums Leben kam. Demgegenüber flüchtet sich Kuras in eine uninspirierte Konventionalität, die nicht so recht zur kantigen Kriegsfotografin Miller passen will.

Eingebettet in eine Rahmenhandlung, in der ein junger Journalist (Josh O’Connor) die dem Alkohol zugeneigte, betagte Miller interviewt, springt der Film durch die Erinnerungen der Frau und hangelt sich an ihren Fotos entlang. Ende der 30er-Jahre in Frankreich verbringt Miller, die von sich selbst sagt, sie sei gut im Trinken, beim Sex und beim Fotografieren, die Nachmittage barbusig im Garten mit ihren Künstlerfreunden, darunter die Journalistin Solange D’Ayen (Marion Cotillard), der surrealistische Dichter Paul Éluard (Vincent Colombe) und seine Frau Nusch (Noémie Merlant). Dort verliebt sie sich in ihren zukünftigen Ehemann, den britischen Künstler Roland Penrose (Alexander Skarsgård) und landet recht schnell mit ihm in einer gemeinsamen Wohnung in London.

Miller erarbeitet sich Fotoaufträge bei der Vogue-Herausgeberin Audrey Withers (Andrea Riseborough) und beginnt, die Gräuel des Zweiten Weltkriegs zu dokumentieren, als dieser Großbritannien erreicht und der „London Blitz“ über die Stadt, in der sie lebt, hinwegfegt. Getrieben von Ehrgeiz und dem Kampf für die Aufklärung begibt sich Miller schließlich gemeinsam mit dem jüdischen Fotografen Sherman nach Frankreich und Deutschland, um den Kampf der Alliierten in der bretonischen Hafenstadt Saint-Malo, die Spuren der Verwüstung in Paris und weitere Gräuel der Nazis zu dokumentieren.

Was Kuras’ seltsam biederes Biopic dennoch auszeichnet, ist die zwischen Exzess, Kaltschnäuzigkeit und Sensibilität changierende Kate Winslet und die dezidiert feministische Perspektive in einem männlich konnotierten Umfeld. Miller musste sich ihre Rolle als Kriegsfotografin erkämpfen und durfte, weil das britische Militär keine Frauen zuließ, nur dank ihres amerikanischen Passes an die Front. Kuras zeigt auch, wie die Fotografin sich als Mann verkleidet Zutritt zu militärischen Besprechungen verschafft oder wie sie immer wieder besonders weibliche Themen und Frauen in den Blick nimmt. Als sie auf einem britischen Stützpunkt als Frau ausgeschlossen wird, fotografiert sie in einer schönen Szene in einer Frauenbaracke zum Trocknen aufgehängte Strümpfe und Unterwäsche und schließlich eine Pilotin, die im Türrahmen posiert.

Nachdem Millers Sohn Antony Penrose erst 1997, 20 Jahre nach dem Tod seiner Mutter, ihren Nachlass auf dem Dachboden der Familienfarm fand, ist Die Fotografin hoffentlich nur der Beginn von weiteren filmischen Auseinandersetzungen mit der Fotografin. Der Titel ihrer Reportage mit Fotos aus dem KZ Buchenwald, die im Juni 1945 gegen einige Widerstände in der amerikanischen Vogue erschien, trifft jedenfalls direkt in unsere von geschichtsrevisionistischen Strömungen durchzogene Gegenwart: „Believe it“.

Eingebetteter Medieninhalt

Die Fotografin Ellen Kuras GB/USA 2023, 119 Minuten

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