Bloß vierte Kraft hinter dem neuen Bündnis Sahra Wagenknecht: Die Brandenburger haben der CDU und ihrem trotz des Misserfolgs nun auch offiziell gekürten Kanzlerkandidaten Friedrich Merz eine Demutslektion verpasst. Es wäre fahrlässig, den Dämpfer nur mit landespolitischen Gegebenheiten – der Polarisierung zwischen dem beliebten SPD-Amtsinhaber und der starken AfD – zu erklären. Der Zulauf der Jüngeren zur AfD ist für Merz’ bundespolitische Ambitionen ein schlechtes Zeichen, ebenso die großen Zweifel der Wähler, die Union werde die irreguläre Migration besser in den Griff bekommen als die Ampel.
Als Bundeskanzler will Merz „Deutschland wieder nach vorne bringen“ mit „guter und mutiger Politik“, wie er in einer Anzeige die F.A.Z.-Leser jetzt wissen lässt. Geht es nach ihm, soll im Bundestagswahlkampf nicht die Flüchtlingskrise das beherrschende Thema sein, sondern die Frage, wie Deutschland wirtschaftlich wieder stark wird und seinen Wohlstand sichern kann. Auf diesem Feld hat die zerstrittene Ampelkoalition alles Vertrauen verspielt, ihre Wirtschaftsinitiative kommt nicht voran. Düstere Wirtschaftsdaten und Arbeitsplatzsorgen sind günstig für Merz, der seine Karriere als Wirtschaftspolitiker begonnen und in der Finanzbranche gearbeitet hat. Er darf hoffen, dass viele Bürger ihm ökonomische Kompetenz zubilligen.
Allein auf die Konjunkturflaute sollte Merz nicht setzen und sich inhaltlich endlich aus der Deckung wagen. Diffus propagiert er ein „faires Steuersystem, gerechtes Sozialsystem und eine wirkungsvolle Klimapolitik“. Das wollen von links bis rechts außen alle Parteien, jede versteht darunter grundlegend anderes. Auch das neue Grundsatzprogramm der CDU ist trotz starker Bekenntnisse zu Freiheit und Sozialer Marktwirtschaft interpretationsbedürftig. Wähler wissen nicht, welche Politik sie mit einer Merz-Union bekommen würden.
Klartext zur Energiepolitik wäre nötig
Solange seine Kandidatur unsicher war, war Merz’ opportunistische Unschärfe hinnehmbar. Jetzt sät sie Zweifel, wofür er wirklich zu kämpfen bereit ist. Er sollte noch einige Pflöcke einschlagen, bevor die Bürger ins Grübeln geraten. In der Finanzpolitik steht Merz immerhin erfreulich klar zur Schuldenbremse, obwohl viele Unionsministerpräsidenten für eine Lockerung werben. In der Steuerpolitik mangelt es an solcher Klarheit, hier ist der zur reinen Mittelstandslast gewordene restliche Solidaritätszuschlag ein Reizwort. Der Union stünde es unter Steuerfachmann Merz gut an, zu sagen, ob sie die Sondersteuer beibehalten will – und was sie plant, um die im internationalen Vergleich hohen Steuern der Unternehmen zu senken. Genauso wichtig wäre Klartext, mit welcher Energiepolitik eine Unionsregierung die Strompreise dämpfen will.
Am heikelsten wird eine Positionierung in der Renten- und Pflegepolitik. Die Sozialkassen laufen auch dank der Leistungsverbesserungen unter Merkel ins Defizit, die Ampel hat draufgelegt, Beitragssätze steigen. Merz sitzt der Sozialflügel im Nacken, der Festlegungen auf Reformen verhindern will, die Ausgaben dämpfen. Ohne solche Zusagen müssen jüngere Wähler befürchten, dass ihnen auch die Union zu wenig Netto vom Brutto lässt, um aus eigener Kraft eine gute Zukunft aufzubauen. Mut tut not zu einer Politik, die auch den Älteren etwas zumutet. Respekt, wenn Merz das wagt!