Kamala Harris verliert wegen jener Israel-Politik an Zustimmung

Analyst*innen in den USA führen rückläufige Umfragewerte für die demokratische Bewerberin auch auf den US-Anteil an der israelischen Kriegsführung zurück. Besonders arabischstämmige Wähler*innen entziehen der Demokratin ihre Sympathien


Für Benjamin Netanjahu ist eine Wahl Donald Trumps am 5. November wünschenswert

Foto: Michael M. Santiago/Getty Images


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Normalerweise ist Außenpolitik bei US-Wahlen kein heißes Thema, doch beim Rennen ums Weiße Haus 2024 ist sie ein heikles – und das zuungunsten von Kamala Harris. Der Umgang mit der anhaltenden Gaza-Zerstörung, dem Schicksal der von der Hamas verschleppten Geiseln, mit dem Krieg im Libanon, der israelisch-iranischen Eskalation und der wachsenden Präsenz von US-Militärs in der Region ist schwierig für die Demokratin. Dagegen passen Kriege und Kriegsgefahr in Donald Trumps Drohkulisse vom Chaos, an dem Joe Biden schuld sei, sowohl in Nahost wie in der Ukraine. Unter Harris drohe ein Dritter Weltkrieg, unter einem Präsidenten Trump wäre das alles nicht passiert.

Harris ist nur Vizepräsidentin, sie muss mit Blick auf den Wahltag am 5. November ein Lagebild zurechtrücken, das ihr Chef verantwortet. Dazu gehört das Beschwichtigen, bei dem gewiss keine Mehrheiten auf dem Spiel stehen, doch fällt bei dem erwartet knappen Wahlausgang eine relativ kleine Zahl Abtrünniger ins Gewicht. Bidens Politik hat Israel militärisch gestärkt, sie lässt sich selbst bei wohlwollendster Analyse nicht als Agenda verkaufen, die langfristig Frieden schafft. Die New York Times schrieb vor wenigen Tagen, selbst hochrangige Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums seien geteilter Meinung darüber, ob die verstärkte US-Präsenz in der Region die Kriege eindämmt oder entflammt.

Wie oft hat Biden Israel zur Mäßigung aufgefordert und von Waffenstillstandsverhandlungen gesprochen und zugleich der israelischen Armee Waffen geliefert? Den Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 stellte er in den Kontext des Mordens der Nazis und sprach vom „tödlichsten Tag“ für das jüdische Volk seit dem Holocaust. Kürzlich zeigte sich Biden gegenüber Reportern geradezu beleidigt, als er über Israels Premier Benjamin Netanjahu sprach. Dieser solle bedenken, dass „keine Regierung“ Israel mehr geholfen habe als seine. „Keine. Keine. Keine.“

Auf die Frage, ob Netanjahu mit seinem Nein zur Waffenruhe die Wahlen in den USA beeinflussen wolle, sagte Biden: „Ich weiß nicht, doch ich verlasse mich nicht darauf.“ Der demokratische Senator Chris Murphy meinte bei CNN, es sei „durchaus eine Möglichkeit“, dass Israels Regierung vor der US-Wahl kein „diplomatisches Abkommen“ unterzeichnen werde, um dadurch das Ergebnis zu beeinflussen. Eine Feuerpause würde den Demokraten politisch nützen, Donald Trump wäre für Netanjahu vermutlich unkomplizierter.

Kamala Harris war Anfang Oktober in Michigan, einem der sechs oder sieben „Swing States“. Sie habe bei Treffen mit Bürgern arabischer Herkunft Besorgnis ausgedrückt über zivile Opfer und die Vertreibung im Libanon, hieß es. Biden hat diesen Staat 2020 mit einem Vorsprung von 80.000 Stimmen gewonnen. Die auf 200.000 bis 250.000 Wähler geschätzte „arabische Community“ stimmte mehrheitlich für Biden. Heute sind in diesen Milieus die Werte für Harris eingebrochen. Noch vor Jahren hätten sich Arabischstämmige mehrheitlich mit den Demokraten identifiziert, berichtet das Arab American Institute. Mittlerweile lägen Harris und Trump gleichauf. Wähler gegen Bidens Israel-Politik stehen im Niemandsland. Das gilt auch für Studenten mit ihren Protestcamps. Sie fragen sich: Harris wählen trotz alledem, in der Hoffnung auf mehr Diplomatie, oder besser nicht wählen gehen?

Mehr 2.000-Pfund-Bomben

Donald Trump, der als Präsident eine muslimische Migration in die USA verbieten will, hat sich für einen israelischen Angriff auf iranische Atomanlagen ausgesprochen. Biden ist dagegen, wie er auch Schläge auf die Ölförderung ablehnt. Ob Netanjahu zugehört hat, weiß man nicht. Republikaner plädieren für mehr Waffentransfer nach Israel. Michael McCaul, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Repräsentantenhaus, hat an Biden appelliert, mehr „2.000-Pfund-Bomben“ zu liefern. Eine davon habe Hisbollah-Anführer Hassan Nasrallah getötet.

Den harten Kern der republikanischen Wählerschaft bilden weiße evangelikale Christen, von denen viele eine biblische Rechtfertigung sehen für die Unterstützung Israels. Ebenso für die Wahl von Donald Trump, den bisher „die Hand der Vorsehung und die Gnade Gottes“ geschützt hätten. Es geht im Wahlkampf um Gefühle und Stimmungen, kaum um Details. Harris ist vorsichtig, geht nirgendwo auf Distanz zu Biden. Trump und sein Vize JD Vance lügen, etwa mit der Behauptung, der Gouverneur des von einem Hurrikan schwer getroffenen Staates Georgia habe Joe Biden nicht erreichen können. Millionen Amerikaner haben in Staaten mit großzügigem Wahlmodus bereits ihre Stimmzettel abgegeben. Kaum vorstellbar, dass es noch viele Unentschlossene gibt, eher Unmotivierte. Das ist bei allem anfänglichen Kamala-Enthusiasmus wohl mehr ein demokratisches als ein trumpistisches Problem.

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