Elvis ist weg. Er saß immer am Tresen, meistens mit dem Rücken zum Saal und dem Blick auf den Zapfhahn. Manchmal drehte er sich auch um oder wenigstens zur Seite und machte etwas Konversation (oder Experimente mit seiner Frisur). Elvis war ein großer weißer Kakadu. Er muss steinalt gewesen sein. Wolfgang Rihm erinnerte sich vor dreieinhalb Jahren an seinem siebzigsten Geburtstag noch, dass er Elvis schon seit Äonen kannte: „Bei jeder Abreise aus Amsterdam habe ich ihn kurz besucht.“ Elvis lebte im Grand Café von Amsterdam Centraal, einem der schönsten Bahnhofsgebäude der Welt.
Und auch das Café, mit seinen Palmen, dem sandel-mahagoni-goldenen Interieur und den Kellnern samt frisch gestärkten weißen Handtüchern überm Arm war ein letztes Souvenir der belle époque hollandaise. Man konnte nirgends schöner als dort bei einer Pinte malzigen Bieres auf seinen Zug warten und die Augen dabei über die Dächer und Türme Amsterdams wandern lassen. Das Grand Café war ein Ort zum Spazierensitzen – in der beruhigenden Gesellschaft von Elvis, dem Geduldigen, diesem Vorbild an Gelassenheit gegenüber der ruhelosen Menschheit. Sein Konterfei war in Delfter Blau auf weißer Emaille sogar auf dem Verrichtungsgeschirr der Toiletten verewigt. Selbst das ließ er also an sich, nun ja, abperlen.
Nun ist das alles freilich Geschichte. Das Grand Café musste schließen. Zum Herbst unseres Missvergnügens teilt ein Schild an der Tür mit, dass das Betreiberkonsortium im August „seinen Bankrott“ hat erklären müssen. Wieder ein Glückstier weniger auf der Welt!
Schon vor einigen Jahren hatte uns Boluś verlassen, der Hund der Caseburger Fähre in Swinemünde. Boluś war ein Schäferhund, den – so erzählten es die polnischen Fährmänner – sein Besitzer an der Fähre über die Kaiserfahrt, also die Begradigung der Swine, ausgesetzt hatte. Die Fährmänner adoptierten Boluś, aber das Tier, getreu bis in den Tod, inspizierte über Jahre hinweg jedes Auto auf der Fähre genau, ob sein Herrchen nicht doch darinnen sitzen und es endlich wieder zu sich nehmen würde. An den organisierten Bettlerbanden von Bachen, die ihre Frischlinge zwecks Erschleichung stark verarbeiteter Lebensmittel zu den wartenden Autos trieben, hatte der Hund hingegen kein Interesse. Dann starb Boluś. Und vor zwei Jahren wurde die Fähre wegen des neuen Tunnels unter der Swine überflüssig.
Ob Boluś das geahnt hat? Katzen sagt man ja auch nach, Erdbeben schon zwanzig Stunden vorher spüren zu können. Tiere, denen der unglückliche Nietzsche andichtete, nur in der Gegenwart zu leben, haben manchmal ein besseres Gespür für die Zukunft als wir. Sollte also auch Elvis rechtzeitig über den Jordan oder in die ewigen Jagdgründe oder wohin auch immer geflattert sein? Ach Quatsch! Das Sprichwort sagt ja: Elvis lebt!
Source: faz.net