Jugendliebe | Seán Hewitts Roman „Öffnet sich welcher Himmel“ erzählt eine schwule Coming-of-Age-Geschichte

Seán Hewitts Roman „Öffnet sich der Himmel“ ist eine wunderbar erzählte Geschichte von jungen Menschen auf dem Land. Voller Sehnsucht, Sinnlichkeit und lyrischer Sprache, die Licht, Natur und Glückseligkeit auf poetische Weise vereint


Seán Hewitts lyrisches Werk widmet sich mit Vorliebe den Blumen. Das merkt man auch der Schönheit seiner Prosa an

Foto: Tim Graham, gettyimages


Junge Menschen, die vom Dorf in die Metropole ziehen, haben mit der eigenen Lebenserfahrung Zugriff auf ein gesellschaftliches Strukturmerkmal: den Gegensatz von Stadt und Land. Der Konflikt artikuliert sich persönlich als Ablehnung der bornierten Heimat, die einen aber zyklisch zurückzieht – zu Weihnachten, Hochzeiten und Beerdigungen. Es ist diese existenzielle Spannung, die Seán Hewitts Roman Öffnet sich der Himmel als schwule Liebesgeschichte entfaltet.

Der Bibliothekar James findet durch Zufall auf einer Immobilienplattform einen Bauernhof in seinem südenglischen Heimatort. Es ist nicht irgendein Haus, sondern der Hof, auf dem er sich zum ersten Mal verliebt hat. Mit dem Auto legt James die Strecke zwischen der Großstadt und dem kleinen Thornmere zurück, vorbei an Kirchen und Feldern, und in Gedanken wieder zu dem Kind werdend, das im Bus sitzt und durchs Fenster schaut auf Ortschaften, deren Abfolge ihm so natürlich vorkommt wie die Jahreszeiten.

Die Sexualität verspricht einen Ausbruch

Man kann es für ein Manko halten, dass diese rückerinnernde Erzählform nur als Rahmen dient und die Sicht der eigentlichen Handlung dem 16-Jährigen James folgt. Denn das Unbehagen des Jungen findet naturgemäß nicht die Reflexion und Ausdruckskraft, über die der Erwachsene verfügt. Der Heranwachsende ist sehr auf die hochrutschenden T-Shirts seiner Mitschüler fixiert. Aber die Erzählung gewinnt mit seiner Perspektive auch an Dichte und reproduziert die klaustrophobische Enge, die dem Elternhaus so eigen ist wie der Stadt Thornmere, und aus der die Ahnung von Sexualität einen Ausbruch verspricht.

Die angestaute Wut und das Begehren des jungen James konzentrieren sich auf Luke, der zu Hause etwas angestellt hat und darum eine Zeit bei der Verwandtschaft auf dem Land verbringen soll. Luke ist etwas älter, er raucht ganz selbstverständlich im Kuhstall – perfekte Voraussetzungen also, um sich in ihn zu verlieben. Durch Luke öffnet sich für James der Himmel, die Verheißung des Lebens, die Möglichkeit einer anderen Welt. So ist der Titel zu verstehen, ein direktes Zitat von William Blake. Der veröffentlichte 1810 das epische Gedicht Milton, dessen von Göttern und Sünde handelnde Sprachgewalt vom Maler Blake farbenfroh illustriert wurde. Die Erstausgabe von Milton zeigt viele nackte Männer; auch miteinander beim Oralverkehr.

Hier kann man in der Sprache schwelgen

Hewitts Ich-Erzähler versucht gelegentlich, an die blakesche Monumentalität anzuknüpfen, James benutzt wuchtige Worte wie Erlösung oder Freiheit. Wohl deshalb nennt der Guardian das Buch ein „transzendentes Porträt schwulen Begehrens“. Liest man über die abgegriffenen Formulierungen hinweg, kann man sich über eine sprachlich gelungene Erzählung freuen, die schöne Stellen dort besitzt, wo sich ein hyperkonkreter Blick auf anschauliche Dinge wie das Leuchten eines Fernsehers richtet.

Man ahnt dann, warum der 1990 geborene Hewitt bereits vor diesem seinem Debütroman als Lyriker bekannt war. Für die in mehrere Sprachen übersetzte Gedichtsammlung „Tongues of Fire“ wurde er 2021 mit dem Laurel Prize ausgezeichnet. Hewitts lehrt am Trinity College und ist Fellow der Royal Society of Literature.

Sein lyrisches Werk widmet sich mit Vorliebe den Blumen. Diese Naturverbundenheit erzeugt in der zweiten, optimistischen Hälfte des Romans die Sommerstimmung: „Der Sonnenschein war diffus, und Speere aus Licht brachen durch die hohen Äste vor mir, wenn der Wind sich zwischen ihnen regte, erzeugten flinke kleine Sterne, die durch die neu gesprossenen Blätter schimmerten, und ich überlegte, wie wir das Brett an der Seilschaukel befestigen könnten und stellte mir dann Luke und mich vor, gemeinsam über der Senke, in der Luft, die Glückseligkeit.“

Eine Welt der Turnhallen, des Fischefangens und der Masturbation. Wer schwelgen möchte, ist hier richtig.

Öffnet sich der Himmel Seán Hewitt Suhrkamp, 283 S., 25 Euro

älterästeBlakeBlumenBuchBusEuroFreiheitGeschichteJamesKindKirchenLuftMANMiltonNaturRomanRoyalSSchwuleSehnsuchtSexualitätSpracheSprachenSterneSuhrkampTTimWeihnachtenWELTWilliamWindWutZeit
Comments (0)
Add Comment