Flüchtlinge sollen möglichst schnell arbeiten. Bisher hindern sie daran vor allem fehlende Sprachkenntnisse, während sich Sprachkurse mit Wartezeiten von oft mehreren Monaten und zu hohen Anforderungen an die Teilnehmer eher langwierig gestalteten. Jedenfalls bisher. Denn wenn es nach Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geht, soll damit nun Schluss sein.
Seit Oktober soll der Jobturbo die Hürden verringern: Nach einem sogenannten Integrationskurs des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), der etwa sechs bis acht Monate dauert, sollen Flüchtlinge erste Arbeitserfahrungen sammeln und ihre Sprachkenntnisse währenddessen in sogenannten Berufssprachkursen verbessern. Ausgerichtet ist dieser Kurs am konkreten Arbeitsalltag und den Bedürfnissen von Betrieben und Beschäftigten.
Es ist ein Vorstoß, der grundsätzlich im Interesse der Unternehmen sein dürfte, schneller und unbürokratischer Menschen auf den Arbeitsmarkt zu bringen. Fachkräfte in Deutschland sind knapp. Laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) gab es im dritten Quartal 2023 rund 1,73 Millionen offene Stellen. Gleichzeitig altert die deutsche Gesellschaft. Der Ruf nach Arbeitskräften wird vielerorts immer lauter, besonders im Handwerk und im Einzelhandel. Vor allem Arbeitnehmer mit ausreichenden Sprachkenntnissen werden gesucht.
Sprachkenntnisse sind entscheidend
Ulrich Temps hat das bereits 2012 erkannt. Vor 31 Jahren trat der geschäftsführende Gesellschafter in den Betrieb seiner Eltern ein, heute ist Temps einer der zehn größten Malereibetriebe Deutschlands mit Stammsitz in Neustadt am Rübenberge bei Hannover – mit individuellem Ausbildungskonzept. Angesichts des Fachkräftemangels entwickelte Temps ein Ausbildungszentrum, in dem Flüchtlinge seit 2016 berufsbegleitende Sprachkurse besuchen. „Wir haben schon damals sehr schnell festgestellt, dass das Thema Sprache das A und O ist“, sagt Temps.
Das Unternehmen hat deshalb pensionierte Gymnasiallehrer eingestellt, die mit den Auszubildenden Inhalte aus der Berufsschule nachbereiten. Mit Erfolg: Seit 2018 erlangten rund 50 Auszubildende mit Fluchthintergrund ihren Gesellenbrief. „In der Spitze hatten rund 65 Prozent der Auszubildenden bei temps einen Flucht- oder Migrationshintergrund.“ Der Politik sei man 2016 mit diesem Konzept sieben bis acht Jahre voraus gewesen.
Tatsächlich sind die Wirkungen von bisherigen – nicht berufsbegleitenden – Berufssprachkursen des Bundes auf dem Arbeitsmarkt umstritten. Eine Studie des Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) zeigt sogar, dass ehemalige Teilnehmer auch nach Abschluss eines Kurses seltener erwerbstätig sind als vergleichbare Personen, die keinen Sprachkurs gemacht haben.
Berufsbegleitende Sprachkurse könnten helfen
Der Grund: Berufssprachkurse erfordern viel Zeit und lassen sich nur bedingt mit einer Erwerbstätigkeit kombinieren. Die Ergebnisse der Studie beziehen sich auf einen Zeitraum von Anfang 2017 bis Herbst 2023. Mögliche Auswirkungen des Jobturbos sind noch nicht berücksichtigt. Insbesondere die berufsbegleitenden Sprachkurse könnten jetzt jedoch Abhilfe verschaffen. Und wer auch ohne Deutschkenntnisse eine Erwerbstätigkeit findet, kann direkt arbeiten. So die Vorstellung des BMAS.
Doch Geflüchtete können nach Ansicht des Zentralverbands des Deutschen Handwerks ohne Sprachkenntnisse auf dem Arbeitsmarkt kaum erfolgreich sein. Dieser teilt auf Nachfrage der F.A.Z. zwar mit, dass die Erfahrungen der letzten Jahre gezeigt hätten, dass Flüchtlinge es mit „viel Interesse und großem Engagement schaffen“, sprachliche Barrieren abzubauen, wenn sie neben der beruflichen Tätigkeit einen Sprachkurs besuchen. Ein Einstieg in die Berufstätigkeit im Handwerk ohne Deutschkenntnisse sei hingegen „kaum Erfolg versprechend“.
Insbesondere die Verständigung mit den Kunden sei in diesen Fällen das Problem. Für eine Beschäftigung sei deshalb ein B1-Sprachniveau sinnvoll, für eine Ausbildung empfiehlt der Verband B2, also eine „selbstständige Sprachverwendung“, wie es der gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprache erklärt. Menschen mit diesem Sprachniveau können sich spontan verständigen. Ein Gespräch mit Muttersprachlern soll ohne größere Anstrengung möglich sein.
Anforderungen unterschiedlich
Ähnlich argumentiert der Lebensmitteleinzelhändler Rewe. Hier seien je nach Berufsprofil unterschiedliche Sprachkenntnisse notwendig, teilt ein Sprecher mit: „Für den Berufseinstieg im Bereich Logistik ist es wichtig, Vorschriften, zum Beispiel zu Arbeits- oder Lebensmittelsicherheit, zu verstehen.“ Hier sei ungefähr ein A2-Niveau notwendig.
Bei der Arbeit im Markt sehe es etwas anders aus, Kundenkontakt lautet auch hier das Argument. „Die Mitarbeitenden sollten einfache Kundengespräche führen können, müssen manchmal aber auch Fragen zu Inhaltsstoffen oder Allergenen beantworten. Hier sind deshalb Sprachkenntnisse auf B1-Niveau von Vorteil.“
Generell gilt der Einzelhandel als eine Branche, in der Sprachkenntnisse besonders wichtig sind. Allerdings ist der Fachkräftemangel dort auch überdurchschnittlich stark zu spüren. Insgesamt gelte bei Rewe daher das Motto „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“.
Rewe setzt auf eigene Sprachkurse
Geringere Vorkenntnisse seien grundsätzlich kein Ausschlusskriterium, wenn zum Beispiel selbständige Kaufleute die Ressourcen in ihrem Team haben, Sprachbarrieren aufzufangen und abzubauen. Vor allem der tägliche Kontakt mit Kollegen und Kunden trage dazu bei, dass das Lernen der Sprache nach dem Einstieg erfahrungsgemäß sehr schnell geht. Der Lebensmittelhändler biete in vielen Regionen bestimmte Sprachkurse auch selbst an.
Zuletzt warnte der sächsische Flüchtlingsrat vor negativen Folgen des Jobturbos. Es bleibe zu wenig Zeit für individuelle Qualifizierung. Eine gegebene Prekarisierung könne verstärkt werden, wenn Flüchtlinge vor allem in Helfertätigkeiten vermittelt werden. Bessere Deutschkenntnisse könnten hingegen mit höheren Bildungsqualifikationen und besser bezahlten Tätigkeiten einhergehen.
Auch die Studie des IAW zeigt, dass von Berufssprachkursen sogenannte Qualifizierungsimpulse ausgehen: Personen, die an solchen Sprachkursen teilgenommen hatten, begannen anschließend eher eine Berufsausbildung oder eine Qualifizierungsmaßnahme der Bundesagentur für Arbeit als vergleichbare Nichtteilnehmer.
Arbeit und Sprache miteinander verbinden
„Das Ziel muss sein, dass wir wirklich qualifizierte Facharbeiter ausbilden und sie in die allgemeine Berufswelt integrieren“, sagt Temps. Dazu müsse man Sprache und berufliche Qualifikation gezielt zusammenbringen, um nicht „Tausende Helfer“, sondern tatsächliche Fachkräfte auszubilden.
Wie die Überlegungen des Jobturbos in der Praxis aussehen werden, ist Temps noch nicht ganz klar. Er spüre in seinem Unternehmen noch keine Auswirkungen der neuen Maßnahmen, gleichzeitig befinde sich der Malereibetrieb durch seine eigenen Strukturen und die „sehr individuelle Begleitung der jungen Menschen“ jedoch ohnehin schon auf einem hohen Niveau.
Für kleine Unternehmen sei es schwierig, Ähnliches aufzubauen. Von der Politik fordert Temps in erster Linie Verlässlichkeit: „Das Instrument, was jetzt dort aufgebaut wird, muss dann eben auch mal über ein paar Jahre durchgehalten werden. Es muss gelebter Alltag werden.“