Ursula von der Leyen hat dem auch künftig für Klimaschutz zuständigen Kommissar Wopke Hoekstra gerade noch einmal den Auftrag erteilt, das Verbrennerverbot 2035 auf den Prüfstand zu stellen. In der kriselnden Autoindustrie löst sie damit keine Begeisterung aus. Die hat viel akutere Sorgen als die noch in relativer Ferne liegenden Klimavorgaben für 2035. Die Branche droht die verschärften CO2-Flottengrenzwerte für 2025 zu verfehlen. Der Präsident des europäischen Automobilverbands Acea und Chef der Renault-Gruppe, Lucca De Meo, warnt vor Strafzahlungen von 15 Milliarden Euro, die die Hersteller dann treffen könnten.
An diesem Donnerstag hat Acea die Europäische Kommission aufgefordert, schnell Abhilfe zu schaffen. „Wir brauchen ein Paket aus kurzfristigen Erleichterungen bei den Zielen für 2025 und eine schnelle, umfassende und belastbare Reform der CO2-Vorgaben für Autos und Vans“, betont der Verband. Die bisherigen Regeln berücksichtigten die veränderte geopolitische Lage und die Wirtschaftsentwicklung nicht. Zudem fehlten die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Umstellung auf Elektromobilität, die Ladeinfrastruktur, bezahlbare grüne Energie, steuerliche Anreize und die Versorgung mit Rohstoffen und Batterie.
Ziel müsse sein, sowohl die Dekarbonisierung des Verkehrs voranzubringen als auch die industrielle Zukunft Europas zu sichern, heißt es weiter. Sollten die Hersteller Strafen in mehrfacher Milliardenhöhe zahlen müssen, bleibe ihnen nur die Wahl zwischen der Kürzung der Investitionen in die Verkehrswende oder der Kürzung der Produktion und Arbeitsplatzverlusten.
Gesetz schon 2019 angenommen
Die CO2-Grenzwerte für Autos sinken 2025 von momentan rund 115 Gramm je Kilometer (nach dem neuen, als realitätsnäher geltenden Messverfahren WLTP) auf 93,6 Gramm. Das ist ein Durchschnittswert für alle Fahrzeuge. Die Hersteller haben je nach Art ihrer Flotte individuelle Ziele. Erreichen lassen sich diese meist nur, wenn sie ausreichend Elektroautos verkaufen. Autos mit Verbrenner stoßen zu viel aus. Ein Golf in der Einstiegsvariante mit Benzinmotor und 116 PS Leistung etwa stößt rund 124 Gramm aus. Für einen BMW X5 M Competition weist der Konzern 295 Gramm aus. Das Ferrari-SUV „Purosangue“ mit mehr als 2 Tonnen Gewicht und 725 PS stößt sogar 393 Gramm aus. Im Flottendurchschnitt lag Ferrari zuletzt bei 292 Gramm. Der Nischenhersteller profitiert aber von speziellen Zielen. Grundsätzlich gilt: Wenn die Hersteller ihre Ziele verfehlen, müssen sie für jedes Gramm zu viel je Fahrzeug 95 Euro zahlen. Das könnte nach Schätzungen aus der Branche auf 13 Milliarden Euro für Autos und 3 Milliarden Euro für Vans hinauslaufen.
Unterstützung bekommt die Branche von CDU und FDP. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte am Dienstag auf dem F.A.Z. Mobilitätsgipfel vor einer „Kernschmelze für eine unserer Schlüsselindustrien“ gewarnt und verlangt, die Verschärfung der Grenzwerte auszusetzen. Ähnlich hatte sich zuvor der neue CDA-Vorsitzende und Europaabgeordnete Dennis Radtke geäußert.
Die EU-Vorgaben kurzfristig zu ändern ist allerdings gar nicht so einfach. Das entsprechende Gesetz ist schon 2019 vom Europaparlament und dem Ministerrat angenommen worden. Jede Änderung müsste abermals von beiden EU-Institutionen angenommen werden. Zunächst müsste die Kommission aber erst einmal einen Vorschlag vorlegen. All das ist bis zum kommenden Jahr kaum zu schaffen. Bisher ist auch nicht zu erkennen, dass die Kommission Handlungsbedarf sieht.
„Die Hersteller hatten genug Zeit, um sich vorzubereiten“, heißt es dort zu den Klagen. Innerhalb des Automobilverbands Acea war sogar erwogen worden, eine Verschiebung der Grenzwerte um zwei Jahre auf Basis von Artikel 122 der EU-Verträge zu fordern. Der Verband hat nun aber darauf verzichtet. Der Artikel 122 hätte es den EU-Staaten erlaubt, einen Beschluss am Europaparlament vorbei zu treffen. Er ist eigentlich für wirtschaftliche Notlagen gedacht. Zuletzt wurde er nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine und während der Covid-Pandemie genutzt. Die Überlegungen hatten heftige Kritik bei Klimaschützern hervorgerufen.
Wie weit die Hersteller tatsächlich von den Zielen entfernt sind, ist nicht einfach zu beantworten. Die Europäische Kommission verweist darauf, dass bis 2025 noch viele Elektroautos verkauft werden könnten. Ähnlich argumentiert der Verband „Transport & Environment“. Er spricht von einem „dreisten Vorstoß“. Die Autohersteller hätten in den vergangenen zwei Jahren mehr als 130 Milliarden Euro Gewinn gemacht, betont Geschäftsführer Sebastian Bock.
Die Hersteller hatten auch vor der letzten Verschärfung der CO2-Grenzwerte geklagt. Am Ende haben sie die aber weitgehend eingehalten. VW muste zwar zunächst 223 Millionen Euro zahlen. Das sei aber nur 0,1 Prozent des Umsatzes gewesen, hebt Transport & Environment hervor. Zuletzt hatten alle Hersteller die Ziele allerdings erreicht. Für 2025 sieht das anders aus. Schon jetzt erfüllen die Ziele – abgesehen vom Sonderfall Tesla – nur die chinesischen Hersteller Geely and Saic. BMW und Toyota sind nicht allzu weit entfernt davon. Entsprechend unterschiedlich positionieren sich die einzelnen Unternehmen.
Besonders kritisch ist die Lage für den Renault -Konzern von De Meo. Die Produktion der bisherigen elektrischen Kassenschlager Zoe und Twingo wurde unlängst eingestellt. Das Modell Spring der Tochtergesellschaft Dacia profitiert nicht mehr von der französischen Absatzförderung, da es in China hergestellt wird. Die Franzosen könnten deshalb schon in diesem Jahr das Flottenziel verfehlen, falls der zuletzt gesunkene Elektroautoabsatz nicht wieder anzieht.
Volkswagen steht voll hinter der Acea-Linie. „Jeder in etwaige Strafen investierte Euro wäre ein schlecht investierter Euro“, heißt es in Wolfsburg. Der Konzern arbeite intensiv daran, eine „mögliche Ziellücke“ im kommenden Jahr zu schließen, aber wegen der schwachen Nachfrage nach Elektroautos sei das eine „große Herausforderung“. Nächstes Jahr sinkt die Vorgabe für VW auf weniger als 100 Gramm je Kilometer.
Bei BMW klingt das ganz anders. Das Unternehmen bekennt sich zu den EU-Zielen. Die BMW Group sei zuversichtlich, die verschärften 2025-Ziele zu erreichen. Für eine Anpassung oder Verschiebung gebe es keine Notwendigkeit. Eine kritische Überprüfung der Gesetzgebung mit Blick auf das Verbrennerverbot hält aber auch BMW für nötig.
Für die Beibehaltung der Grenzwerte spricht sich auch der Stellantis -Konzern aus, zu dem Fiat, Peugeot und Opel gehören. Stellantis ist bei Acea ausgetreten. Er habe in der Vergangenheit gesagt, was er von den Grenzwerten halte und was man hätte tun können, aber jetzt müsse man sich dem Wettbewerb stellen, sagte Vorstandschef Carlos Tavares diese Woche in einem Pressegespräch. „Meine Leute sind bereit für den Kampf“, erklärte er angriffslustig. „Derzeit stehen wir in Europa beim Verkauf von batterieelektrischen Personen- und Nutzfahrzeugen auf dem Podium“, hebt Stellantis hervor. Anders als früher müsse Stellantis daher auch keine Gutschriften von anderen Herstellern mehr kaufen, die ihre Ziele übererfüllen. Der natürliche Partner für ein solches Pooling ist Tesla, dessen E-Autos sich andere Hersteller anrechnen lassen können. Tesla lässt sich das allerdings auch bezahlen.
Volkswagen hat schon auf andere Weise reagiert. Der Konzern verteuert seine stark motorisieren Autos mit hoher CO2-Emission sehr viel stärker als die Plug-in-Varianten. Für einen der Bestseller, das SUV Tiguan, etwa wurde der Preis der Dieselversion mit 193 PS und Emissionen zwischen 163 und 172 Gramm um 2500 Euro erhöht. Damit werden die Versionen mit Plug-in-Hybridantrieb relativ gesehen attraktiver. Die haben offiziell einen CO2-Ausstoß von 9 bis 11 Gramm je Kilometer, weil ein Mittel aus der elektrischen Fortbewegung und Einsatz des Verbrennermotors gebildet wird.