Jens Spahn keilt zurück: „Scholz hat die Maskenfinanzierung stets abgenickt“

Der Schadensbegriff ist meiner Ansicht nach falsch herum gedacht. Die Lieferungen wurden ja nicht angenommen, weil es erhebliche Qualitätsmängel gab, das haben die Gerichte auch vielfach bestätigt. Die Kosten wären der Gesellschaft und dem Steuerzahler sofort entstanden, wenn wir die 2 Milliarden Euro für fehlerhaften Produkte einfach bezahlt hätten.

Warum haben Sie im Frühjahr 2020 überhaupt so viele Masken bestellt, mehr als 5 Milliarden Stück. Eine Bedarfsprognose hielt 275 Millionen für ausreichend.

Das mag anfangs eine Einschätzung gewesen sein. Aber 275 Millionen Masken wäre objektiv zu wenig gewesen. Allein 5,5 Millionen Beschäftigten im Gesundheitswesen brauchen 4 Milliarden Masken im Jahr, wenn sie pro Tag nur zwei nutzen. Die Öffentlichkeit hat im März, April 2020 zurecht von mir erwartet, dass wir Vorsorge treffen für eine zweite, dritte oder vierte Corona-Welle im Herbst und Winter. Wir mussten auch einplanen, dass sich China als Hauptlieferland nicht wieder öffnet. Ich will daran erinnern, dass es damals Mangel gab, es gab Not. Die Klinken waren kurz davor abzuschalten. Die Beschäftigen in den Krankenhäusern haben Namen auf ihre Masken geschrieben, weil die so knapp waren. Wir haben diesen Mangel abgestellt.

Seit einem Bericht des Bundesrechnungshofs weiß man allerdings auch , dass nur ein Drittel der Masken wirklich gebraucht wurde. Hat diese Überbeschaffung damals niemand vorausgesehen?

Wir haben immer im Einklang mit Regierung und Parlament beschafft. Ich habe im Haushaltsausschuss das Open-House-Verfahren stundenlang erklärt und dort immer eine Mehrheit für die nötigen finanziellen Mittel bekommen. Und was das Kabinett anbelangt, so waren das Kanzleramt und das Finanzministerium im Beschaffungsstab vertreten. Der damalige Finanzminister und heutige Kanzler Olaf Scholz von der SPD hat die Finanzierung stets mit abgenickt. Ohne Zustimmung des Ministeriums und des Haushaltsausschusses hätte es das Geld ja gar nicht gegeben. Auch die Länder haben gefordert, dass wir Vorsorge treffen. Der Bedarf wurde also breit getragen, von der großen Koalition, vom Bundestag und auch von den Ländern.

Am 20. April 2020, also zu Beginn der Corona-Pandemie, soll es in Ihrem Ministerium eine Sitzung gegeben haben, die vor Überbeschaffung warnte. Stimmt das?

Wenn ich meinen Terminkalender von damals anschaue, war dazu zumindest keine Besprechung mit mir. Aber natürlich erwarte ich von Beamten, dass sie Entscheidungen immer wieder hinterfragen. Mich wundert, dass die Maskendebatte, jetzt wieder hochkommt.

Warum, glauben Sie, ist das ausgerechnet jetzt so?

Offensichtlich wollen einige in der Ampel von ihren eigenen Themen ablenken. Ich finde es fragwürdig, dass mir einzelne Grüne „mutwillige Überbeschaffung“ und „rechtswidrige Vertragsabschlüsse“ vorwerfen: Ich hätte also gewusst, dass wir nicht so viele Masken brauchen und trotzdem bestellt. Das ist doch offensichtlicher Unfug. Wichtiger ist doch die Frage, dass das rechtlich vor Gericht sauber aufgearbeitet wird. Das Bundesgesundheitsministerium hat seit fast vier Jahren eine durchgängig einheitliche Prozessstrategie dazu. Darüber hinaus müssen wir Lehren ziehen, welche Vorsorge man für zukünftige Pandemien betreiben sollte.

Wie interpretieren Sie das Urteil des Oberlandesgerichts Köln?

Das Ministerium, alle beratenden Kanzleien und auch die Beschlüsse des Landgerichts Bonn sehen es anders als das Oberlandesgericht Köln. Das Nachlieferungsrecht der damaligen Maskenhändler in Höhe von mehr als 2 Milliarden Euro, um das es geht, entsteht ja nur dann, wenn sich die völlig neue Rechtsauffassung des 12. Senats in Köln durchsetzt. Dafür muss der kluge Kaufmann Vorsorge treffen, aber es ist noch lange nicht erwiesen, dass die Rechtsauffassung so bleibt. Bisher war die gängige Überzeugung, dass es dieses Nachlieferungsrecht nicht gab, das OLG Köln hat als einziges anders entschieden.

Revision ist nicht zulässig, aber möglicherweise legt Lauterbachs Gesundheitsministerium eine Nichtzulassungsbeschwerde ein, was die Zahlungen abwenden oder zumindest lange hinauszögern könnte. Halten Sie das für eine gute Idee?

Wenn ein Bundesministerium und andere Experten einer dezidiert anderen Rechtsauffassung sind als das Oberlandesgericht, das als einziges davon abweicht, dann wird das Ministerium sicher weitere Rechtsmittel prüfen. Einfach ein Urteil zu akzeptieren, das aus der Reihe fällt, wäre kaum im Sinne des Steuerzahlers.

Warum haben Sie noch nach Beendigung des Open-House-Verfahrens, also nach der Überflutung mit Masken, Direktverträge mit einzelnen Lieferanten abgeschlossen?

Wir hatten zu Beginn des Open-House-Verfahren nach meiner Erinnerung nur 20 Millionen Masken auf Lager, nur für zwei, drei Tage Bedarf im Gesundheitswesen. Deshalb sind wir diesen Weg dann gegangen. Es stellte sich aber heraus, dass ein Großteil derer, die Angebote abgaben, gar nicht liefern konnten. Und dass es bei anderen Qualitätsmängel gab. Um in der Notlage der Krise planbare, verlässliche Vorsorge in den richtigen Mengen mit guter Qualität zu leisten, haben wir auch auf Direktverträge gesetzt.

Einige Maskenlieferanten behaupten, die Nichterfüllung der Open-House-Verträge durch Ihr Haus habe sie in den Ruin getrieben. Stimmt das?

Wenn jemand ein Angebot abgibt, aber nicht die erforderliche Qualität oder nicht rechtzeitig liefern kann, dann ist das eine Frage unternehmerischer Verantwortung.

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