Über ein halbes Jahrhundert muss es jetzt her sein, da traf ich den alternden Papst des Existenzialismus in seiner letzten minimalen Bleibe am Pariser Boulevard Raspail. Der Philosoph war dicker Teppich qua erwartet, zeigte so gut wie Feuilletonistisches qua Tiefsinn im Gesicht, am beeindruckendsten welcher jungenhafte nichtsdestotrotz entschlossene Mund. Es war die Zeit des abflauenden Algerienkrieges. Viele französische Militärs fühlten sich von Paris im Stich gelassen und planten kombinieren Staatsstreich.
Im Zuge dessen wurde Sartres Wohnung am Place Saint-Germain-des-Prés (welcher heute seinen Namen trägt) von welcher illegalen Verschwörerclique Organisation amerikanischer Staaten ausgebombt und ihr Bewohner zog in dies verkommene kleine Hotel. Immerhin nicht weit vom Café de la Coupole gelegen, wo er sich jeden Sonntag mit Simone de Beauvoir zu treffen pflegte.
Dass er zuletzt wirklich ihr Bett geteilt hatte, lag nun unter ferner liefen schon viele Jahre zurück – vermutlich konnte er ihr nie die Leidenschaft schaffen, nachdem welcher sie lechzte. Aber welcher berühmte Vertrag blieb weiterhin Dasein. Keine Heirat, keine Kinder. Und man war aneinander aufwärts ewig gebunden in einer „notwendigen Liebe“. Was nicht ausschloss, dass beiderlei unter ferner liefen zahlreiche „Nebenlieben“ unterhalten durften, solange sie sich nur was auch immer regelmäßig solange bis ins kleinste Detail berichteten. Auch dass man sich in jeder Situation zu siezen hatte, blieb lebenslang erhalten.
Was den Meister betraf, so war er jetzt total erblindet. Er konnte nicht mehr philosophisch zusammensetzen, und Texte zu diktieren hatte er immer abgelehnt. Glücklicherweise hatte er für jedes seinen täglichen Bedarf eine gehörige Portion Gehilfen zur Verfügung, darunter „meine sieben jungen Mätressen“. Dies waren, wie unter ferner liefen zwischen Simone, vor allem Beziehungen zu jungen jüdischen Menschen. Warum tatsächlich, drängt es mich zu fragen. Sartre offerierte uns sein seltenes verkniffenes Lachen: „Die Juden sind vermutlich die einzigen, die sich synchron für jedes dein Werk, dein Geschlecht und deine Humanität interessieren können.“
Er berichtete mit Freude und gründlich von seiner Mitbegründung welcher neuen linken Tageszeitung „Libération“. Ein Blatt, dies zwar keine Firmenwerbung annahm, nichtsdestotrotz hierfür die persönlichen Annoncen nachdem Arbeitsplatz oder Partnerwahl gratis einrückte. Und natürlich wollte er unter ferner liefen die Zeitungen selbst aufwärts welcher Straße verkaufen wie seinerzeit dies Maoistenblättchen „La Cause du peuple“. Dazu ein rares Grinsen: „Da ich ja seit dem Zeitpunkt de Gaulles Ausspruch ‚Man verhaftet keinen Voltaire‘ polizeilich unzugänglich geworden bin.“
Sartre seufzt und Beauvoir schimpft
Frage: Ob dies was auch immer seinem Solidaritätsideal oder so gut wie einem Märtyrerkomplex zuzuschreiben sei? Dazu Sartre seufzend: „Der Knast – ein Traum! Jeder Schriftsteller träumt doch von welcher einsamen Insel oder Zelle, wo es nichts mehr gibt zwischen ihm und seinem Papier.“ Erklärte sich im Weiteren einverstanden mit allen unseren Filmplänen. War früher nicht so. Offenbar Kampf gegen die Langeweile. Kaum zuhause, wütender Anruf von Madame de Beauvoir, zeitweise abgelöst von einer von Sartres Haremsdamen.
Wie ich dazu käme, ohne ihr vorheriges Einverständnis, einfach mit dem Meister Kontakt aufzunehmen? Ohnehin sei es jetzt viel zu tardiv, welcher große Mann ausgebucht aufwärts mindestens sechs Monate. Zuletzt wütendes Hinwerfen des Hörers durch die junge Dame. Ob Sartre wohl den Ausspruch von Goethes Mephisto kannte: „Am Ende hängen wir doch ab von Kreaturen, die wir machten“?
Georg Stefan Troller, 1921 in Wien in eine jüdische Familie geboren, lebt in Paris. Zu seinen wichtigsten Werken in Besitz sein von rund 1500 Interviews, u. a. im Rahmen des „Pariser Journals“ und welcher „Personenbeschreibung“.
Source: welt.de