Italiens Regierung will Regionen mehr Autonomie verschenken 

Der stellvertretende Ministerpräsident Matteo Salvini jubelte: „Es ist ein historischer Tag – ein Sieg für alle Italiener“. Ministerpräsidentin Giorgia Meloni stapelte nicht ganz so hoch, war aber auch bester Dinge: „Wir machen einen Schritt vorwärts für ein stärkeres und gerechteres Italien“; diese Regierung kennzeichneten „mutige“ Reformen. „Wir sind hier, um die Nation zu verändern, während die Opposition immer dagegen ist“, sagte sie in dieser Woche.

Die allgemeine Zufriedenheit der Regierung rührt aus einer geplanten Reform der „differenzierten Autonomie“, also einer Neuregelung der Beziehung zwischen der Regierungszentrale in Rom und den fünfzehn Regionen, die anders als Sizilien, Sar­dinien, Südtirol-Trentino, Aostatal und Friaul-Julisch Venetien bisher keinen Sonderstatus mit verstärkten eigenen Kompetenzen haben.

Besonders Salvini verbucht die in der abgelaufenen Woche vom Parlament verabschiedete Reform als Erfolg, weil seine „Lega“-Partei seit jeher für stärkere regionale Eigenständigkeit plädiert. Als die Gruppierung noch „Lega Nord“ hieß, ging das teilweise sogar bis zu Forderungen nach einer Abspaltung Süditaliens. Denn der ärmere Landesteil sei ja nur ein Subventionsempfänger, der erst durch einen Stopp der Überweisungen aus dem Norden und durch mehr Freiheiten Eigeninitiative entwickeln und damit wirtschaftliche Erholung in Gang bringen könne, so die damaligen Behauptungen, an denen manche in der Partei bis heute festhalten.

„Ein reines Machtspiel“

Wohin die nun beschlossene Reform Italien führt, ist freilich noch unklar. „Wir wissen es nicht, die Lage ist völlig offen“, sagt Gianfranco Viesti, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bari. Der Präsident der Region Veneto, der zur Lega gehörende Luca Zaia, will sobald wie möglich mit der Regierung in Rom Verhandlungen über die Übertragung von Zuständigkeiten aufnehmen. Denn in dem Gesetz sind keine einheitlichen Lösungen, sondern individuell auf die Regionen zugeschnittene Beziehungen hinsichtlich der Kompetenzen vorgesehen.

Es gehe nicht um bessere Anreize für mehr wirtschaft­liche Entwicklung, sondern um „ein reines Machtspiel“, meint Professor Viesti. Die Regierung betont dagegen die Vorteile von mehr Freiheiten für die Regionen, die einen Motivationsschub auslösen und Wachstumskräfte freisetzen könnten.

In dem Gesetz sind Verantwortlichkeiten in 23 Bereichen festgelegt, die übertragen werden können, wenn eine Region es will, darunter so wichtige Gebiete wie Gesundheit (wo die Regionen schon heute erhebliche Kompetenzen haben), Bildung, Sport, Umwelt, Energie, Verkehr, Kultur und Außenhandel. Bei 14 dieser Themen muss die Regierung freilich erst bestimmte Mindeststandards für öffentliche Leistungen definieren, die eine Region für ihre Bürger bereitstellen muss, damit die Unterschiede innerhalb Italiens nicht zu groß werden.

Dafür soll es Finanzhilfen aus Rom geben. Nicht weniger als zwei Jahre gibt sich die Regierung für die Definition dieser öffentlichen Dienstleistungen Zeit; daher passiere erst einmal gar nichts, urteilen mehrere Kommentatoren in der italienischen Presse. Doch die übrigen Bereiche ohne die verlangten Mindeststandards haben es durchaus in sich: Dazu gehören Außenhandel; die Regulierung von Berufen; Katastrophenschutz; Zusatz- und Ergänzungsrenten; bestimmte Bereiche der öffentlichen Finanzen und des Steuersystems; zudem Zuständigkeiten für Sparkassen, Volks- und Raiff­eisenbanken sowie auch „internationale Beziehungen und Beziehungen zur EU“.

Ökonom Viesti kritisiert, dass vieles nicht durchdacht sei. So könne es beispielsweise nicht angehen, dass nun jede Region eine eigene Reglemen­tierung für Berufsbilder einführe; dies schade nur ganz Italien.

Kritik aus der EU

Die sozialdemokratische Oppositionsführerin Elly Schlein befürchtet, dass das Nord-Süd-Gefälle nun noch größer werde, und schlug vor, dass sich Melonis Regierungspartei „Brüder Italiens“ in „Brüder halb Italiens“ umtaufen lassen solle. Die Regierung überlasse die ärmeren Landesteile künftig sich selbst. Meloni sei gegenüber der Koalitionspartei Lega eingeknickt, weil sie im Gegenzug die Zustimmung für ihre Reform der Direktwahl des Ministerpräsidenten bekam, warf Schlein der Regierungschefin vor.

Die Sozialdemokraten wollen nun mindestens 500.000 Unterschriften sammeln, um ein Referendum gegen die Autonomiereform zu beantragen. Kritiker führen an, dass schon die Stärkung der regionalen Gesundheitskompetenzen im Süden dort zu ei­nem minderwertigen Gesundheitssystem geführt habe. Die fünf stärker ei­genständigen Sonderregionen Italiens haben sich in der Tat sehr unterschiedlich entwickelt.

Sizilien etwa hat wenig aus seiner größeren Unabhängigkeit ge­macht, die etwa vorsieht, dass regional erbrachte Steuereinnahmen in größerem Maße in den Regionen bleiben können. Währenddessen zog Südtirol davon – wie Ökonom Viesti anmerkt, allerdings auch unterstützt von politisch gewollten Finanzhilfen aus Rom sowie einer unternehmensfreundlichen Wirtschaftspolitik.

Die EU-Kommission hat das Autonomiegesetz der Regierung in dieser Woche kritisiert, denn es drohten Risiken „für die Kohäsion und für die öffentlichen Finanzen“. Es fehle ein gemeinsamer Rahmen zur Bewertung der regionalen Anträge auf zusätzliche Kompetenzen. Mehr „institutionelle Komplexität“ könne eine Folge der Reform sein, urteilt die Kommission. Die auf Süditalien konzentrierte Beratungsorganisation Svimez warnt zudem davor, dass der Staatshaushalt Italiens empfindliche Verluste erleiden könnte, weil umfangreiche Mittel in einigen wenigen reichen Regionen bleiben könnten. Risiken wie die Pandemie und die Energiekrise hätten gezeigt, dass die Antworten darauf nicht kleinteilig erfolgen dürften, sondern zumindest national, wenn nicht europaweit, meint Svimez.

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