Italien im Faschismus: Nicht vom rechten Weg abkommen

Der italienische Schriftsteller Davide Coppo erzählt in seinem neuen Roman über Weg eines jungen Italieners in den Faschismus


Davide Coppo

Foto: Alessandra Canteri


Verschiedenste gesellschaftliche Erzählungen wurden in der jüngeren Zeit untergraben – auch die der linken Jugend. Während diese Lebensphase immer noch mit dem Glauben an linke Utopien verknüpft wird, konterkarieren Wahlergebnisse dieses Narrativ. Junge Menschen wählen immer häufiger rechts – über die Gründe wird gestritten. Den Versuch einer Erklärung wagt Davide Coppo in seinem Roman Der Morgen gehört uns,übersetzt von Jan Schönherr.

Coppo erzählt die Geschichte eines Jungen im Norden Italiens, Ettore, der zunächst in Berührung mit dem Faschismus kommt und sich schnell radikalisiert. Dies geschieht aus der Einsamkeit des Ich-Erzählers heraus, der in seiner faschistischen Organisation Nähe und soziale Kontakte sowie Orientierung und Erfüllung sucht. Seine inneren Widerstände werden stückweise abgebaut. Ettores Hemmschwelle sinkt und stetig steigt seine Gewaltbereitschaft.

Gesellschaftliche und moralische Grenzen werden aufs Neue überschritten, was seine Radikalisierung auch nach außen hin sichtbar macht und zu Konflikten innerhalb der Familie und seiner wenigen Freundschaften führt. Ettore identifiziert sich mit der Ablehnung, die ihm entgegenschlägt. Anstelle eines Sinneswandels wirkt diese befeuernd und stützt seine politische Radikalisierung. Dazu kommen die Probleme des Erwachsenwerdens: In der Schule läuft es nicht so richtig, von den Eltern fühlt er sich missverstanden und seine ersten romantischen und sexuellen Kontakte gestalten sich schwierig.

Diese Coming-of-Age-Story ermöglicht einen eindrucksvollen, gleichsam erschreckenden Einblick in rechte Gruppen. Muster, die Coppo anhand italienischer Kleinorganisationen beschreibt, lassen sich heute auch an rechten Parteien beobachten. Ein glattes Außenbild wirkt beruhigend, während die politischen Forderungen inhaltlich radikal bleiben. Gleichzeitig kommt es zu Abgrenzungen zu anderen rechten Gruppen, die das eigene Image schädigen könnten – gedankliche Parallelen zum Ausschluss der AfD aus ihrer ehemaligen EU-Fraktion kommen dabei auf. Ein ähnlicher Konflikt materialisiert sich zwischen dem karrieristischen Giulio und dem dogmatischen Ettore, wobei Letzterer zu radikal für seine rechte Stammorganisation wird, was zu Streit führt.

Einsamkeit und Distinktion

Beachtenswert sind die politischen Debatten im Buch, weil sie eine alternative Geschichtsinterpretation zu der der Linken postulieren. Ettore und seine Freunde reden vor allem über Imperialismus, Kolonialismus und Befreiungskämpfe, anstatt sich an heutigen rechten Diskursen um Migration und Gender zu beteiligen. Der Prager Student Jan Palach und der Nordire Bobby Sands werden neben Mussolini und Autoren der Neuen Rechten zu Ettores Vorbildern. Wie diese Geschichtsauffassung entsteht, wird nicht klar, jedoch zeigt sie, wie die Lösung kapitalistischer Probleme von rechten Ideologien vereinnahmt und diese der Linken genommen wird. Was Coppo ebenso gut einfängt, ist die körperliche Obsession rechter Ideologie. Immer wieder durchziehen Passagen mit detaillierter Beschreibung männlicher Körper den Text. Diese Teile brechen mit dem heterosexualisierten Blick des Ich-Erzählers. Mancher mag hierin eine homoerotische Komponente erkennen.

Bleibt die Frage nach dem Warum. Gegen Ende findet sich eine mögliche Erklärung: „Tragödien sind sorgfältig gedeckte Tische, nicht das spontane Stückwerk eines schlechten Tages.“ Ansätze wie Einsamkeit, das Verlangen nach Zugehörigkeit und gleichzeitig Distinktion sowie Identitätskonstruktion und Zufall werden vorgeschlagen. All das mag einen jungen Menschen in den Faschismus treiben, reicht aber nicht aus und stellt für viele Probleme des Erwachsenwerdens dar. Hierin liegt vielleicht die eigentliche Botschaft des Romans, dass Faschismus nicht angeboren oder intergenerationell vererbt wird, sondern auf Personen trifft und sich in diesen situativ entfalten kann.

Der Morgen gehört uns Davide Coppo Jan Schönherr (Übers.), Kjona 2024, 240 S., 24 €

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