Italien: Giorgia Meloni, die wirkliche Wahlgewinnerin

Es ist mitten in der Nacht auf Montag, zwei Uhr, als im Luxushotel Parco dei Principi, wo die Wahlparty der Fratelli d’Italia stattfindet, plötzlich auf der Leinwand statt der Wahlergebnisse schlicht das Wort „Grazie!“ steht. Regierungschefin Giorgia Meloni ist fast unbemerkt auf die Bühne gehuscht. Als die „Giorgia“-Rufe losgehen, lächelt sie schüchtern und beginnt sofort mit ihrer Dankesrede. Am Ende singt sie beseelt mit ihren Anhängern die italienische Nationalhymne Fratelli d’Italia, einen dicken Blumenstrauß in rot-weiß-grün vor der Brust.

Mit rund 29 Prozent für ihre rechtskonservativen Fratelli d’Italia hat Meloni nicht nur ihre Macht in Italien, sondern auch ihre Verhandlungsposition in der EU gefestigt. Sie die einzige Regierungschefin im Amt, die bei dieser Wahl gewonnen hat. Ihre Amtskollegen aus Frankreich und Deutschland, die starke Verluste hinnehmen mussten, wird die 47-Jährige Ende dieser Woche daher umso strahlender auf dem G7-Gipfel in Apulien empfangen. „Italien präsentiert sich bei G7 und in Europa mit der stärksten Regierung von allen“, sagt Meloni auf der Wahlparty ihrer Fratelli.

Sie sagt es ungewohnt leise in die Mikrofone, fast sanft – eigentlich ist die Parteichefin für laute und scharfe Töne bekannt. „Diese Nacht ist noch schöner als jene vor zwei Jahren“, sagt sie bezogen auf ihren nationalen Wahlsieg im September 2022. Damals hätten die Menschen nur gehofft, dass die Fratelli d’Italia für sie da seien. Heute wüssten sie es. 

Bei den Europawahlen 2019 spielten die Fratelli d’Italia noch keine wichtige Rolle. Die von vielen als Postfaschisten bezeichneten „Brüder Italiens“ kamen damals nur auf rund sechs Prozent der Stimmen. Im Europaparlament waren sie zuletzt mit zehn Abgeordneten vertreten.

Sichert Meloni die Wahl Ursula von der Leyen?

Im künftigen EU-Parlament werden die Fratelli d’Italia nun etwa 25 Abgeordnete stellen. Ein solcher Zuwachs stärkt die Verhandlungsposition von Ministerpräsidentin Meloni bei der nun anstehenden Wahl der Kommissionspräsidentin enorm. Zwar wäre das Bündnis aus Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen (also EVP, S&D und Renew) zahlenmäßig wieder in der Lage, die deutsche Christdemokratin Ursula von der Leyen an die Spitze der Kommission zu wählen. Da es aber keinen Fraktionszwang im EU-Parlament gibt, würde eine Integration der Fratelli das konservative Lager stärken und die Wahl von der Leyens absichern.

Meloni wird entsprechend umworben. Nach dem Rauswurf der AfD aus der Fraktion Identität und Demokratie im EU-Parlament versuchte Marine Le Pen, Chefin des rechtsextremen Rassemblement National, in den vergangenen Tagen eine Nähe zu Meloni zu suggerieren. Bis dato waren sich die Grandes Dames der europäischen Rechten aufrecht abgeneigt – vor allem, weil Le Pen in Europa mit Lega-Chef Matteo Salvini gemeinsame Sache machte. Die Fratelli d’Italia gehören der Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR) an, zu denen auch die rechtsnationale polnische Ex-Regierungspartei PiS gehört. Le Pens Partei ist dagegen Teil der Rechtsaußen-Fraktion Identität und Demokratie (ID). Möglicherweise hofft Le Pen nun, vom neuen Glanz Melonis profitieren zu können. Wie sich nun, nach dem Sieg der Fratelli, die EKR und ID im neuen Parlament sortieren werden, ist noch offen.

Schon im Wahlkampf war klar: Die Europawahlen sind eine Abstimmung über die bisherige Arbeit der Regierungskoalition in Rom. Das zeigte allein schon der Blick auf die Wahllisten. Neben Ministerpräsidentin Meloni stellten sich auch der amtierende Außenminister Antonio Tajani (Forza Italia) und Oppositionsführerin Elly Schlein vom Partito Democratico zur Wahl – auch wenn sie alle drei keine Ambitionen hatten, nach dem 9. Juni nach Brüssel zu wechseln. Die Personalisierung der Wahl hat allen dreien nicht geschadet. Allerdings ist die Wahlbeteiligung auf einen historischen Tiefstand gesunken. Nicht einmal jeder zweite Wahlberechtigte hat an diesem Wochenende in Italien seine Stimme abgegeben.  

Wahlverlierer Matteo Salvini

Meloni lobte in der Wahlnacht vor allem auch ihre Koalitionspartner, die Forza Italia und die Lega. „Das Bündnis ist gemeinsam gewachsen.“ Dabei ist einer aus dem Trio, Matteo Salvini, diesmal der große Wahlverlierer. Noch bei der EU-Wahl 2019 hatte er 34,3 Prozent der Stimmen geholt und war überraschend stärkste Kraft im Land geworden. Jetzt kann der Rechtspopulist mit 8,5 Prozent (jüngste Hochrechnung) bei Weitem nicht an den damaligen Wahlerfolg anknüpfen. Salvini hatte den offen homophoben und rassistischen Ex-General Roberto Vannacci ins Rennen geschickt. Damit grenzte er sich von Regierungschefin Meloni noch stärker nach rechts ab. Und scheiterte genau damit.

Salvini konnte zwar das nationale Ergebnis von 2022 für seine Lega halten, geht aber als extrem geschwächt aus dieser Wahl hervor, weil sich das Kräfteverhältnis zwischen den kleinen Koalitionspartnern gedreht hat: Die Lega ist nun schwächer als Forza Italia. Viele Beobachter erwarten, dass dies das politische Ende Salvinis ist und er spätestens beim Parteitag im Herbst den Parteivorsitz wird aufgeben müssen. Wenn es überhaupt noch so lange dauert. Sonntagnacht hat Umberto Bossi öffentlichkeitswirksam verkündet, die Forza Italia gewählt zu haben. Bossi war 1989 Mitbegründer der Lega, die damals noch den Zusatz „Nord“ im Namen trug. Neben Salvini zählt auch Ex-Ministerpräsident Giuseppe Conte zu den Verlierern dieser Europawahl. Seine Fünf-Sterne-Bewegung, die bei den nationalen Wahlen noch bei 15,4 Prozent lag, erhielt nur noch 10,5 Prozent der Stimmen (jüngste Hochrechnung).

Während die Sozialdemokratie in Deutschland ihr bislang schlechtestes Ergebnis einfuhr, können sich die italienischen Parteigenossen freuen: Der sozialdemokratische Partito Democratico konnte mit seiner neuen Chefin Elly Schlein sowohl im Vergleich zur jüngsten Wahl in Italien als auch zur letzten Europawahl zulegen. Mit 24,5 Prozent überschreitet er sogar die psychologisch wichtige Marke von 20 Prozent. 

Selbst die Grünen, die sonst bei Wahlen in Italien keine Rolle spielen, haben bei dieser EU-Wahl zugelegt. Die Alleanza Verdi e Sinistra (AVS) erhält laut den aktuellen Hochrechnungen 6,8 Prozent der Stimmen und schickt ihre Spitzenkandidatin Ilaria Salis ins Europaparlament. Die 39-jährige Antifaschistin sitzt seit 15 Monaten in Ungarn fest, zunächst in Untersuchungshaft, inzwischen im Hausarrest. Ihr wird schwere Körperverletzung gegen rechte Demonstranten vorgeworfen. Als Europaabgeordnete genießt sie nun allerdings Immunität. Ihr linksgrünes Bündnis AVS und ihre Familie fordern jetzt ihre Freilassung. 

Verglichen mit den vergangenen nationalen
Wahlen ist in Italien politisch alles beim Alten geblieben. Was gerade für
dieses Land bemerkenswert ist. Bei den vergangenen Europawahlen sorgten
die Ergebnisse für extreme Unruhen in der nationalen
Parteienlandschaft. -Rangordnung. Matteo Renzi holte etwa für den Partito Democratico
2014 mehr als 40 Prozent – was ihn dazu verleitete, zwei Jahre später ein
Verfassungsreferendum abzuhalten, das ihn allerdings den Posten als Regierungschef
kostete. Während Nachbarländer wie Frankreich in die politische Unsicherheit abrutschen, hat sich ausgerechnet die italienische Regierung durch diese EU-Wahl stabilisiert.

Es ist mitten in der Nacht auf Montag, zwei Uhr, als im Luxushotel Parco dei Principi, wo die Wahlparty der Fratelli d’Italia stattfindet, plötzlich auf der Leinwand statt der Wahlergebnisse schlicht das Wort „Grazie!“ steht. Regierungschefin Giorgia Meloni ist fast unbemerkt auf die Bühne gehuscht. Als die „Giorgia“-Rufe losgehen, lächelt sie schüchtern und beginnt sofort mit ihrer Dankesrede. Am Ende singt sie beseelt mit ihren Anhängern die italienische Nationalhymne Fratelli d’Italia, einen dicken Blumenstrauß in rot-weiß-grün vor der Brust.

AbgeordneteAfDAntonioArbeitAuslandBrüsselConteDDemokratieDeutschlandEndeEUEU-ParlamentEuropaEuropaparlamentEuropawahlenFrankreichG7GiorgiaGiuseppeIntegrationItalienKoalitionspartnerKörperverletzungLangeLeyenMatteoMeloniPenRassemblement NationalRegierungRomSSelbstSterneUngarnUrsulaUrsula von derVerdiWahlWahlbeteiligungWahlenWahlkampfWeilWeiß