Premier Netanjahu verwahrt sich gegenüber den USA gegen solche Pläne. Donald Trump ist der Auffassung, dass türkisches Militär die Hamas am ehesten entwaffnen kann
Israel sei „kein Protektorat Amerikas“, sagte Benjamin Netanjahu in Anwesenheit von US-Vizepräsident JD Vance der Presse
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Es passiert nicht oft, dass sich die deutsche und die türkische Presse in der Analyse einig sind. Doch wenn es dieser Tage um die Rolle der Türkei in Donald Trumps Friedensplan für den total zerstörten Gazastreifen geht, steht in den Medien beider Länder der türkisch-israelische Konflikt im Vordergrund. Es geht um die strikte Weigerung von Benjamin Netanjahu, türkischen Soldaten als Teil einer internationalen Friedenstruppe Zugang zum Gazastreifen zu gewähren.
Ein Grund dafür ist sicher die konfrontative Rhetorik des türkischen Staatschefs Recep Tayyip Erdoğan. Zudem pflegte die politische Führung der Hamas in der Zeit vor dem 7. Oktober 2023 in Istanbul ein und aus zu gehen. Es gibt islamistische Tendenzen etwa in der staatsnahen türkischen NGO mit dem Namen IHH, die sich in Gaza engagieren möchte.
In der Türkei ereifern sich die Gazetten darüber, dass Trump erst für internationale Peacekeeping-Formationen türkische Soldaten ins Spiel gebracht und sich sein Vize JD Vance dann dem Widerstand von Netanjahu gefügt hat. „Bloß nicht den Völkermörder verärgern!“, raunt selbst das ansonsten gemäßigte Blatt Karar.
Einer ging, der Nächste kam
In deutschen Medien klingt es fast so, als hätte Donald Trump die Türken nicht wegen ihrer Verbindungen zur Hamas ins Boot geholt. Insofern ist es absurd, wenn gerade das Israels Veto gegen ein türkisches Engagement im Kriegsgebiet rechtfertigen soll. In der Türkei blendet die mediale Erregung wiederum aus, dass nach den Vorstellungen des US-Präsidenten türkisches Militär jene Hamas entwaffnen soll, die Erdoğan noch vor wenigen Wochen als legitimen Widerstand bezeichnet hat. Aber ist der Konflikt wirklich primär einer zwischen Ankara und Tel Aviv?
Achtet man darauf, wie sich zuletzt hochrangige Mitglieder von Donald Trumps Nahost-Team in Tel Aviv die Türklinke in die Hand gegeben haben, gewinnt man einen anderen Eindruck. Innerhalb nur einer Woche sprachen Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, sein Sonderbeauftragter Steve Witkoff, Außenminister Marco Rubio und Vizepräsident Vance dort vor. Nur eine Woche zuvor hatte Donald Trump das Land selbst besucht und vor dem Parlament gesprochen. Selbstredend gibt es immer noch viel zu verhandeln.
Israel hat nicht nur wiederholt den Waffenstillstand gebrochen und dabei allein bis zum 18. Oktober 38 Palästinenser getötet. Netanjahu und das israelische Sicherheits-Establishment stellen außerdem wesentliche Punkte von Trumps Friedensagenda in Frage. Und sie glauben nicht, dass die Hamas entwaffnet werden kann.
Netanjahu fürchtet, dass eine internationale Militärpräsenz in Gaza ihr Mandat früher oder später auch auf das Westjordanland ausweiten könnte, wo immer wieder neue israelische Siedlungen entstehen, die mit Landraub verbunden sind.
USA misstrauen Israel mittlerweile
Drei Dinge zeigen, mit welch harten Bandagen sich Washington und Tel Aviv momentan begegnen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Vance verwarf Netanjahu nicht nur jedes türkische Engagement in Gaza, er verbat sich politischen Druck der Amerikaner. Nicht eben diplomatisch meinte er, Israel sei „kein Protektorat Amerikas“. Prompt verabschiedete die Knesset, noch während Vance in Tel Aviv zu Gast war, in erster Lesung einen Gesetzentwurf, der die Gesetze des Staates Israel auf die israelischen Siedlungen im Westjordanland ausdehnt. Ein Schritt, der als juristisches Vorspiel einer Annexion verstanden werden kann. Die hatte Donald Trump noch vor der Waffenruhe kategorisch ausgeschlossen. Als „politische Dummheit und Beleidigung des Weißen Hauses“ hat Vance diese Aktion geschmäht.
Wie sehr die USA ihrem Partner Israel mittlerweile misstrauen, wird nicht zuletzt dann offensichtlich, wenn sie die Situation in Gaza seit dem 24. Oktober mit eigenen Drohnen überwachen. „Das bräuchte es nicht“, sagt dazu Daniel B. Shapiro, ehemaliger US-Botschafter in Israel, „würden zwischen Israel und den USA mehr Transparenz und größeres Vertrauen herrschen.“
Angesichts dieser Umstände scheint sich der Schlagabtausch Israel/Türkei eher auf einem Nebenkriegsschauplatz abzuspielen – er fungiert vielleicht sogar als Ablenkungsmanöver. Trotz aller martialischen Rhetorik aus Ankara kann die Türkei nur schwerlich als Gefahr für Israel betrachtet werden. Der Austausch zwischen den Geheimdiensten beider Länder soll niemals unterbrochen gewesen sein. In der Türkei glaubt weder die islamistische noch die säkulare Opposition, dass die Regierung wirksame Schritte unternommen hat, um den Handel türkischer Unternehmen mit Israel, der heute über Drittstaaten abgewickelt wird, wirklich zu unterbinden. Durch türkische Pipelines ist auch während der Bombardierung Gazas aserbaidschanisches Erdöl geflossen.
Für die Regierung der Türkei, ganz speziell für den Präsidenten, stellt Israel aus zwei Gründen ein Problem dar. So wie in allen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas empfindet die türkische Bevölkerung viel Sympathie und Solidarität mit Palästina. Erdoğan wiederum kämpft mit sinkendem Zuspruch und ist in Sachen Israel eher ein Getriebener als einer, der die Dinge antreibt. Ernsthaften Streit mit Israel ficht die Türkei in Syrien aus, wo sie eine starke Zentralregierung am Ruder sehen will, die Ankara kontrolliert. Israel dagegen will ein schwaches, deshalb föderales Syrien. Es ist daher gut möglich, dass die Türkei und Israel in Syrien eines Tages bewaffnet aneinandergeraten.
Mancher Analyst geht davon aus, dass es mehr mit Israel, weniger mit dem Erzrivalen Griechenland zu tun hat, dass die Türkei im Augenblick so energisch auf eine baldige Lieferung von Eurofightern drängt. Wenn Ankara für Israel wirklich ein großes Sicherheitsproblem oder gar -risiko darstellen würde, hätte Deutschlands Außenminister Johann Wadephul kürzlich bei seinem Türkei-Besuch wohl kaum grünes Licht für eine Lieferung dieser Flugzeuge gegeben.