Den am 23. August in Solingen stattgefundenen tödlichen Messerangriff vor allem als „Terror gegen uns alle“ oder auf „unsere freiheitlich-demokratische Ordnung“ zu definieren, greift zu kurz. Der Anschlag muss in mehrfachem Zusammenhang mit der langjährigen Krise im Nahen Osten gesehen werden, die seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und den nicht enden wollenden Terrorkrieg Israels gegen Gaza einen neuen Gipfelpunkt erreicht hat. Dass es in Deutschland zu Anschlägen kommen würde, die auf dieses Elend Bezug nehmen, war angesichts der feigen Haltung der Bundesregierung, die über „Mitleid mit den Menschen in Gaza“ nicht hinausgeht, nur eine Frage der Zeit.
Und dass die extremistischsten Kräfte wie der Islamische Staat (IS) diesen Konflikt ausnützen würden, um sich weltweit wieder ins Gespräch zu bringen, war auch zu erwarten. Diskussionen um Messerlängen oder -verbote tragen ebenso wenig zur Prävention bei wie der Ruf nach mehr Abschiebungen.
Die Gewaltspirale in Syrien muss gestoppt werden
Angesagt wäre tieferes politisches Nachdenken. Der Täter kommt aus einem Land, das durch einen Bürgerkrieg mit starker internationaler Einmischung und durch bis heute anhaltende schwerste Sanktionen vollkommen zugrunde gerichtet wurde. In Syrien besteht keinerlei Aussicht auf eine bessere Situation. Auf vielfache, wenn auch indirekte Weise hat die Bundesrepublik Deutschland nicht nur am Kampf gegen die Regierung Baschar al-Assads teilgenommen. Sie folgt auch dem von den USA über Syrien verhängten Sanktionsregime. Das sind zwar keinesfalls mildernde Umstände für den Täter von Solingen. Um aber eine immer schneller rotierende Gewaltspirale zu bremsen, müsste die gesamte Nahostpolitik eine deutlich andere Richtung nehmen.
Auch, dass die Hisbollah am 25. August eine Raketenattacke auf Israel startete, war nur eine Frage der Zeit. Schließlich wusste die israelische Regierung, dass die gezielte Tötung des Hisbollah-Kommandanten Fuad Schukr nicht folgenlos bleiben würde. Und das war – so ließ Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah verlauten – erst der Anfang einer „Vergeltung“.
Der Nahostkonflikt in Europa und den USA
So sinnlos Attacken und Gegenattacken auch sind, ganz ohne Einfluss auf die Fortführung dieses unsäglichen Schlagabtauschs in den israelisch-libanesischen Grenzregionen und auf den Krieg in Gaza wäre Deutschland nicht. Während andere europäische Staaten wie Spanien, Norwegen und Irland bereits einen palästinensischen Staat anerkannt haben, bleibt Deutschland bei seiner einseitigen Parteinahme. Die Regierung Scholz leistet weiter Waffenhilfe an Israel, während die humanitäre Hilfe für die bemitleideten Gaza-Bewohner sogar immer einmal wieder in Frage gestellt wird.
Wird kein Politikwechsel sichtbar, steht wahrscheinlich ein heißer Herbst bevor, in dem die reelle Gefahr besteht, dass der Nahostkonflikt in Europa und den USA erneut massive Demonstrationen erzeugt, denen – so hat es jedenfalls Präsidentschaftskandidat Donald Trump im Fall seines Wahlsieges bereits erklärt – von staatlicher Seite gewalttätiger als bisher begegnet wird. Nicht undenkbar ist auch Schlimmeres: die Ausweitung des Krisenherdes im Nahen Osten zum regionalen Flächenbrand mit einer nach oben offenen Eskalationsskala.