Iran: Tod von Präsident und Außenminister trifft dies Land in eh volatiler Lage

Der Tod des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi bei einem Hubschrauberabsturz fällt in eine Zeit, in der sich der Iran ohnehin schon mit beispiellosen Herausforderungen konfrontiert sieht – gilt es doch nicht zuletzt, auf ein mögliches Ableben der 85-jährigen Obersten Führers, Ayatollah Ali Khamenei, in näherer Zukunft vorbereitet zu sein.

Irans System politischer Führung gleicht einer vielköpfigen Hydra, die Verteilung der Macht zwischen Klerikern, Politikern und der Armee ist schwer durchschaubar. Letztlich entscheidend ist aber ohne Frage stets nicht der Präsident, sondern der Oberste Führer. Tatsächlich wurde die Bedeutung des Amts des Präsidenten wie die des Premierministers – ursprünglich auf einem Modell der französischen Verfassung basierend – bei der Ausarbeitung der iranischen Verfassung 1979 geschwächt; Kritikern dessen zufolge seien die Ämter in einer Form der Autokratie aufgegangen, geschaffen im Namen der Religion.

Die Rolle des Präsidenten im Iran

Die Präsidentschaft hat dem Obersten Führer gegenüber loyal zu sein – und Raisi galt als sehr loyal gegenüber Chamenei. Wer in das Amt eingesetzt wird, dient oft als nützlicher Sündenbock, um Kritik vom Obersten Führer wegzulenken. Das wurde auch Raisis Vorgänger Hassan Rouhani zum Verhängnis, der als Sündenbock für anderswo getroffene Entscheidungen herhalten musste.

In den vergangenen Monaten war Raisi, der 2021 zum Präsidenten gewählt, in der Praxis aber vom Obersten Führer ausgewählt wurde, als möglicher Nachfolger Khameneis gehandelt worden. Sein Tod macht stattdessen den Weg für Khameneis Sohn Mojtaba Khamenei frei – doch dieser Weg dürfte kein leichter werden. Die Wahl wird von einer 88-köpfigen „Versammlung von Experten“ getroffen; Raisis Tod erhöht die Wahrscheinlichkeit einer derartigen vererbten Nachfolgeregelung im Iran, die viele Kleriker gleichwohl ablehnen, da sie den revolutionären Grundsätzen des Landes fremd sei.

Irans neues Parlament

Raisis Tod wird das Gefühl einer Umbruchsituation verstärken – am 1. März wurde gerade erst ein neues Parlament gewählt, in dem die Hardliner dominierten; die Wahlbeteiligung lag dabei teils bei weniger als zehn, landesweit bei nur 41 Prozent – ein Rekordtief. Reformer und gemäßigte Kräfte durften entweder gar nicht erst antreten oder unterlagen deutlich, sodass es im Parlament eine so noch nicht dagewesene Spaltung gibt in traditionelle Hardliner und eine ultrakonservative Gruppierung, die als „Paydari“, also als „Front der Standhaftigkeit“, auftritt. Der faktische Ausschluss von Reformern von der politischen Arbeit im Parlament ist für die Zeit seit 1979 eine Premiere und unterstreicht, wie volatil die Verhältnisse sind, in denen sich der Iran befindet.

Volatilität kann sich der Iran derzeit aber kaum leisten, sieht er sich doch von der Politik westlicher Staaten gegenüber seinem Atomprogramm, einer desolaten Wirtschaftslage sowie schwierigen und teils angespannten Beziehungen zu anderen Staaten im Nahen Osten konfrontiert, nicht zu reden von den angespannten Beziehungen zu Israel und zu den USA. Gerade auch der Verlust von Außenminister Hossein Amir-Abdollahian, der sich ebenfalls an Bord des abgestürzten Hubschraubers befand, verstärkt das Gefühl von Instabilität in einem Land, in dem Kontrolle und Berechenbarkeit viel gelten. Die Geschäfte des Außenministers wird der bisherige Stellvertreter Ali Bagheri übernehmen – Hardliner könnten ihm aber anlasten, sich gegenüber dem Westen zu konziliant in Bezug auf das iranische Atomprogramm zu geben und so zu verhandeln.

Obwohl der Tod eines Präsidenten im Amt seit der Revolution von 1979 noch nie vorgekommen ist, gibt es im Iran eine klare formelle Nachfolgeregelung, bei der der Erste Vizepräsident – derzeit Mohammad Mokhber – die Geschäfte übernimmt. Nur wenige glauben, dass Mokhber, ein Banker und ehemaliger stellvertretender Gouverneur der Provinz Khuzestan, das Zeug zum Präsidenten hat. Ein neuer Präsident sollte innerhalb von 50 Tagen gewählt werden, sodass dem Obersten Führer und seinem Gefolge relativ wenig Zeit bleibt, um jemanden auszuwählen, der nicht nur zu einem so kritischen Zeitpunkt Präsident wird, sondern auch in der Lage ist, Khamenei selbst zu folgen.

Die unmittelbare Herausforderung für jeden neuen Führer wird darin bestehen, nicht nur die internen Meinungsverschiedenheiten, sondern auch die Forderungen der einzelnen Fraktionen innerhalb des Landes nach einer härteren Gangart gegenüber dem Westen und einer Annäherung an Russland und China zu kontrollieren. Die Beziehungen zu Israel bleiben eine ständige Herausforderung für den Iran. Sie erreichten mit dem Schlagabtausch im April eine neue Stufe, ausgelöst durch einen israelischen Angriff auf das iranische Konsulat in Damaskus und allgemein durch die Unterstützung des Irans für Stellvertretergruppen, die bereit sind, Israel zu bekämpfen, einschließlich Hamas und Hisbollah.

Die Zukunft des iranischen Atomprogramms

Jeder neue Präsident wird jedoch wichtige Entscheidungen in Bezug auf das iranische Atomprogramm treffen müssen. Am 9. Mai erklärte Kamal Kharrazi, außenpolitischer Berater des Obersten Führers und ehemaliger iranischer Außenminister, dass der Iran eine Strategie der nuklearen Abschreckung in Erwägung ziehen würde, falls Israel zivile Nuklearanlagen angreift. Der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, warnte den Iran zuletzt, das berunruhigende Gerede über die Entwicklung einer Atomwaffe zu beenden.

Regimegegner, die durch den zivilen Widerstand immer noch stark sind, werden Präsident Raisi kaum eine Träne nachweinen, wegen der Rolle, die er bei der Unterdrückung der Jin-Jiyan-Azadî!-Proteste (Frau, Leben, Freiheit) nach dem Tod Jina Mahsa Aminis gespielt hat. Ältere Iraner lasteten Raisi seine Rolle als stellvertretender Staatsanwalt in Teheran im Jahr 1988 an, als er im Alter von 28 Jahren eine prominente Rolle in einer Bewegung spielte, die bis zu 30.000 politische Gefangene tötete, zumeist Mitglieder der Volksmudschaheddin-Organisation im Iran (MEK). Im Jahr 2019 war er von Chamenei zum Chef der Justiz ernannt worden, eine Rolle, die er dazu nutzte, die Methode staatlicher Geiselnahmen zu Erpressungszwecken zu verstärken und die Repression im Land durch Revolutionsgerichte fortzusetzen.

Patrick Wintour ist Redakteur des Guardian für Fragen der Diplomatie.

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