Durch den Vormarsch islamistischer Verbände im Norden Syriens wird die Landbrücke zur Hisbollah im Libanon gefährdet. Das schwächt Teheran mehr, als ihm lieb sein kann
Im Norden Syriens – dem einzigen staatlichen Verbündeten Irans in der Region – verdrängen islamistische Milizen vom Schlage des Islamischen Staates (IS) und von al-Qaida Regierungstruppen. Das verunsichert eine seit mehr als einem Jahrzehnt zwischen tödlicher Gefahr und ersehntem Frieden hin und her gerissene Bevölkerung und lässt viele fliehen. Interessanterweise firmieren die radikal-islamischen Milizen in westlichen Medien auffallend oft als „Rebellen“ oder „Aufständische“. Das Vokabular verrät politisches Kalkül und transportiert eine simple Botschaft: Alles, was Russland und die iranischen Mullahs schwächt, ist willkommen.
Was aber wäre gewonnen mit einem – nach Libyen – weiteren „failed state“ in der Region? Diese Frage stand 2013 schon einmal im Raum, als der damalige US-Präsident Barack Obama in Syrien die von ihm selbst gezogenen „roten Linien“ ignorierte, eine internationale Koalition gegen den vorrückenden IS schmiedete und damit das Überleben des von Moskau und Teheran gestützten Assad-Regimes billigend in Kauf nahm.
Die Hisbollah hat an Kampfkraft eingebüßt
Die Kämpfe in und um Aleppo sind Zeichen eines Umbruchs, der die nahöstliche Kernregion nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 und den israelischen Kriegen in Gaza und Libanon erfasst. Die vom Iran protegierte „Achse des Widerstandes“ hat erkennbar gelitten, weil die Hisbollah an Kampfkraft eingebüßt hat. Zugleich droht Iran nach wie vor eine heftige militärische Konfrontation mit Israel. Die konnte bisher vermieden werden, weil sich beide Seiten bei ihren jeweiligen Angriffen auf das Demonstrative beschränkt haben. Das war nicht zuletzt deutlichen Ansagen aus Washington geschuldet. Wenn dort aber im Januar eine Trump-Administration das außenpolitische Zepter übernimmt, kommen auf Teheran schwere Zeiten zu.
Donald Trump hat in seiner ersten Amtszeit das mühsam ausgehandelte Atomabkommen mit Iran einseitig – und gegen den Willen der europäischen Verbündeten – gekündigt. Für ihn war es schlichtweg „ein schlechter Deal“. Worin er sich mit Benjamin Netanjahu bis heute einig ist. Beide sind davon überzeugt, dass mit dem iranischen Regime keine Deeskalation erreicht werden kann. Das sieht die europäische Diplomatie anders, bisher jedenfalls. In Deutschland, Frankreich und Großbritannien mehren sich Stimmen, die eine andere Iran-Politik verlangen und bereit sind, die Eskalationsschwelle im Konflikt mit Teheran abzusenken.
Wie umgehen mit dem iranische Atomprogramm?
Im Zentrum dieses Konfliktes steht das iranische Atomprogramm, von dem Teheran behauptet, es habe rein zivilen Charakter. Das ungeprüft zu glauben, wäre naiv. Irans nukleare Aktivitäten zu kontrollieren, war Sinn des Nuklearabkommens und alles andere als blauäugig. Iran jetzt mit militärischer Gewalt abrüsten zu wollen, ist hingegen ein Spiel mit dem Feuer. Gleichwohl scheint diese Option Raum zu greifen. Und das nicht nur wegen des Albtraums einer iranischen Bombe, auch weil sich die Koordinaten globaler Macht verschieben, der liberale Westen in seinem Anspruch auf politisch-kulturelle Hegemonie herausgefordert ist und darauf bisher kaum adäquate Antworten findet. Als das pro-westliche Schah-Regime im Iran vor über 45 Jahren von der Islamischen Revolution gestürzt wurde, verabschiedete sich die neue Führung des Landes aus der bipolaren Welt des Kalten Krieges mit dem Slogan „Weder Ost noch West, sondern Islamische Republik“.
Iran wird seither vom Westen mit Sanktionen belegt, die freilich weder zum Sturz der Theokratie geführt noch politische Repressionen zurückgedrängt noch regionalmächtige Ambitionen gezügelt haben. Im Augenblick sind Letztere davon tangiert, dass Syrien als Transitraum für die Unterstützung der Hisbollah – nicht zuletzt den Waffentransfer Richtung Libanon – durch den islamistischen Vormarsch möglicherweise nicht mehr so zur Verfügung steht, wie das bisher der Fall war. Gleichzeitig steht die Islamische Republik vor der Frage, wer eher früher als später Nachfolger des greisen Revolutionsführers Ali Chamenei wird – innenpolitisch durchaus heikel.