Integration von Flüchtlingen: „Drei Viertel welcher 2015 zugezogenen Männer funktionieren“

Die Statistik zeigt aber auch, dass die Beschäftigungsquote von Ukrainern bisher nur knapp über 20 Prozent gestiegen ist. Ist das nicht ein ziemlich kleiner Integrationsfortschritt?

Die Beschäftigungsquote ist kein guter Maßstab für Integrationsfortschritt, solange aus einem Land weitere Menschen neu hier ankommen. Denn die Zahl an Beschäftigten wird dann ja mit einer insgesamt wachsenden Gruppe verglichen, das drückt natürlich die Quote. Aussagekräftiger ist daher die Zahl der Beschäftigungsaufnahmen. Und die zeigt übrigens auch positive Entwicklungen für Geflüchtete aus anderen Ländern wie Syrien. Nimmt man die Ukraine und die wichtigsten Asylherkunftsländer zusammen, dann haben im April erstmals mehr als 21.000 Geflüchtete aus der Arbeitslosigkeit einen Einstig in Arbeit geschafft.

Die Beschäftigungsquote für Ukrainer in Deutschland ist aber auch im Vergleich mit anderen Zielländern wie den Niederlanden oder Dänemark niedrig. Ist das auch nicht aussagekräftig?

Man muss sich diese Werte jedenfalls genauer anschauen. Tatsächlich kommen weiterhin Menschen aus der Ukraine neu an, das ist in den Niederlanden und Dänemark derzeit nicht so. Und wir bemühen uns stärker darum, Geflüchteten durch Sprach- und Integrationskurse eine Per­spektive zu geben, die über eine eilige Vermittlung auf Helferjobs hinausreicht. Das dauert dann etwas länger, aber es zahlt sich nach meiner Überzeugung und auch den wissenschaftlichen Erkenntnissen nachhaltig aus. Ein Land mit einer besonders niedrigen Beschäftigungsquote in diesen Vergleichen ist übrigens Norwegen, das noch intensivere Integrationsförderung betreibt als wir.

Wie sind die Ergebnisse für Deutschland seit den Erfahrungen der großen Migrationsbewegung vor knapp zehn Jahren?

Auf jeden Fall in mancher Hinsicht besser, als es oft wahrgenommen wird. Die sogenannte Erwerbstätigenquote der 2015 nach Deutschland zugezogenen Geflüchteten liegt inzwischen bei 64 Prozent und nähert sich damit dem Bevölkerungsdurchschnitt von 77 Prozent an. Wenn man dabei nur die Männer anschaut, arbeiten sogar drei Viertel. Zum Vergleich: Die Quote der männlichen Bevölkerung liegt da auf gleichem Niveau. Die Integrationspolitik hatte seit damals viel zu lernen, aber ganz falsch gelaufen ist es offensichtlich nicht. Zutreffend ist allerdings auch, dass es bisher weit weniger gut gelingt, geflüchtete Frauen in Arbeit zu bringen, hier arbeitet knapp ein Drittel der 2015 zugezogenen Frauen.

Die Bundesregierung hat im Herbst die Initiative „Job-Turbo“ gestartet, um Geflüchtete schneller in Arbeit zu bringen. Sie sind nun der Sonderbeauftragte dafür. Was waren die wichtigsten Schritte?

Ein zentraler Punkt ist es, systematische Kontakte zwischen Menschen mit Fluchtgeschichte und Betrieben zu ermöglichen. Bis zum Spätsommer werden wir bundesweit 2500 Veranstaltungen organisiert haben, die Begegnungsräume schaffen, etwa Jobbörsen und Jobcafés. Viele Unternehmen beschäftigen schon Geflüchtete, aber gerade mit Blick auf kleine und mittlere Betriebe, die noch keine Erfahrung mit Geflüchteten haben, ist so ein Kennenlernen ein wichtiger erster Schritt. Und wir können dabei gut über Fördermöglichkeiten informieren, die wir haben.

Daniel Terzenbach, Jahrgang 1980, ist Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA) und seit Oktober 2023 Sonderbeauftragter der Bundesregierung für die Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.Tobias Schmitt

Was haben Sie noch angepackt?

Wir leisten in den Jobcentern jetzt eine deutlich intensivere Betreuung für diejenigen Geflüchteten, die gerade ihren Inte­grationskurs abgeschlossen haben. In einem sehr engen Takt wird mit den Menschen gesprochen, werden Vereinbarungen nachgehalten, Perspektiven erarbeitet – wo es sein muss auch verändert. Außerdem haben wir über den Arbeitgeberservice der Bundesagentur inzwischen mehr als 100.000 Stellenangebote eingeworben, die sich besonders für Menschen eignen, die noch nicht gut deutsch sprechen. Und das, obwohl die Konjunktur aktuell keinen Rückenwind gibt.

Werden Flüchtlinge jetzt schneller in Helferjobs vermittelt, auch wenn sie früher einmal qualifiziertere Berufe hatten?

Auch ein Helferjob kann eine gute Basis sein, um Deutsch zu lernen und mit anderen Vorbereitungen voranzukommen. Dazu ein Beispiel, das mir sehr gut gefällt: Eine Ukrainerin hatte in ihrer Heimat eine Apotheke geführt. In Deutschland braucht sie dazu aber das Sprachniveau C1 und eine Approbation nach hiesigem Recht, was mindestens drei Jahre dauert. Jetzt haben wir sie als Apothekenhelferin vermittelt – mit der Aussicht, dass sie dort als Apothekerin beschäftigt wird, sobald die Hürden überwunden sind.

Mit der Bürgergeldreform wurde eigentlich der Vermittlungsvorrang abgeschafft – man wollte Arbeitslose besser qualifizieren statt auf die nächste Helferstelle schicken. Drehen Sie das mit dem „Job-Turbo“ jetzt wieder zurück?

Nein, darum geht es nicht. Es geht um die beste Strategie für jeden Einzelfall. Auf der einen Seite gibt es weiterhin Langzeitarbeitslose, etwa Menschen, die in der Arbeitswelt nie richtig Fuß gefasst haben, weil ihnen ein Berufsabschluss fehlt. Da bringt es wirklich wenig, sie nur zum nächsten Helferjob zu schicken, der im Zweifel nicht lange hält. Aber wenn Geflüchtete mit eigentlich guter Berufserfahrung noch nicht gut genug Deutsch können, um qualifiziert zu arbeiten, kann eine Helferstelle der Einstieg zum Aufstieg sein. Das ist zielführender, als sie über lange Zeit in der Grundsicherung von einem Förderkurs zum nächsten zu schicken. Bei geflüchteten Menschen ist die Sprache das größte Hemmnis, und die lernt man besser und nachhaltiger im Job.

Mit dem „Job-Turbo“ für Geflüchtete wollte die Regierung auch stärker klarmachen, dass es im Bürgergeld Mitwirkungspflichten gibt. Machen die Jobcenter jetzt mehr Druck?

Das ist ein sehr interessanter Punkt. Aber nach meiner Erfahrung ist es in den meisten Fällen keine Frage von Druck. Viel wichtiger ist es, ein besseres Verständnis davon zu vermitteln, wie unser Sozialstaat funktioniert. Ich habe inzwischen viel darüber erfahren, was für Informationen in den Communities von Geflüchteten kursieren, zum Beispiel auf Social Media, und was für Missverständnisse es dort gibt.

Welche Missverständnisse?

Da gibt es zum Beispiel die Vorstellung, dass man nur einmal im Leben die sozialstaatliche Grundsicherung in Anspruch nehmen kann und deshalb aufpassen müsse, das System nicht „vorzeitig“ zu verlassen. Vielleicht kommt es daher, dass es in manchen Ländern tatsächlich so geregelt ist. Vielleicht hat es aber sogar mit gezielter Falschinformation zu tun, es ist jedenfalls besonders oft in russischsprachigen Telegram-Gruppen zu finden. Auf jeden Fall haben wir unsere Bemühungen verstärkt, im Austausch mit den Communities besser über unseren Sozialstaat zu informieren.

Wie sehr wird die Integration von Flüchtlingen durch die verschlechterte Lage am Arbeitsmarkt erschwert?

Die Vorausschau unserer Arbeitsagenturen lässt inzwischen hoffen, dass sich die Entwicklung im Jahresverlauf und 2025 etwas aufhellt. Davon geht auch die Mehrheit der Forschungsinstitute aus. Derzeit ist es aber tatsächlich für Arbeitslose so schwierig, einen Job zu finden, wie während des zweiten Lockdowns im Winter 2020/21. In Zahlen heißt das: Es gibt heute 15 Prozent weniger freie Helferstellen als vor einem Jahr. Und die Zeitarbeit, die immer eine besonders wichtige Brücke in den Arbeitsmarkt gerade für Geflüchtete war, meldet gar 20 Prozent weniger Stellen. Das sind schwierige Begleitumstände, die man für eine Bewertung des „Job-Turbo“ mitbedenken muss. Umso ermutigender ist es, dass trotzdem mehr Geflüchtete in Arbeit kommen.

Was könnte Politik tun, um den Einstieg in einfache Arbeit zu erleichtern – rächen sich jetzt die Bürgergeldreform und eine zu starke Erhöhung des Mindestlohns?

Das sind auf jeden Fall Fragestellungen, die es mit wissenschaftlicher Sorgfalt zu untersuchen gilt. Bisher sehe ich da aber noch keine belastbare Evidenz für einen kausalen Zusammenhang.

Hat nicht Ihr eigenes Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) gerade festgestellt, dass als Folge der Bürgergeldreform inzwischen weniger Arbeitslose in Arbeit finden?

Das war ein erstes Teilergebnis einer größeren Forschungsreihe. Es gibt aber auch im IAB bisher keine einhellige wissenschaftliche Einschätzung, dass dies schon ein belastbares Gesamtergebnis ist. Dies hat das IAB gerade auch klargestellt. Ich würde deshalb jetzt noch keine weitreichenden Schlussfolgerungen daraus ziehen.

Und was ist mit dem Mindestlohn? Wenn weniger Helferstellen angeboten werden, sind offensichtlich solche Tätigkeiten für die Betriebe nicht mehr rentabel.

Das wird auch verschiedentlich der Fall sein, aber es kann auch damit zu tun haben, dass wir seit dem vierten Quartal 2022 in einer wirtschaftlichen Schwächephase sind, die Helferstellen immer besonders stark betrifft, und dass es weniger Betriebsgründungen in Deutschland gibt, in deren Umfeld häufig solche Helferstellen entstehen. Man muss aber auch darauf hinweisen, dass es weiterhin auch unbesetzte Helferstellen gibt und die Mindestlohnerhöhung 2022 die Arbeitsanreize für Personen im Niedriglohnsektor erhöht hat. Derzeit lässt sich daher nicht seriös sagen, welchen Einfluss die Entwicklung des Mindestlohns hier hat.

Die Regierung plant im Bundeshaushalt 2025 weniger Ausgaben als 2024. Wie viel ließe sich bei den Jobcentern kürzen, ohne dass deren Integrationsarbeit leidet?

Ich sehe nicht, dass es da Spielraum für Kürzungen gibt. Im Gegenteil, auch die Jobcenter müssen ja mit steigenden Ausgaben durch Inflation und Tariferhöhungen fertigwerden. Und schon im vergangenen Jahr wurde ihr Budget nicht daran angepasst. Außerdem hat der Anstieg der Arbeitslosigkeit schon 2024 dazu geführt, dass die Regierung später Mittel nachschießen musste, um die Pflichtausgaben für das Arbeitslosengeld II zu decken.

Und was, wenn das Budget der Jobcenter 2025 trotzdem nicht erhöht würde?

In der Praxis läuft es dann so, dass sie ins Budget für Arbeitsförderung greifen müssen, um eine funktionierende Verwaltung aufrechterhalten zu können. Die Jobcenter können ja nicht einfach Personal entlassen und Räume kündigen, weil das Geld nicht reicht. Es bleiben dann notgedrungen weniger Mittel übrig, um Arbeitslose auf dem Weg in Arbeit zu fördern. Das kann wohl kaum politisch gewollt sein. Aber es werden offensichtlich harte Haushaltsverhandlungen darüber zu führen sein.

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