Brücken verbinden. Sie überwinden Täler und Flüsse und halten im übertragenen Sinne auch Koalitionen zusammen. Oft sind sie aber auch nur gesperrt – jahrelang und meist länger als geplant. Bei der Rahmede-Talbrücke im Sauerland ist das ausnahmsweise mal anders: Gerade rechtzeitig zum Weihnachtsfest wird sie an diesem Montag wieder eröffnet und damit deutlich früher als gedacht. Das lässt sich auch der Bundeskanzler nicht entgehen.
Der Fall lohnt eine nähere Betrachtung, denn die Bundesregierung will den Neubau nicht als glückliche Fügung in der Not, sondern als Vorbild verstanden wissen. Gerade hat sie sich nach Wochen des Ringens auf ein Infrastruktur-Zukunftsgesetz geeinigt, das aus einer solchen Ausnahme die Regel machen soll. 500 Milliarden Euro müssen in den kommenden zwölf Jahren verbaut werden, je schneller, desto besser. Da fügt es sich gut, dass Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) jüngst knapp zwei Dutzend Freigaben für Bauprojekte auf Autobahnen und Bundesfernstraßen erteilen konnte. Das eine hat mit dem anderen nur bedingt etwas zu tun, aber alles entspringt doch der gleichen Erkenntnis: dass sich etwas ändern muss.
Erkenntnis ist der erste Schritt zur Besserung, jetzt scheint es allerorten auch den notwendigen Druck zu geben. Die Rahmede-Talbrücke im Sauerland ist dafür ein gutes Beispiel, denn sie zeigt, wohin marode Infrastruktur in Deutschland führen kann. Vor gut vier Jahren – die Ampelregierung war noch nicht einmal eine Woche im Amt – ereilte den neuen Bundesverkehrsminister Volker Wissing die schlechte Nachricht von der Spontansperrung der Autobahnbrücke. Die A 45 war seitdem unterbrochen, Zehntausende Autos und Lastwagen rollten täglich durch das kleine Städtchen Lüdenscheid. Sie legten das Leben in der Region lahm, sorgten für Dreck, Lärm und endlose Staus. Läden mussten schließen, Kinder kamen kaum zu ihren Schulen.
Unkonventionelle Wege
Wissing musste den verzweifelten Bürgern damals versprechen, was angesichts strenger Gesetze und umständlicher Verfahren eigentlich nicht zu halten ist: Dass die Brücke so schnell wie möglich neu gebaut wird, in einem Tempo, das bisher nur Genua vorgelegt hatte. Dort stürzte im August 2018 die Morandi-Brücke ein, 43 Menschen starben. Italien reagierte mit einem Notfalldekret, das die üblichen Verwaltungsprozesse außer Kraft setzte und dazu führte, dass die Brücke nur zwei Jahre später eröffnet wurde.
Deutschland ging notgedrungen einen anderen Weg. Er dauerte zwar etwas länger, kommt aber in diesem Land trotzdem einer Revolution gleich. Es wurde jede Möglichkeit genutzt, die das geltende Recht hergibt. Die Behörden gingen unkonventionelle und pragmatische Wege. Das Konsortium bot seine ganze Baukunst auf, die Verwaltung zeigte sich gnädig. Niemand klagte. Das Planfeststellungsverfahren wurde drastisch verkürzt. Die Brücke wurde funktional ausgeschrieben, die ausführenden Unternehmen konnten selbst die Detailplanung übernehmen. Parallele Genehmigungsverfahren beschleunigten das Projekt zusätzlich. Mit anderen Worten: Alle Beteiligten haben aufgehört, sich gegenseitig zu blockieren, und stattdessen gleichzeitig gearbeitet. Nur deshalb kann Schnieder jetzt das Versprechen einlösen, das sein Vorgänger einst gegeben hat.
So viel Agilität war bisher selten, jetzt muss sie standardmäßig zum Einsatz kommen. Dafür soll das Infrastruktur-Zukunftsgesetz sorgen, das in der letzten Sitzung vor Weihnachten nach langem Widerstand aus dem SPD-geführten Umweltministerium durch das Kabinett gedrückt wurde. Schienenvorhaben, der Neubau von Autobahnen und der Ersatz von Brücken sollen künftig im „überragenden öffentlichen Interesse“ stehen und damit prioritär behandelt werden.
Kritiker tun das mit dem Argument ab, wer alles priorisiere, priorisiere in Wahrheit nichts. Aber so kann nur reden, wer nicht möchte, dass Deutschland künftig mehr schafft als bisher. Schließlich geht es gerade darum, die Kapazitäten zu erhöhen. Die Bauindustrie hat in den vergangenen Monaten nicht gerade an Überforderung gelitten. Im Gegenteil: Die Branche hat Monate der Kurzarbeit hinter sich.
Die Änderungen sind nicht ohne Risiko. Schon jetzt ist klar, dass das Gesetz auf breiten Widerstand stoßen wird. Aber es ist gut, dass die Bundesregierung die ausgetretenen Pfade verlässt. Nirgendwo zeigt sich besser als in Lüdenscheid, wie wichtig es ist, dass Brücken funktionieren.