Nicht nur in seiner Heimatstadt Berlin ist der Pop-Art-Künstler Jim Avignon bekannt wie ein bunter Hund. Keiner malt schneller, kaum jemand ist produktiver. Als Neoangin veröffentlicht der notorische Hutträger nebenbei auch noch regelmäßig Indie-Pop-Alben.
Nun feiern Avignon und seine Kunst-Kollegin Fehmi Baumbach 25 Jahre Who is Afraid Of Friendly Capitalism?, eine jährlich stattfindende Mischung aus Kunstausstellung, Lounge und Szene-Party. Die Vernissage fand letzten Freitag in der Galerie Neurotitan im Haus Schwarzenberg statt. Bis zum 10. Januar wird dort „Kunst von über 80 Künstler:innen aller Genres aus über drei Generationen“ gezeigt, viele davon haben die anarchisch kreativen Berliner Nachwendejahre mitgestaltet: Danielle de Picciotto, 4000, Françoise Cactus, Brezel Göring, Moritz Reichelt, aber auch der Schauspieler Milan Peschel. Überlebenskünstler in einer Stadt, die für Kultur immer weniger übrig hat.
der Freitag: Herr Avignon, trotz Ihrer Prominenz als Künstler sind Ihre Bilder immer noch unverschämt günstig. Für 50 Euro kriegt man schon mal einen original Avignon. Warum ist es Ihnen so wichtig, dass Kunst bezahlbar bleibt?
Jim Avignon: Wenn ein Künstler Werke ab 10.000 Euro aufwärts produziert, ist wahrscheinlich nur noch ein Prozent der Bevölkerung in der Lage, sich über den Erwerb eines Bildes überhaupt Gedanken zu machen. Das heißt, der größte Teil der Gesellschaft kann nicht mehr kaufen, sondern nur noch bewundern. Mir gefällt die Idee, dass jeder in der Lage sein sollte, sich eine Arbeit von mir zu kaufen und zu Hause aufzuhängen.
Wie unterscheidet sich dieser Ansatz von den vielen Nachahmern der Affordable Art Fair und Ähnlichem?
Meine Kunst soll bezahlbar bleiben, zumindest solange ich lebe. Die Affordable Art Fair sieht sich eher als Sprungbrett für Einsteiger, die aber eigentlich auch nur davon träumen, dass ihre Preise später mal durch die Decke gehen.
Die Friendly Capitalism Lounge, die Sie seit 25 Jahren einmal jährlich mit der Künstlerin Fehmi Baumbach veranstalten, ist ein Versuch, den anarchischen Geist der Berliner Nachwendejahre zumindest im Kleinen zu erhalten. Warum die Nostalgie?
Ende der Neunziger bestand die Berliner Szene aus etwa 2.000 Leuten, von denen jeder eine Bar, eine Galerie oder einen Off-Space gemacht hat. Alle sind damals ausgegangen, jeder war gleichzeitig Produzent und Konsument. Ab der Jahrtausendwende hat sich das massiv geändert. Peaches und Gonzalez starteten aus dem Berliner Sumpf heraus Weltkarrieren, die Clubs haben sich zu hoch entwickelten Dienstleistungsunternehmen professionalisiert. In dem Moment, wo der erste aus einer Gruppe mit dem, was er/sie macht, sehr viel Geld verdient, denken alle anderen, das sollten sie auch tun. Um dazu einen Gegenpol zu setzen, haben wir 2001 mit der Friendly Capitalism Lounge angefangen – ohne zu glauben, dass wir das lange machen. Es war, wie Sie sagen, eher der Versuch, das Neunziger-Jahre-Gefühl aufrechtzuerhalten.
Das Haus Schwarzenberg, wo gerade die Jubiläumsausstellung stattfindet, ist eins der letzten Überbleibsel der Nachwendejahre in Mitte, eine Art widerständiges gallisches Dorf.
(lacht) Ja, es fällt schwer, dabei nicht an Asterix zu denken. Gegenüber liegt ein Apple Store, drumherum die Flagshipstores der großen Ketten, und dann geht man in diesen Hof rein und plötzlich ist alles ganz anders.
Wieso gibt es das überhaupt noch?
Weil die Betreiber des Schwarzenberg die ersten waren, die gesagt haben: Wir brauchen einen guten Mietvertrag, damit wir hier länger bleiben können. Die sind 1996 dorthin gezogen, seitdem stand es für die Mieter immer wieder auf der Kippe. Aber inzwischen kann es sich Berlin gar nicht mehr leisten, das Haus dichtzumachen. Alle Welt will dorthin, um zu sehen, wie es in Berlin früher mal aussah.
Neben Klaus Biesenbach waren Sie in den Neunzigern Mitbegründer der Kunst-Werke, heute eine der wichtigsten Galerien für zeitgenössische Kunst.
Ja, aber nach einem Jahr haben wir uns schon überworfen. Biesenbach war in den Neunzigern nicht sehr beliebt in der Berliner Subkultur. Er hat es am besten verstanden, einen Großteil der Mittel für seine Projekte abzuzwacken, alle anderen gingen leer aus. Man muss ihm aber zugute halten, dass er tatsächlich eine Art Vision hatte, mit den Kunst-Werken, und überhaupt mit seinen Themen. Gleichzeitig war er einer der ersten in Berlin, der aus der Szene heraus karrieristisch vorgegangen ist.
Inwiefern?
Wir waren damals sieben Leute, er war einer davon. Unser Verein hieß zu Beginn „Gemeiner Kunstverein“, daraus sind dann später die Kunst-Werke geworden. Die erste Ausstellung dort war von mir und fand im Januar 1991 in der späteren Wohnung von Klaus Biesenbach statt. Er hat damals auch die Eröffnungsrede gehalten. Aber dann zog er in einem irren Tempo Immobilien an Land, auch die Margarinefabrik, die dann später zu den Kunst-Werken wurde. Was mir damals vorschwebte, eigentlich uns allen, war eine Art Off-Location, eigentlich so was Ähnliches wie das Neurotitan. Klaus Biesenbach wollte von Anfang das ganz große Rad drehen, was Internationales.
Aber Ihnen war doch sicher klar, dass der Underground der Nachwendejahre nicht ewig dauern würde?
Bizarrerweise war uns das nicht klar, keinem von uns. Als ab 2000 dann tatsächlich ein anderer Wind wehte, war ich völlig überrascht. Alle hatten so leidenschaftlich in den Tag hinein gelebt, dass man den größeren Blick auf die Veränderungen verlor. Die Messe Berlinbeta versuchte damals, Unternehmen und Subkultur zusammenzubringen, überhaupt Berlin attraktiver zu machen. Da gab es reichlich Panels, aber auch Partys, mit denen Firmen nach Berlin gelockt werden sollten. Fehmi und ich wurden damals gefragt, ob wir in dem Rahmen eine Party machen wollen. Einerseits waren wir skeptisch, wir hatten schon verstanden, dass wir da instrumentalisiert werden sollten. Andererseits hat es uns gereizt, das zu kommentieren. Und so kamen wir auf diesen Titel Who is Afraid of Friendly Capitalism? – mit dem Nachsatz „Capitalism is never friendly“.
„Gute Ideen entstehen selten im Atelier, sondern öfter an der Bar“ war ein weiteres Motto. Gibt es bei den Künstlern, die Sie zeigen, stilistische Schwerpunkte?
Wir zeigen alles, was wir selber gut finden. Ich glaube, es ist ein Vorteil, dass Fehmi und ich so völlig verschiedene Ansätze haben. Weil die Künstler, die wir aussuchen, natürlich auch aus unterschiedlichen Bereichen kommen. Fehmi macht Collagen und Fotografie, bei mir ist es eher Malerei, Illustration oder Cartoon. So ist von vornherein klargestellt, dass wir uns nicht auf einen bestimmten Stil fokussieren, sondern eher auf eine Haltung innerhalb der Kunstwelt.
Wie ist eigentlich Ihr Verhältnis zum Kapitalismus?
Mir fehlt wirklich jegliche Fantasie, was ich mir kaufen könnte. Fast schon ein Mangel. Produkte zu besitzen ist für mich so unattraktiv wie nur irgendwas. Ich habe ein Paar Schuhe, das trage ich, und wenn das kaputt geht, kaufe ich ein neues Paar. Ich bin froh, wenn ich genug Geld verdiene, dass ich mit meiner Family in Urlaub fahren kann und wir essen gehen können, wann wir wollen. Das ist mein Verständnis von Luxus.
Das war jetzt aber eher das Verhältnis zum Konsum …
Meine Mutter ist eine überzeugte Altlinke, mit ganz klaren Feindbildern. Davon habe ich bestimmt in meiner Erziehung einiges mitbekommen, das findet sich ja auch in meinen Bildern. Da ist der Kapitalismus an sich böse, klarer Fall. Aber die Geschichte hat gezeigt, dass es die anderen Systeme auch nicht gebracht haben. Insofern ist die Utopie des freundlichen Kapitalismus vielleicht doch nicht völlig abwegig. Aber letztendlich weiß ich nicht, ob es einen freundlichen Kapitalismus überhaupt geben kann oder ob das eine reine Utopie bleibt.
Hat man Ihnen gelegentlich Naivität vorgeworfen?
(lacht) Na, die ganze Zeit, früher mehr als heute. Früher so sehr, dass ich das Gefühl hatte, alles, was ich mache, wird immer nur als happy-go-lucky-bunte Bilderwelt für Yuppies gelesen. Jahrelang war ich überzeugt, den kritischen oder philosophischen Aspekt in meiner Kunst nicht vermitteln zu können. Doch das hat sich inzwischen geändert. Ab und zu leiste ich mir trotzdem eine gewisse Portion Naivität, das finde ich auch richtig. Auch Kollegen aus der sogenannten Hochkultur können jetzt besser nachvollziehen, dass ich diesen Weg gegangen bin oder dass es über die Jahre Sinn ergeben hat, diesen Weg zu gehen. Wenn mich Leute anderen Leuten vorstellen, merke ich, dass sich die Worte dabei doch sehr verändert haben, im Unterschied zu früher.
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Jim Avignon (auch Neoangin oder Christian Reisz) war nach eigenen Angaben unter anderem als Programmierer, Altenpfleger und Schulbusfahrer tätig, bevor er im Berlin der späten 1980er-Jahre als Maler, Musiker, Illustrator und Konzeptkünstler aktiv wurde