Das Treffen findet in den Räumen von X-Verleih am Spreeufer in Berlin-Kreuzberg statt. Neben unserem Tisch stehen Reklameschilder und Requisiten der Serie Babylon Berlin. Von einem riesigen Pappaufsteller für Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße schaut Hauptdarsteller Charly Hübner rüber. Die Verfilmung von Maxim Leos Roman kommt am 11. Dezember in die Kinos.Christiane Paul und Maxim Leo kennen sich schon länger, sie sind per Du.
der Freitag: Christiane Paul, die meisten kennen Sie aus dem Film „Das Leben ist eine Baustelle“, diesem 90er-Jahre-Berlin-Film von Wolfgang Becker. Der traf das damalige Lebensgefühl. Ost-West hat keine Rolle gespielt. Viele wussten wahrscheinlich gar nicht, dass Sie Ostdeutsche sind.
Christiane Paul: In letzter Zeit werde ich irgendwie wieder mehr mit den Ost-West-Themen in Verbindung gebracht. Gerade war ich bei einer ZDF-Dokumentation anlässlich von 35 Jahren Wiedervereinigung zusammen mit Christian Schwochow und Gregor Gysi dabei. Das war für mich total interessant, weil ich mich dadurch auch wieder intensiver mit dem ostdeutschen Blick auf die Wiedervereinigung, unseren angeblichen Besonderheiten und dem Anderssein beschäftigen musste.
Maxim Leo: Für dich war es eigentlich immer klar, dass du Ostdeutsche bist.
C. Paul: Ja, schon. Ich habe vor Kurzem mit einem sehr berühmten deutschen Schriftsteller darüber gesprochen, der sagte, er habe dieses Label: der ostdeutsche Schriftsteller. Aber niemand würde doch über Günter Grass sagen: der westdeutsche Schriftsteller. Es sind im Moment vor allem jüngere Menschen, für die das irgendwie wieder wichtiger wird. Ich habe das gemerkt, als ich vor einigen Jahren mit einem jungen Produzenten gearbeitet und auch den Autor Thilo Mischke kennengelernt habe. Die waren damals beide Anfang, Mitte 30. Und ich dachte: Warum fühle ich mich bei den beiden so zu Hause?
Woran lag es?
Es war die Art und Weise, wie sie gesprochen, wie sie sich verhalten haben. Dann habe ich gefragt: Wie kommt das? Warum seid ihr mir so vertraut? Und sie sagten mir: Das kommt durch unsere Eltern. Diese Generation, die jetzt um die 60 ist und die wie um ihre Identität betrogen wurde. Diese Ostidentität kommt also irgendwie zurück. Es gibt Gruppen, die das regelrecht zelebrieren, junge Leute, die die DDR gar nicht mehr erlebt haben.
M. Leo: Sie bedauern den Verlust von etwas, das sie nicht gekannt haben. Ihre Bilder von der DDR sind ja die Sehnsuchtsbilder ihrer Eltern. Sie leben das stellvertretend für ihre Eltern aus. Und das führt zu psychologisch interessanten, aber durchaus fragwürdigen Bildern, weil sie sich auf etwas berufen, was es möglicherweise nie gegeben hat. Vielleicht gab es in der DDR besondere Solidarität und Zusammenhalt, aber in der Vorstellung dieser jungen Leute wird das immer paradiesischer.
C. Paul: Es gibt aber auch Leute wie die Theaterregisseurin Lena Brasch, die Anfang 30 ist und für die diese Frage nach der Identität eine Suche nach den eigenen Wurzeln ist. Identität ist wichtig und man kann da nicht so einfach drüber hinwegwischen. Und vielleicht gibt es jetzt eine junge Generation, die diese Identität stellvertretend für ihre Eltern, denen sie aberkannt wurde, übernimmt.
M. Leo: Ich glaube, dieser Identitätsverlust ist einer der Hauptgründe für die AfD und für bestimmte Debatten, die wir heute haben. Je unsicherer du dir in deiner eigenen Zugehörigkeit zu diesem Land bist, desto kritischer und ängstlicher guckst du auf Leute, die später herkommen und angeblich nicht dazugehören. Im Grunde sind die Ostdeutschen die Latinos von Deutschland. Warum wählen viele Latinos Trump? Weil sie die letzten sind, die in den USA dazugekommen sind, und das, was sie sich aufgebaut haben, nicht verlieren wollen.
Ist der Zeitgeist heute nostalgischer?
M. Leo: Das ist vielleicht auch eine Altersfrage. Mir hat diese DDR eigentlich erst angefangen zu fehlen oder eine Bedeutung zu haben, als sie schon verschwunden war. Ich fand die immer blöd, als sie noch da war. Als sie auf einmal weg war und andere Leute schlecht über sie geredet haben, da hab ich angefangen, sie zu verteidigen. Und das hatte auch mit Nostalgie zu tun. Das war für mich eigentlich der Ausgangspunkt dieser Geschichte, Der Held vom Bahnhof Friedrichstraße.
Sie erzählen in Ihrem Buch, das nun verfilmt wurde, von einem erfolglosen Ostberliner Videothekenbesitzer (Charly Hübner), der ungewollt zum Helden wird, weil er am Bahnhof Friedrichstraße eine Massenflucht organisiert haben soll. Alle reißen sich plötzlich um ihn, die Talkshows, der Bundespräsident.
M. Leo: Mein Eindruck war, je mehr Zeit vergeht, desto mehr verwandelt sich die DDR in ein schwarz-weißes Museumsland, in dem nur ganz mutige Bürgerrechtler und ganz fiese Stasileute gelebt haben. Zu jedem Mauerfallgedenkjahr, zu jedem Erinnerungstag der Deutschen Einheit wurde dieses DDR-Bild karikaturhafter. Und hatte immer weniger mit den Erinnerungen zu tun, die ich selber noch aus meiner Kindheit hatte. Die DDR war eben manchmal absurder, aber manchmal auch normaler, als man sich das im Westen vorstellen konnte. Es ist ja auch nicht so einfach, sich von außen eine Diktatur vorzustellen. Viele im Westen denken: Na ja, es regnet praktisch immer, die Leute weinen und haben Hunger. Dabei waren viele Dinge auch ganz normal: Der erste Kuss, die erste eigene Wohnung.
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Solche alltäglichen Geschichten werden als Verklärung abgetan.
M. Leo: Da gab es ein sehr großes Missverständnis zwischen Ost und West. Westler dachten, wenn ein Ostler sich mit so einem angenehmen Schauer an seine Jugend erinnert, dann will er die DDR zurückhaben oder die Mauer. Aber er hat sich einfach an die Zeiten erinnert, als er jung war, in der tolle Sachen passiert sind.
C. Paul: Ich erinnere mich aber auch daran, dass der Alltag schon sehr durchpolitisiert war. Wir hatten viele politische Diskussionen, in der Schule, beim Abendbrot. Aber ich bin dankbar dafür, weil ich schon als junges Mädchen über Dinge wie Lenins Dekret über den Frieden oder das Apartheid-Regime in Südafrika nachdenken musste.
Die Romanverfilmung spielt mit Ost-West-Klischees, der bärtige Bürgerrechtler (Thorsten Merten) verteidigt in einer Schulklasse die Diktatur, der Reporter eines westdeutschen Nachrichtenmagazins, der die Geschichte umschreibt, steht total unter Druck. Aber niemand wird in die Pfanne gehauen.
C. Paul: Für mich hat der Film etwas Versöhnliches. Auch in dieser ganzen Ost-West-Debatte. Diese ganzen Probleme, die die Hauptfigur durchmacht oder die Figur des ehemaligen DDR-Bürgerrechtlers. Das ist ja alles nicht so bierernst. Und beim Drehbuchlesen dachte ich: Das ist der Film, den wir jetzt alle brauchen. Sympathische Figuren, auf die man wohlwollend guckt. Auch nostalgisch. Versöhnung ist eine wichtige Sache, weil die Welt einfach gerade nur im Streit ist, Deutschland sowieso.
Im Streit?
M. Leo: Man schafft es einfach nicht mehr, miteinander zu reden oder zu ertragen, dass jemand eine andere Meinung hat. Der muss dann gleich missioniert werden. Einfach auszuhalten, dass da Differenzen sind, das ist für viele unmöglich geworden.
Der Film spielt auch mit Erwartungen, wie ein Westler, ein Ostler sein musste.
M. Leo: Ja, und das ging ja in beide Richtungen. Ich dachte damals, die im Westen sind alle so wahnsinnig schlaue, elegante Menschen. Und ich weiß noch, wie enttäuscht ich war, als ich nach dem Mauerfall die ersten echten Westler kennengelernt habe. Weil die eigentlich so normal waren, dass sie wahrscheinlich auch bei uns nicht aufgefallen wären. Und umgekehrt war es ähnlich, die Westler rechneten mit dankbaren, ein bisschen devoten Eingeborenen, die zum ersten Mal mit der Zivilisation in Kontakt kommen, und bekamen es mit aufmüpfigen und auch ein bisschen anstrengenden Menschen zu tun.
Die Jungs aus West-Berlin kamen nach Ostberlin rüber, mussten nur mit ihren Ausweisen wedeln und hatten die schärfsten Bräute sicher. Das war unfair
Sie haben sich zu DDR-Zeiten auf dem Alexanderplatz als Westler ausgegeben, Maxim Leo. Wieso?
M. Leo: Das hat mit einem sexuellen Trauma zu tun. Als ich 16, 17 war und anfing, in die Disco zu gehen, kamen die Jungs aus West-Berlin zu uns nach Ostberlin rüber, mussten nur mit ihren Ausweisen wedeln und hatten die schärfsten Bräute sicher. Das war ein unfairer Wettbewerb. Und ein Kumpel und ich dachten: Das können wir auch. Und dann sind wir losgezogen, mit ’ner alten FAZ, einem Falk-Stadtplan und Westjeans.
C. Paul: Wo hattet ihr den Stadtplan her?
M. Leo: Von meiner Oma. Und dann waren wir eben auch Westler und haben die Ostler am Alexanderplatz gefragt, wie es ihnen so geht. Ob sie Hunger haben.
C. Paul: Ob sie Hunger haben? Das ist sehr schön.
M. Leo: Sexuell hat es leider nicht so gut funktioniert. Obwohl, erst mal lief es gut, wir lernten zwei Mädchen aus Thüringen kennen. Aber kurz bevor es interessant werden konnte, sagten die: Müsst ihr nicht wieder rüber? Dann haben wir uns im Tränenpalast verabschiedet, sind die Treppe vorne hochgelaufen. Und gingen die Treppe hinten wieder runter.
Der Videothekenbesitzer im Film, Michael Hartung, der sich kaum für Politik interessiert, wird in diese Ost-West-Minenfelder reingezogen.
M. Leo: Er will eigentlich gar kein Held sein, ist aber genau so, wie sich die Westler einen ostdeutschen Helden vorstellen, weshalb er aus der Sache nicht mehr rauskommt. Irgendwann findet er das auch ganz schön, weil seine Tochter, die ihn eigentlich für einen Versager hält, ihn auf einmal bewundert, da er überall Anerkennung bekommt. Er wird zur Projektionsfläche, weil er so einfach, so lustig, so dissidentisch ist.
Irgendwann trifft er Paula, die Sie spielen, Christiane Paul. Eine feenhafte Frau, die als Kind in jenem S-Bahn-Zug saß, der in den Westen umgeleitet wurde. Sie sieht ihn im Fernsehen und geht dann einfach mal zu seiner Videothek.
C. Paul: Typisch Osten eigentlich: Man kam einfach vorbei, man hat sich nicht verabredet, sondern hat geklingelt, manchmal auf der Treppe gewartet, Zettel hinterlassen.
Michael Hartung hängt rum, er ist von seiner Frau getrennt und hat ein kompliziertes Verhältnis zu seiner Tochter. „Der Ostmann hat kein Talent zum Che Guevara, kein Heldentalent“, heißt es im Film.
C. Paul: Dabei hatten wir doch Vaclav Havel. Lech Wałęsa. Anführer in der Revolutionszeit Ende der 80er. Havel, der letzte Präsident der Tschechoslowakei und Wałęsa, der polnische Oppositionspolitiker von der Gewerkschaft Solidarność.
M. Leo: Das waren Typen, die attraktiv waren, die ein Charisma hatten, eine ikonische Lässigkeit, solche Figuren fehlten in der DDR-Opposition.
C. Paul: Gysi vielleicht? Aber der war nicht wirklich Dissident.
Hat die Ostfrau das Talent zur Heldin?
C. Paul:
Die Ostfrau war einfach ein bisschen lässiger und gleichzeitig total emanzipiert und stolz und weiblich. Wir kämpfen nicht ständig gegen den Mann als Problem
. Ich kenne viele Frauen aus dem Westen, die patriarchale Strukturen erlebt haben und als Frau im Beruf nicht ernst genommen wurden. Ich habe Mitte der Neunziger Medizin studiert, dann in der Chirurgie gearbeitet und habe das selber nie so erlebt. Mein Geschlecht war für mich nie ein Thema. Aber ich verstehe, dass es patriarchale Strukturen gibt und die werden jetzt gerade stärker. Es kommt ein Backlash.
Welcher Backlash?
C. Paul: Die Herdprämie in Bayern vor einigen Jahren. Und wir haben eine starke AfD, starke Bewegungen, die in alte gesellschaftliche Muster zurückwollen. Oder Trump. Und das macht mir Sorgen, weil ich nicht darüber nachdenken will, dass ich eine Frau bin. Ich will nicht das Gefühl haben, dass diese Rollen bestimmen, wie wir miteinander umgehen. Heute müssen meistens beide Partner arbeiten, sonst könnten sie gar nicht überleben. Die Frauen dafür bezahlen, damit sie zu Hause bleiben? Im Ernst? Wir wissen doch, dass Emanzipation und Selbstständigkeit durch eine Ausbildung, berufliche Entwicklung kommen. Das heißt ja nicht zwangsläufig, dass es dem Kind schlecht gehen muss.
In einer wunderbaren Filmszene sitzen Paula und ihr unverhoffter Held an einem Brandenburger See, da erzählt er ihr von seiner ersten Liebe, von einem krassen Missgeschick und wie sie dann, ziemlich lädiert, Sex hatten.
M. Leo: Eine absurde Geschichte, wie er runterfällt von diesem Hochstand mit einer ausgekugelten Schulter, gebrochener Hand, blutend.
C. Paul: Und dann kommt dieser schöne Satz: „Liebesspiele, die nur ein Ostmann kann“.
M. Leo: Paula macht sich über ihn lustig.
C. Paul: Nee, finde ich nicht. Sie findet ihn toll. Und sie würde ja da nicht mit ihm liegen, wenn sie das blöd finden würde.
M. Leo: Mir gefällt diese Szene, weil es da auch wieder um diese Bilder voneinander geht. Ich hatte vor Jahren dieses Buch über meine ostdeutsche Familie geschrieben, Haltet euer Herz bereit.
C. Paul: Ich habe es geliebt.
Sie erzählen da von Ihrer Familie und auch davon, was die DDR zusammenhielt und was sie schließlich zerstörte.
M. Leo: Da war ich öfter bei Lesungen im Westen, und dann kamen immer dieselben Fragen. Eine davon war: „Stimmt das eigentlich wirklich? Hatten Sie im Osten so viel Sex?“ Ich habe dann manchmal gesagt: Nie mehr als zwölfmal die Woche – wenn wir krank waren. Ich fand es lustig, so ein Bild eines sibirischen Sexmonsters aufzubauen. Lustigerweise haben das einige wirklich geglaubt, nach dem Motto: Sie hatten nicht viel, aber ihre Körper.
In jedem Klischee steckt was Wahres.
M. Leo: Ja, es scheint aber nicht ein Ost-West-Ding zu sein, sondern auch eine Generationsgeschichte. Es gibt ja Umfragen, dass die heutige Generation viel weniger Sex hat als wir damals.
Macht Sie so was sentimental?
C. Paul: Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich denke, früher war alles besser. Und denke, okay, jetzt wird’s echt ernst mit dem Älterwerden. Weil sich die Welt verändert und man sich wünscht, dass man den Überblick behält. Wir haben diese Verwerfungen in der Gesellschaft. Verabredungen, die man untereinander hat, auf die man sich verlassen kann, die brechen einfach auf.
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Worauf kann man sich nicht mehr verlassen?
C. Paul: Wenn überall KI-Bots eingesetzt werden, kannst du niemanden mehr anrufen, wenn du ein Problem hast, mit niemandem mehr einfach sprechen, um die Dinge zu klären. Bestimmte Werte, wie wir zusammen leben wollen, werden aufgebrochen. Ich glaube, darum entwickeln viele Menschen Eskapismus-Fantasien.
Stimmt es eigentlich, dass Sie beide früher Models waren?
M. Leo: Absolut.
C. Paul: Echt? Wo?
M. Leo: Berlin Models. Ich hab direkt angefangen, als die Mauer gefallen war.
C. Paul: Ich war bei Luisa Models in München.
M. Leo: Ich habe den zweiten Platz bei „Gesicht 92“ gemacht. Wir mussten im Grand Hotel die Treppe runtergehen und unten saß eine Jury unter Herrn Fielmann. Mein Preis war ein Werbevertrag über 5.000 D-Mark, der aber nie von Fielmann eingelöst wurde. Ich habe mehr so Fotogeschichten gemacht, alle wollten damals in Berlin shooten. Da waren die ganzen ehemaligen DDR-Models vom Modeinstitut und wir fuhren zusammen auf die Münchner Modewoche. Das war praktisch, weil ich mir so mein Studium finanzieren konnte. Ich hab zwei Nachmittage im Monat gearbeitet, das hat gereicht. Das erste Foto von mir hat übrigens Ute Mahler gemacht und zwar in einem Nadelstreifenanzug in der Friedrichstraße.
Wie haben Sie diese Modelwelt erlebt, Christiane Paul?
C. Paul: Ich habe bei einem Modelwettbewerb der Miss Vogue mitgemacht, ein deutsch-deutscher Modelwettbewerb. Dafür haben sie damals Ost-West-Models gesucht. Eigentlich bin ich zu klein, aber ich bin da reingerutscht, weil jemand abgesagt hat. Die haben mich drei Tage vorher angerufen und mir ist fast der Telefonhörer aus der Hand gefallen. Das war schon krass. Dann waren die Vogue-Leute da und Jim Rakete saß in dieser Jury. Und er kam später zu mir und sagte, er würde gerne Fotos von mir machen. Und ich dachte: Das glaube ich dir jetzt nicht! Wir haben uns Jahre später wieder getroffen, er hat dann immer wieder Fotos von mir gemacht. Im Herbst 1990 war ich in Miami. Und das hatte mit der Welt, in der ich groß geworden bin, gar nichts zu tun.
M. Leo: Du warst international unterwegs!
C. Paul: Ich war 15, 16, als ich in diese Modelwelt reinkam. Das war eine wilde Zeit. Und ich habe am Anfang kein Geld verdient, sondern musste erst mal Sedkarten machen. Ich hatte Schulden bei der Agentur, musste in München meine Miete zahlen, das war ein harter Aufschlag. Diese ganzen materialistischen Ideen, die für mich neu waren. Diese Härte. Es ging einfach nur ums Geld. Ich habe dann 1991 mein erstes Filmcasting gekriegt und habe angefangen, Filme zu drehen. Damit war ich raus aus dem Model-Business.
Am Ende des Films hockt Hartung auf einer Baustelle am Brandenburger Tor. Sofort kommen Polizisten: ‚Was machen Sie hier?‘ Und er sagt: „Ich will hier einfach nur sitzen.“
C. Paul: Ja, diese Figur ist wie aus der Zeit gefallen. Optimierung, Effizienz, alles muss abrechenbar sein und strategisch – so ist er überhaupt nicht. Das ist es, was meine Figur Paula so an ihm mag.
M. Leo: Vor allen Dingen ist das nicht nur eine Ost-West-Nostalgie-Geschichte, sondern der Typ entzieht sich einfach jeglicher Mode. Der ruht in sich, der ist zwar immer der Verlierer der Geschichte in der Karriere, die er gemacht hat, aber er ist jemand, der so angenehm wenig will. Und deswegen auch selten enttäuscht ist.
C. Paul: Und das ist sehr beruhigend. Da kann man sich einfach wohlfühlen.
Christiane Paul (geb. 1974 in Ostberlin) war Ärztin, bis sie den Beruf zugunsten der Schauspielerei aufgab. Sie spielte in Filmen wie Eltern (2013) oder in Maxim Leos Romanverfilmung Es ist nur eine Phase, Hase (2021). Im Jahr 2016 gewann sie den Emmy für Unterm Radar
Maxim Leo (geb. 1970 in Ostberlin) ist preisgekrönter Journalist, Schriftsteller und Drehbuchautor. Er schrieb Wo wir zu Hause sind über seine vertriebene jüdische Familie und verfasste mit Jochen Martin Gutsch mehrere Bestseller über das Leben mittelalter Männer