Am Wochenende hatte die russische Exilopposition in Deutschland zu Demonstrationen für Frieden in der Ukraine aufgerufen. Zu den Organisatoren zählte Ilja Jaschin, der im August durch einen Gefangenenaustausch freikam
der Freitag: Viele Russen, die den Krieg ablehnen, sind nun über den ganzen Globus verstreut. Warum fand der Antikriegsmarsch ausgerechnet in Berlin statt?
Ilja Jaschin: Man hat das Gefühl, dass es hier die größte und aktivste Gemeinschaft russischer Migranten gibt. Viele hat es wegen des Krieges und der Politik von Wladimir Putin hierher verschlagen. Bei meinen bisherigen Veranstaltungen kamen in Berlin 2.500 Leute zusammen, in Paris 700. Und wir wollen ja viele Menschen dazu bewegen, Stärke zu zeigen.
Was ist Ihre Botschaft?
Wir wollen all jene vereinen, die gegen den Krieg sind und glauben, dass die russischen Soldaten die Ukraine verlassen und in ihre Heimat zurückkehren sollten. Wir wollen die Antikriegsbewegung stärken. Es gilt Menschen zu vereinen, die ihre Stimme erheben für die Freilassung politischer Gefangener und diese unterstützen. Unterschiedliche Oppositionsgruppen sollen in eine echte Antikriegs- und Pro-Demokratiebewegung verwandelt werden.
Wer ist denn Adressat Ihrer Botschaft?
Natürlich die russischen Offiziellen. Unsere Forderungen richten sich in erster Linie an den Kreml. Von Präsident Putin fordern wir den Abzug der russischen Truppen aus der Ukraine und seinen Rücktritt. Natürlich rechnen wir nicht damit, dass er dann morgen all diesen Forderungen nachkommt. Aber dennoch müssen wir sie an die Behörden des Landes richten und unsere Anhänger bündeln. Es ist auch eine wichtige Aufgabe, Solidarität mit den in Russland verbliebenen Mitbürgern zu zeigen. Die Menschen dort haben praktisch keine Stimme mehr, sie werden zum Schweigen gebracht. Nicht nur, was die Teilnahme an irgendwelchen Antikriegsaktionen angeht, sondern Äußerungen in privaten Gesprächen oder Posts in sozialen Netzwerken. Für all das kann man ins Gefängnis geschickt werden.
Eine Reaktion aus Moskau gibt es ja bereits. Kremlsprecher Peskow hat erklärt, Sie stünden nicht für Russland. Was meinen Sie dazu?
Im Gegensatz zu Peskow habe ich schon an Wahlen dort teilgenommen. Ich habe Ämter ausgeübt, in die ich gewählt worden war. Peskow dagegen ist ein von oben ernannter Beamter. Im Gegensatz zu ihm kenne ich das russische Leben in all seinen Erscheinungsformen: Ich war im Gefängnis, ging ohne Sicherheitsleute in Geschäfte, unterhielt mich viele Jahre mit Leuten in der Öffentlichkeit, reiste durch die Regionen. Peskow dagegen sitzt in hohen Ämtern und blickt von dort auf die Menschen herab.
Der Kreml wollte wohl eher zum Ausdruck bringen, dass ihm Ihre Aktionen gleichgültig sind.
Das bringt mich zum Schmunzeln. Warum hat sich Peskow dann eigens zu einem Statement aufgerafft? Das erinnert mich an einen alten Witz: „Drei Tage und Nächte bin ich dir nachgelaufen, um dir zu sagen, wie gleichgültig du mir bist.“
Planen Sie eine Vereinigung der russischen Opposition in einem gemeinsamen Gremium?
Ich denke, es ist aktuell noch nicht möglich, aber auch nicht notwendig, alle in einer Organisation zu vereinen. Dadurch verschwinden die inneren Konflikte nicht, sie würden nur innerhalb der Organisation weitergehen. Wir sollten lieber die Menschen vereinen, die denken wie wir.
Ilja Jaschin (geb. 1983) war in Russland aktiv in den liberalen Bewegungen Solidarnost und Jabloko. Er war bis 2021 Vorsitzender des Abgeordnetenrates des Moskauer Stadtteils Krasnoselski. 2022 wurde er nach Kritik an der russischen Ukraineinvasion inhaftiert