Ein halbes Jahr vor dem Start der Betriebsratswahlen im Frühling 2026 hat die Gewerkschaft IG Metall eine Kampfansage an die Adresse des amerikanischen Elektrowagenherstellers Tesla geschickt. „Wir werden bei Tesla über kurz oder lang einen Tarifvertrag bekommen und den Betriebsrat so haben, dass er die Interessen der Belegschaft vertritt und nicht die des Managements“, sagte Jan Otto, der Leiter des IG-Metall-Bezirks Berlin, Brandenburg und Sachsen, vor wenigen Tagen in Richtung des einzigen europäischen Produktionsstandorts von Tesla in Grünheide.
Der amerikanische Automobilkonzern hält dennoch an seinem Kurs gegen die Gewerkschaft fest. „Wir haben noch nie mit der IG Metall verhandelt und werden das auch in Zukunft nicht tun“, konterte Werkleiter André Thierig im Gespräch mit der F.A.Z. Selbst wenn die Gewerkschaft bei der Betriebsratswahl eine Stimmenmehrheit erreichen sollte, sei Tesla nicht gezwungen, in Verhandlungen über einen Tarifvertrag einzusteigen, stellte er klar.
„Tesla wird eines meiner drei Hauptthemen sein und nicht ohne Tarifvertrag bleiben“, bekräftigte Otto, der Anfang September an die Spitze des IG-Metall-Bezirks rückte. „Dass wir nicht mit Gewerkschaften zusammenarbeiten, ist eine Position, die der Konzern weltweit vertritt“, betonte Thierig, den Konzernchef Elon Musk vor fünf Jahren persönlich mit dem Aufbau der Fabrik in Grünheide betraute. Das Nichtverhältnis, das Musk zu Gewerkschaften pflegt und zur Konzernphilosophie erhoben hat, ist bekannt. Ein Erfolg bei der Betriebsratswahl hätte für die IG Metall umso größere Bedeutung.
Bei der ersten Betriebsratswahl im Werk im Frühling 2022, noch bevor die Produktion in Grünheide richtig startete, trat die Gewerkschaft noch mit keiner eigenen Liste an. Bei der außerhalb des vierjährigen Turnus angesetzten Wahl im Frühling 2024, die wegen des rasanten Beschäftigtenzuwachses in der Fabrik nötig wurde, erreichte die IG Metall auf Anhieb knapp 40 Prozent der Stimmen. Die Mehrheit entfiel auf Listen, die dem Management von Tesla näherstehen. Für die Anliegen der Gewerkschaft ist im Betriebsrat deshalb nur wenig Platz.
Ende des vergangenen Jahres stellte die IG Metall einen Antrag beim Arbeitsgericht Frankfurt/Oder, die Betriebsratsvorsitzende, Michaela Schmitz, wegen Verstößen gegen das Betriebsverfassungsgesetz aus dem Betriebsrat auszuschließen. Die nächste Verhandlung ist für Mai 2026 angesetzt. Die Gewerkschaft will einen früheren Termin erwirken. Nach der nächsten Betriebsratswahl will die IG Metall ohnehin den Vorsitz übernehmen. Ihr erklärtes Ziel, einen Tarifvertrag für Tesla, kann die Gewerkschaft allerdings nur erreichen, wenn sie auch reichlich Mitglieder unter den etwa 11.000 Beschäftigten im Werk gewinnt. „Wir müssen dafür sorgen, dass sich eine deutliche Mehrheit bei uns organisiert“, sagte IG-Metall-Bezirksleiter Otto.
Streitthema Verbrenner-Aus
Die Werkleitung in Grünheide hält mit Kritik an der Position der Gewerkschaft in der Debatte über das Verbrenner-Aus bis 2035 dagegen. „Die IG Metall hat gemeinsam mit dem VDA eine industriepolitische Position eingenommen, die mit den Zielen an unserem Standort nicht vereinbar ist“, sagte Thierig mit Verweis auf Gespräche von Vertretern der Automobilbranche mit den Spitzen von Bund und Ländern in der vergangenen Woche, an denen auch IG-Metall-Chefin Christiane Benner teilnahm. Die erste Vorsitzende der Gewerkschaft sprach sich danach für flexiblere Klimavorschriften für Autos in der Europäischen Union aus, forderte aber vor allem mehr Unterstützung für die Elektromobilität.
Man könne nicht gleichzeitig für den Hochlauf der Elektromobilität und für einen Aufschub des Verbrenner-Aus sein, sagt Thierig, der ebenfalls am Autogipfel teilnahm. „Wir brauchen niemanden, der diese Positionen vertritt und die Zukunft unseres Standorts mitgestaltet, denn das sind nicht unsere Themen“, sagt er mit Blick auf die Betriebsratswahl bei Tesla. Ähnliche Kritik hatte Thierig schon bei der jüngsten Betriebsversammlung in Grünheide an Benner und an der Gewerkschaft geübt. Das „Handelsblatt“ berichtete in der vergangenen Woche über seine Äußerungen an der internen Veranstaltung. „Ich darf als Geschäftsführung meine Meinung äußern und die Mitarbeiter aufklären“, sagt Thierig zu dem Vorwurf, er habe mit seiner Kritik Einfluss auf die Betriebsratswahlen genommen und gegen das Betriebsverfassungsgesetz verstoßen. „Dass wir hier keine Gewerkschaft wollen und auch keinen Tarifvertrag, daraus werden wir keinen Hehl machen“, sagt er.
IG Metall versucht Belegschaft auf ihre Seite zu ziehen
Die Übergänge zwischen Aufklärung und Wahlwerbung sind fließend. Die IG Metall behaupte, dass es bei Tesla betriebsbedingte Kündigungen im Werk geben werde und nur die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft die Beschäftigten davor schützen könne, sagt Thierig. „Dabei fahren wir die Produktion hoch, nicht herunter, wir brauchen jeden einzelnen Mitarbeiter“, sagt der Werkleiter. Die zuletzt schwachen Absatzzahlen von Tesla in Europa sorgen nach Einschätzung der IG Metall aber für Verunsicherung im Werk, in dem derzeit rund 5000 Wagen pro Woche vom Band laufen.
Die Gewerkschaft werbe in der Belegschaft damit, dass sie mit dem Management Gespräche über ein Weihnachtsgeld führe, sagt Thierig. „Aber es gibt keine Gespräche über ein Weihnachtsgeld, und von der Forderung haben wir aus der Zeitung erfahren“, sagt er. Die IG Metall ist mit der Resonanz auf die Kampagne für eine Sonderzahlung sehr zufrieden.
Wie gut ist der Verdienst?
Wenn Tesla ein tariflich organisiertes Unternehmen im Flächentarifvertrag wäre, würden Mitarbeiter im Vergleich mit dem Einstiegsgehalt bei Tesla 4500 Euro weniger verdienen, rechnet Thierig vor. „Es ist einfach falsch, zu sagen, dass wir uns um die Belegschaft nicht kümmern“, sagt er. Dagegen spreche auch, dass die Fluktuation in der Fabrik entgegen Aussagen der Gewerkschaft nur etwa zwei Prozent betrage, sagt Thierig. Das Rechenbeispiel von Tesla führe in die Irre, weil die gewählte Entgeltgruppe aus dem Tarifvertrag kaum Anwendung in der deutschen Automobilindustrie finde, heißt es aus Gewerkschaftskreisen. Nach Schätzungen der IG Metall liege das Niveau im Flächentarifvertrag für vergleichbare Tätigkeiten mindestens 20 Prozent über dem Tesla-Niveau.
Im Wahlkampf dürfte der IG Metall zugutekommen, dass das Werk in Grünheide nach der Aufbauphase im Rekordtempo mittlerweile in ruhigerem Fahrwasser angekommen ist. Das erleichtert die Erschließung. Seit der ersten Aktionswoche der IG Metall in der Fabrik vor zwei Jahren hat sich die Sichtbarkeit der Gewerkschaft erhöht. Das verbessert die Kampagnenfähigkeit. Der neue Chef der IG Metall für Berlin, Brandenburg und Sachsen, Jan Otto, ist innerhalb von fünf Jahren der dritte Leiter des schwer zu bändigenden Gewerkschaftsbezirks – hat sich schon als Leiter der Geschäftsstellen in Bautzen und in Berlin einen Ruf als gewiefter Stratege erarbeitet und das Werk in Grünheide gleich zur Chefsache gemacht. „Wir werden die Gangart bei Tesla verschärfen“, kündigt er an.
Tesla wehrt sich gegen die Aussicht auf einen stärker werdenden Einfluss der Gewerkschaft mit dem Verweis auf tariflich organisierte Automobilstandorte in Deutschland, an denen es seit der letzten Betriebsratswahl schlechter gelaufen ist als in Grünheide. „Ich habe früher selbst bei Ford gearbeitet, ein Tarifvertrag hat den Kollegen dort gar nichts geholfen“, sagt Thierig über einen der vielen Standorte, an dem zuletzt Stellen gestrichen wurden. Die Kritik des sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU), der die Höhe der von der Gewerkschaft verhandelten Tarifabschlüsse mit Blick auf die schwächelnden Automobilstandorte in Sachsen vor wenigen Tagen öffentlich infrage stellte und eine Rückkehr zu längeren Arbeitszeiten forderte, dürfte Tesla in die Karten spielen. Die Elektrowagenfabrik von Volkswagen in Zwickau steht besonders unter Druck.
IG-Metall-Bezirksleiter Jan Otto, der vor einigen Jahren zusammen mit Kretschmer dem damaligen Siemens-Chef Joe Kaeser im Ringen um den Siemens-Standort Görlitz die Stirn bot, ließ die Kritik des Ministerpräsidenten nicht stehen. „Die Krise der deutschen Autoindustrie hat nichts mit den Tarifverträgen zu tun“, sagte Otto. Das sieht man bei Tesla anders. „Ein Tarifvertrag käme der Zukunft unseres Standorts sicher nicht zugute“, sagte Thierig.