IfW: Ein Inflationsschock begünstigt politische Extreme

Im Jahr 1967 erlebte die Bundesrepublik nach Jahren des Wirtschaftswunders ihre erste Rezession. Um 0,3 Prozent sank das Bruttoinlandsprodukt, ebenso stark wie im vergangenen Jahr 2023. Die Krise fiel in eine Zeit des politischen Umbruchs. Es gab die erste große Koalition von Union und Sozialdemokraten, und es kamen die Studentenunruhen auf. Die Wirtschaftskrise trug dazu bei, dass der rechte politische Rand erstarkte.

Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) war zwischen 1966 und 1972 in sieben Landtagen vertreten. Ihr bestes Ergebnis erzielte sie im April 1968 in Baden-Württemberg mit 9,8 Prozent der Stimmen. Mit der sich erholenden Konjunktur und abermals hohen Wachstumsraten verschwand die NPD dann wieder aus dem Landtagen; in den Bundestag hatte sie es nach der Wahl 1969 nicht geschafft.

Die Episode in den späten Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts ist eines der prominentesten Beispiele der bundesdeutschen Geschichte dafür, dass eine Wirtschaftskrise extreme politische Positionen begünstigt. Neuere Beispiele zeigen das Erstarken der AfD in den vergangenen Jahren der hohen Inflation und der wirtschaftlichen Stagnation in Deutschland. Ökonomen haben den Zusammenhang zwischen der Wirtschaftslage und dem Wahlverhalten in diversen Studien aufgezeigt. Moritz Schularick, der Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), hat diese Forschung nun mit zwei Ko-Forschern um eine Variante bereichert.

Extreme Parteien gewinnen bei Inflationsschock

Nach der Studie trägt ein Inflationsschock dazu bei, dass die Parteien in der Mitte in Wahlen an Zustimmung verlieren und die Parteien an den extremen Rändern hinzugewinnen. Umgekehrt lässt eine positive Wachstumsüberraschung die Wähler von den extremen Parteien Abstand nehmen. Schularick und seine Mitstreiter Jonathan Federle vom IfW und Cathrin Mohr von der Universität Bonn stützen sich in der Studie auf 365 allgemeine Parlamentswahlen in 18 Ländern seit 1948. Die breite empirische Basis verleiht dem Ergebnis Gewicht.

Das Entscheidende an dieser Studie ist, dass der Überraschungseffekt die extremen Parteien begünstigt. Steigt die Inflationsrate schneller als von den Wählern erwartet, wenden sich mehr Menschen den extremen Gruppierungen zu. In Zahlen ausgedrückt: Steigt die Inflationsrate unerwartet um zehn Prozentpunkte, gewinnen extreme Parteien bei der nächsten allgemeinen Wahl in dem Land 1,7 Prozentpunkte Stimmenanteil dazu.

Dieses Szenario entspricht in etwa der Entwicklung im Euroraum, in dem die Inflationsrate vom Jahresende 2020 bis Oktober 2022 weitgehend unerwartet von null auf 10,6 Prozent stieg. Schularick und seine Ko-Autoren betonen mit der Studie die Bedeutung einer vorausschauenden Geldpolitik, die inflationäre Überraschungen weitgehend vermeidet, für die politische Stabilität in einer Gesellschaft.

Wie stark ein unerwarteter Inflationsschub den politischen Extremen hilft, hängt demnach von der Entwicklung der Reallöhne ab. Laufen Lohnerhöhungen der Inflationsentwicklung hinterher, sodass die realen Löhne der Arbeitnehmer sinken oder sich unterdurchschnittlich entwickeln, begünstigt das das Erstarken der politischen Ränder. Es begünstigt auch das Aufkommen von Demons­trationen und Streiks.

Analog gilt das für ein unerwartet schwaches wirtschaftliches Wachstum, das mit einer unterdurchschnittlichen Entwicklung der Reallöhne verbunden ist. Die negativen Folgen eines unerwarteten Inflationsschubs auf die realen Löhne sind nach der international fundierten Untersuchung sehr dauerhaft. Acht Jahre nach einem überraschenden Inflationsschock hätten die Reallöhne typischerweise noch nicht aufgeholt, heißt es.

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