Hunderte Tote im Libanon: Als sei es dasjenige Selbstverständlichste jener Welt

Es ist aller Ehren wert, dass der Österreicher Volker Türk als UN-Hochkommissar für Menschenrechte die Pager-Attacken im Libanon verurteilt hat. Solcherart Sprengfallen seien nicht mit dem Völkerrecht vereinbar. Türk könnte fortfahren, würde ihn nicht sein diplomatischer Status daran hindern: Wieder einmal zeigt sich, je länger ein bewaffneter Konflikt dauert, desto mehr droht er zu entarten. Je ruchloser man handelt, desto weniger fällt es ins Gewicht, noch ruchloser zu werden und ins Barbarische zu wechseln. Für die israelische Kriegsführung scheint es völlig irrelevant zu sein, wie viele Unbeteiligte, wie viele Kinder umkommen, wenn in Beirut ganze Wohnviertel getroffen werden.

Man erinnere sich des Irak zwischen 2003 und 2011. Auf den US-Angriffskrieg folgten die Besatzung, der Häuser- und Städtekampf, Zehntausende von zivilen Opfern, die dank Wikileaks dokumentierten Massaker. Das war keine Flucht ins Unausweichliche, sondern der freie Fall ins Bodenlose. Die damalige US-Regierung unter George W. Bush hatte Warnungen genauso in den Wind geschlagen wie Benjamin Netanjahu, als er im Herbst 2023 den messianischen Anspruch verkündete, die Hamas in Gaza vernichtend zu schlagen. Das Ergebnis ist das Verhängnis eines Zwei-Fronten-Krieges gegen die Hamas wie die Hisbollah.

Vermutlich flutet das Grauen nur deshalb nicht die regionalen Ufer, weil die US-Regierung dies noch verhindert, auch wenn es ihr gewiss nicht ungelegen kommt, dass mit der Hisbollah ein Partner aus der „Achse des Widerstands“ und damit der Iran getroffen wird. Israel erledigt im Libanon, was sich die Amerikaner ersparen. Weder mäßigt noch moderiert Washington – wie nach außen hin suggeriert –, sondern achtet darauf, dass Israel nicht überzieht. Außenminister Antony Blinken kann sich getrost bescheinigen lassen, ein grotesk erfolgloser Diplomat zu sein, der in Gaza keine Waffenruhe zustande bringt. Die Erfolge bei der Disziplinierung und Demütigung des Iran entschädigen dafür.

Welchen Schock und wie viel Entrüstung haben 2004 Irak-Bilder ausgelöst, auf denen man sah, wie nackte Gefangene von US-Personal an Hundeleinen durch das Gefängnis Abu Ghraib bei Bagdad gezerrt wurden. Können die eigenen Leute moralisch derart verwahrlost sein, fragten sich viele Amerikaner. Heute muten diese Szenen geradezu harmlos an, gemessen an dem, was in Gaza geschehen ist und weiter geschieht und nun den Libanon erfasst. Erst die Pager, dann die Raketen und immer das Blutbad als „Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln“, als sei es das Selbstverständlichste der Welt.

Israel verliert seit zwölf Monaten ein ums andere Mal den Krieg der Bilder und kann und will gerade deshalb nicht aufhören. Als ob es nicht mehr darauf ankäme. Als ob man nicht wüsste, dass für die Hamas wie die Hisbollah die eigenen Toten um vieles wertvoller sind als jeder getötete israelische Soldat. Das Vermächtnis der Märtyrer macht es den Überlebenden zur Pflicht, die Rächer von morgen zu sein.

Will Israel nie mehr zur Ruhe kommen inmitten all der Feindschaft, die es Generationen seiner Nachbarn einpflanzt? Fragt sich niemand, warum es der Hisbollah gelingt, Hunderttausende von Kämpfern zu rekrutieren, die zwar verwundbar, aber kaum zu schlagen sind? Wer mit stiller Genugtuung zusieht, wie die israelische Armee Gaza und den Libanon so schwer trifft, sollte nicht allen Ernstes glauben, damit sei den Juden in Israel geholfen.

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