Humanitäre Hilfe im Libanon: „Sie versuchen, Menschen zu retten, und verlieren dabei ihr Leben“

Seit Ende September geht Israel mit Luftangriffen gegen die Hisbollah-Miliz im Libanon vor, dabei kommt es immer wieder zu zahlreichen Tötungen von Zivilisten. Das Land steht vor einer humanitären Katastrophe, es fehlt an Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten. Nadeen Hilal berät das libanesische Gesundheitsministerium und kennt das Ausmaß der wachsenden Krise.

ZEIT ONLINE: Frau Hilal, seit knapp einem Monat greift Israels Luftwaffe täglich Ziele im Libanon an. Welche Folgen hat diese militärische Eskalation für das Gesundheitssystem? 

Nadeen Hilal: Die Lage hat sich in den vergangenen Wochen massiv verschärft. Aber die israelischen Angriffe auf den Libanon dauern schon seit Oktober 2023 an. Sie haben fatale Folgen für die Menschen im Land. In diesem Kriegsjahr wurden bisher 2.483 Menschen getötet und 11.628 Menschen verletzt, mehr als eine Million Menschen sind auf der Flucht. Die Krankenhäuser sind überfüllt und die Ärzte kommen mit der Arbeit kaum hinterher. Sie müssen sich nicht nur um die vielen akuten Notfälle kümmern, die jeden Tag eingeliefert werden, sondern auch um die vielen Patienten, die schon länger in Behandlung sind. Viele wurden bei Angriffen so stark verletzt, dass sie selbst Wochen später noch an den Folgen leiden und weiterführende Operationen brauchen. Auch die vielen Vertriebenen müssen versorgt werden. Die Krankenhäuser kommen an ihre Belastungsgrenze.   

ZEIT ONLINE: Welche Verletzungen sind am häufigsten? 

Hilal: Nach den Pager-Attacken im September wurden viele Menschen mit Verletzungen an den Augen und im Gesicht eingeliefert. Jetzt haben wir es überwiegend mit Brüchen zu tun. Viele Menschen werden indirekt durch Luftschläge verletzt, etwa, weil sie durch die Druckwelle den Halt verlieren und irgendwo herunterfallen. Die Menschen brauchen auch psychologische Unterstützung, um die traumatischen Erlebnisse zu verarbeiten. Es gibt in der libanesischen Gesellschaft inzwischen mehr Offenheit für das Thema mentale Gesundheit. Viele Patienten fragen jetzt ganz direkt nach Therapiemöglichkeiten oder psychologischem Beistand.  

ZEIT ONLINE: Die Angriffe konzentrierten sich am Anfang auf die Hisbollah-Gebiete im Süden und in der Bekaa-Ebene im Osten. Gibt es dort überhaupt noch eine Gesundheitsversorgung?  

Hilal: Die Lage in diesen Hotspots ist desolat. Viele medizinische Einrichtungen wurden durch Angriffe beschädigt und sind nicht mehr voll funktionsfähig oder mussten schließen. Sehr viele Menschen mussten dort ihre Häuser und Dörfer verlassen. Und die Menschen, die noch dort sind, brauchen dringend medizinische Hilfe. Wegen der anhaltenden Angriffe ist es kaum möglich, dorthin zu fahren und ihnen Medikamente zu bringen. Notfallpatienten werden nach Möglichkeit nach Beirut zu Spezialisten gebracht. Das Krankenhaus im Beiruter Stadtteil Geitawi zum Beispiel ist spezialisiert auf schwere Verbrennungen, die wir oft nach Luftangriffen sehen.   

ZEIT ONLINE: Mittlerweile werden überall im Libanon Ortschaften angegriffen. Die israelische Armee sagt, sie ziele bei ihren Angriffen auf Einrichtungen und Anführer der Hisbollah. Doch Beobachtern und Journalisten zufolge tötet oder verwundet sie zunehmend auch unbeteiligte Zivilisten. Wer koordiniert nach einem Luftschlag die Rettungskräfte? 

Hilal: Frauen und Kinder machen einen erheblichen Anteil der Verletzten aus, sie haben nichts mit der Hisbollah oder anderen bewaffneten Gruppen oder mit den Kämpfen zu tun. Wir haben ein Kommando- und Kontrollzentrum, das nach einem großen Luftangriff aktiv wird. Dort wird mit den Rettungskräften abgestimmt, wer welche Verwundeten in welches Krankenhaus bringt. Das ist wichtig, damit im Chaos nicht alle zum selben Krankenhaus gebracht werden.  

ZEIT ONLINE: Der Libanon steckt seit Jahren in einer tiefen Wirtschaftskrise, der Staat ist de facto pleite. Viele hoch qualifizierte Ärztinnen und Krankenpfleger haben das Land verlassen. Wie wirkt sich das jetzt aus? 

Hilal: Der Gesundheitssektor stand wegen der Finanzkrise lange unter Druck. Zuletzt hat er sich etwas erholt. Viele Ärzte sind nach Kriegsbeginn in den Libanon zurückgekehrt. Auch hat das Gesundheitsministerium gleich im vergangenen Oktober einen Notfallplan entwickelt, um auf die Eskalation zu reagieren. Wir haben das Personal in den Krankenhäusern aufgestockt und mit Trainings auf verschiedene Notfallsituationen vorbereitet. Wir haben Vorräte an Treibstoff und Medikamenten angelegt. Wir haben die Verantwortlichen der Notunterkünfte mit medizinischen Einrichtungen in der Nähe in Kontakt gebracht, damit auch die Vertriebenen behandelt werden können. Die Notunterkünfte sind oft überfüllt und hygienisch mangelhaft, viele Menschen leiden deshalb an Durchfall oder Hauterkrankungen. Etliche Freiwillige helfen in den Krankenhäusern und Praxen aus, Geburtshelferinnen, Ärzte, Krankenpfleger. Wegen dieser Maßnahmen haben wir die Lage im Moment noch einigermaßen im Griff.  

Seit Ende September geht Israel mit Luftangriffen gegen die Hisbollah-Miliz im Libanon vor, dabei kommt es immer wieder zu zahlreichen Tötungen von Zivilisten. Das Land steht vor einer humanitären Katastrophe, es fehlt an Lebensmitteln, Wasser und Medikamenten. Nadeen Hilal berät das libanesische Gesundheitsministerium und kennt das Ausmaß der wachsenden Krise.

ZEIT ONLINE: Frau Hilal, seit knapp einem Monat greift Israels Luftwaffe täglich Ziele im Libanon an. Welche Folgen hat diese militärische Eskalation für das Gesundheitssystem? 

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