Auf welche Weise genau die Mitarbeiter aufgeflogen sind, darüber hüllt sich Wells Fargo in Schweigen. Doch die US-Großbank aus San Francisco ist sicher: Sie ist arglistig getäuscht worden. Mehr als ein Dutzend Beschäftigte sollen so getan haben, als würden sie auf der Tastatur ihres Dienstrechners tippen – in Wirklichkeit aber gar nicht gearbeitet haben. Die Bank machte jedenfalls kurzen Prozess und schmiss die verdächtigten Angestellten raus. „Wells Fargo stellt an seine Mitarbeiter höchste Ansprüche und duldet kein unethisches Verhalten“, erklärte ein Sprecher der Bank gegenüber WELT AM SONNTAG.
Es sind Fälle wie diese, die in den USA eine neue Diskussion ums Homeoffice entfacht haben. Denn schon länger zweifeln Unternehmen an der Sinnhaftigkeit bei der Heimarbeit. Viele haben ihre Mitarbeiter zuletzt wieder ins Büro beordert – und ihre Homeoffice-Regeln eingeschränkt. Andere setzen wiederum auf zweifelhafte Methoden: Sie überwachen ihre Beschäftigten.
Ob die Mitarbeiter von Wells Fargo im Büro oder im Homeoffice ihre Arbeit nur vorgetäuscht haben sollen, wollte die Bank auf Nachfrage nicht kommentieren. Doch gerade daheim scheinen Tricksereien durchaus verbreitet zu sein, insbesondere unter den jüngeren Beschäftigten.
Mehr als ein Drittel (38 Prozent) der 28- bis 43-Jährigen hat schon mal bewusst die Computermaus bewegt, um in bestimmten Büroprogrammen als anwesend zu erscheinen, wie aus einer aktuellen Umfrage des US-Marktforschungsunternehmens The Harris Poll hervorgeht. Fast genauso viele sollen außerdem schon einmal automatisierte Nachrichten nach Feierabend verschickt haben, um Überstunden vorzugaukeln.
Während der Corona-Pandemie sind für solche Zwecke viele Helfer auf den Markt gekommen, darunter elektrische Mausbeweger, sogenannte Jiggler. Kleine Plastikschalen mit eingebautem Motor drehen die Computermaus – und täuschen so Beschäftigung vor. Die Geräte gibt es bereits für weniger als 20 Euro zu kaufen.
Auch Software hilft beim Vorgaukeln von Arbeit. Mit den richtigen Programmen lassen sich Eingaben auf der Tastatur kinderleicht automatisieren. Teilweise nehmen die Möglichkeiten absurde Züge an. Eine App namens Beulr etwa simuliert die Teilnahme an virtuellen Konferenzen. Statt sich zuzuschalten, spielen Nutzer ein vorab aufgezeichnetes Video von sich ab. In kürzester Zeit sollen mehr als 90.000 Menschen die Software heruntergeladen haben.
„Das stellt einen arbeitsvertraglichen Pflichtverstoß dar“
Arbeitnehmer müssten in solchen Fällen aber sowohl in den USA als auch in Deutschland mit Konsequenzen rechnen, weiß Philipp Byers, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der globalen Wirtschaftskanzlei Dentons. „Täuscht der Mitarbeiter eine Anwesenheit mit einem technischen Hilfsmittel wie dem Jiggler am heimischen Arbeitsplatz vor, stellt das einen Arbeitszeitbetrug und damit einen arbeitsvertraglichen Pflichtverstoß dar.“ Dem Beschäftigten drohe dann mindestens eine Abmahnung. Auch eine fristlose Kündigung sei nicht per se ausgeschlossen.
„Das gilt erst recht bei einem Arbeitszeitbetrug, der mithilfe eines Jigglers begangen wird“, sagt Byers. Hier täusche der Arbeitnehmer das Unternehmen noch trickreicher und damit verwerflicher. Schließlich werde so eine angebliche Anwesenheit im Homeoffice suggeriert, die der Arbeitgeber nicht ohne Weiteres kontrollieren könne.
Jedoch: Das Unternehmen müsse auch nachweisen können, dass der Mitarbeiter zu jenen Zeiten tatsächlich nicht gearbeitet hat. Und das dürfte zumindest nach deutschem Persönlichkeits- und Datenschutzrecht schwerfallen. „Die Datenschutzgrundverordnung DSGVO enthält wohl die strengsten datenschutzrechtlichen Bestimmungen weltweit, sodass der Überwachung von Mitarbeitern im Homeoffice enge rechtliche Grenzen gesetzt sind“, sagt Rechtsanwalt Byers.
In den USA ist das anders. Hier vertrauen nicht wenige Arbeitgeber auf Kontrollprogramme, die als „Bossware“ bezeichnet werden. Sie heißen Veriato oder CleverControl und protokollieren sämtliche Kennzahlen der Mitarbeiter – von bloßen Bildschirmzeiten bis hin zur Überwachung von E-Mails und Chats. „Im Vergleich zur DSGVO sind die datenschutzrechtlichen Gesetze in den USA oft wesentlich liberaler und ermöglichen den Unternehmen weitergehende Kontrollen, als das in Deutschland möglich ist“, sagt Rechtsanwalt Byers.
Zuletzt hatte es weltweit einige prominente Fälle mit Bossware gegeben. Zum Beispiel den einer australischen Versicherungsangestellten: Ihr Arbeitgeber, die Insurance Australia Group, hatte die Tastatur-Aktivität der langjährigen Mitarbeiterin für einige Wochen überwacht.
Mit dem Ergebnis war der Konzern alles andere als zufrieden. Im Testmonat Oktober soll die Australierin im Schnitt nur 48,6 Tastenanschläge pro Stunde ausgelöst haben, im Dezember rund 80 und im November sogar nur 34,6. Erwartet hatte der Arbeitgeber allerdings mehr als 500 Tastenanschläge pro Stunde – und schmiss die Versicherungsangestellte raus.
Manche Unternehmen in den USA lösen das Problem hingegen auf einfachere Weise: Sie holen ihre Mitarbeiter zurück ins Büro. Zuletzt haben zahlreiche Konzerne ihre Anwesenheitspflichten verschärft. Die Computerfirma Dell hat etwa eingefordert, dass ihre Beschäftigten mindestens 39 Tage im Quartal im Büro arbeiten sollen. Und auch Karrierechancen will der Konzern aus Texas offenbar von der Anwesenheitsquote abhängig machen.
„Um beruflich voranzukommen, einschließlich der Bewerbung auf neue Stellen im Unternehmen, muss ein Teammitglied als hybrider Mitarbeiter vor Ort eingestuft werden“, zitierten US-Medien aus einer internen Mitteilung. Daneben hat etwa auch US-Autobauer General Motors seine Richtlinien angepasst. Wer in einem Umkreis von 80 Kilometern zum Büro wohnt, muss mindestens drei Tage pro Woche persönlich erscheinen.
Die Unternehmen treibt die Aufforderung nach Büroarbeit jedoch ebenso in ein Dilemma. Denn wer in Stellenausschreibungen kein Homeoffice anbietet, findet schwieriger Arbeitskräfte. Laut einer Studie des US-amerikanischen Portals Tech.co halten es 44 Prozent der Unternehmen mit dauerhafter Homeoffice-Möglichkeit für einfach, neue Mitarbeiter einzustellen. Bei den Firmen, die auf verpflichtende Anwesenheit im Büro setzten, waren es gerade einmal 32 Prozent. Wie schwer es Wells Fargo fallen wird, die entlassenen Tastatur-Täuscher zu ersetzen, bleibt abzuwarten. Potenzielle Nachfolger sind jedenfalls gewarnt: Wer simuliert, fliegt raus.
Source: welt.de