Hochwasser: Teure Flut trifft gen klamme Kassen

Das Wasser kommt, die Bänder stehen still: Der Autohersteller Audi ließ seine Produktion im Stammwerk Ingolstadt am Montag ruhen. Sowohl die Früh- als auch die Spätschicht in der Produktion der Modelle A3 und Q2 fielen aus. Das Werksgelände sei zwar noch nicht überflutet, die Werkleitung reagiere aber „auf die sich weiter zuspitzende Hochwasserlage in der Region“. Auch im Stammwerk des Weltmarktführers für Motorsägen Stihl in Waiblingen konnten die Mitarbeiter der ersten Schicht nicht zur Arbeit kommen. Die Beispiele zeigen: Die verheerende Hochwasserlage in Bayern und Baden-Württemberg trifft auch etliche Unternehmen. Landwirte rechnen mit „massiven Schäden“, die Binnenschifffahrt musste teilweise eingestellt werden. Zu den betroffenen Regionen gehören Maxau bei Karlsruhe, Mannheim und Worms. Der Rhein ist ein wichtiger Transportweg für Getreide, Kohle, Benzin und Heizöl. Die Schäden an Gebäuden und Infrastruktur können noch nicht beziffert werden.

Sicher aber ist: Die Hochwasserkatastrophe wird teuer, vor allem für die öffentlichen Kassen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat deshalb am Montag finanzielle Hilfe vom Bund gefordert. Er befürchtet lange und enorme Schäden. Bayern werde selbstverständlich seinen Beitrag leisten, er hoffe aber auch auf Hilfe des Bundes. Einen Eindruck über die mögliche Höhe der Schäden gibt die Sturzflut im Ahrtal 2021. Damals war ein Sonderfonds zum Wiederaufbau mit 30 Milliarden Euro ausgestattet worden. Auch die Schäden durch die aktuelle Flutkatastrophe in Bayern und Baden-Württemberg können ein historisch hohes Ausmaß erreichen, zumal sich Hochwasserexperten an die Flutkatastrophe im Jahr 2002 erinnert fühlen.

Damals beliefen sich die Schäden in Deutschland auf 9,1 Milliarden Euro, die bislang zweitteuerste Hochwasserkatastrophe in Deutschland. Der Großteil der Schäden mit rund 6 Milliarden Euro entfiel damals auf Sachsen. In Bayern hielten sich die Schäden mit 197 Millionen Euro in Grenzen, was diesmal angesichts des Ausmaßes der Flut unwahrscheinlich ist. Die bislang teuerste Naturkatastrophe war die Sturzflut 2021, die in Teilen von Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen 188 Todesopfer erforderte. Nach Angaben der Munich Re beliefen sich die Gesamtschäden in Westeuropa auf 46 Milliarden Euro, davon 33 Milliarden Euro in Deutschland.

Genaue Summe wurde nicht genannt

Der Bund hält sich mit konkreten Zusagen nun aber aus gutem Grund zurück. „Die Naturgewalten sind groß“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz während seines Besuchs in der Flutregion. Solidarität sei jetzt nötig. Es solle auch weiter mit Mitteln des Bundes geholfen werden. Doch der SPD-Politiker vermied, eine Summe zu nennen. Denn Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Nachtragshaushalt 2021 musste Finanzminister Christian Lindner die Rücklagen in sämtlichen Nebenhaushalten streichen, die mit Hilfe von früheren Notlagenkrediten gebildet wurden – eben auch im Fonds Aufbauhilfe 2021.

Das Geld, das dieses Jahr dort gebraucht wird, muss der Bund über den normalen Haushalt einschießen. 2,7 Milliarden Euro musste der Haushaltsausschuss des Bundestag in der sogenannten Bereinigungssitzung gleichsam in letzter Minute dafür locker machen. Grundsätzliche ließe sich der Fonds Aufbauhilfe 2021 für die neuen Hochwasseropfer öffnen. Doch dazu brauchte es nicht nur eine gesetzliche Neuregelung, sondern auch zusätzliche Mittel. Die Weitung des alten Fonds ist mangels Masse genauso schwierig wie die Errichtung eines neuen. Gegen beides spricht, dass die Bundesregierung schon so noch nicht weiß, wie sie den Haushalt für das nächste Jahr aufstellen kann, damit er nicht mehr neue Schulden enthält, als das Grundgesetz zulässt.

Entsprechend eng ist der Raum für neue Hilfszusagen. Doch erfahrungsgemäß ist die Kombination aus Hochwasser und näherrückendem Wahltermin politisch sehr überzeugend. In den Sommern 2002 und 2005 versprach der damalige wahlkämpfende Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) schnelle Hilfen. Auch im Juni 2013 wurde ein Milliardenpaket zur Beseitigung von Hochwasserschäden geschnürt. Im August 2021 folgte der jüngste Aufbaufonds.

Klimafachleute warnen

Jenseits der akuten Nöte in Bayern und Baden-Württemberg warnen Klimafachleute davor, dass Extremwettereignisse wegen des globalen Temperaturanstiegs zunehmen werden. Eine Analyse, an der unter anderem das Institut Prognos beteiligt war, ermittelte allein im Zeitraum 2000 bis 2021 in Deutschland 619 Extremereignisse, zu denen unter anderem auch ungewöhnlich starke Stürme und ausgedehnte Hagelschauer zählen. Berücksichtigt man lediglich Ereignisse mit Schäden von über 100 Millionen Euro Schaden, ließen sich immer noch mindestens 38 Ereignissen identifizieren, heißt es in der Auswertung aus dem Jahr 2022.

Volkswirtschaftlich werden die Folgen des Klimawandels damit zu einem immer größeren Faktor. Selbst wenn Treibhausgas-Emissionen ab heute drastisch reduziert würden, müsste die Weltwirtschaft aufgrund des Klimawandels bis 2050 schon mit einem Einkommensverlust von 19 Prozent rechnen, heißt es etwa in einer kürzlich in der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlichten Studie. „Für Deutschland sind es etwa 11 Prozent“, sagte Ko-Autorin Leonie Wenz, Forscherin des Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, der F.A.Z. Diese Schäden seien ein Resultat unserer bisherigen Treibhausgasemissionen. „Wenn wir zumindest einige dieser Schäden vermeiden wollen, brauchen wir mehr Anpassung als bisher“, sagte Wenz.

Deutschland gehört verglichen mit Inselstaaten wie den Philippinen zwar nicht in die erste Gruppe von Staaten, die enorme Schäden hinnehmen muss, ist aber dennoch stark betroffen. In einer in diesem Jahr veröffentlichten SwissRe-Auswertung mit Schäden im Umfang von 0,14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt Deutschland auf Platz 14 von allen Ländern auf der Welt. In absoluten Zahlen seien die Schäden in den USA aktuell mit Abstand am höchsten: rund 97 Milliarden Dollar im Jahr.

Von Markus Frühauf, Henning Peitsmeier, Johannes Pennekamp, Manfred Schäfers und Benjamin Wagener

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