Hochgeschwindigkeitsverkehr: Italiener wollen welcher Deutschen Bahn Konkurrenz zeugen

Nach Jahrzehnten eines Quasimonopols der Deutschen Bahn zeichnet sich eine verstärkte Konkurrenz auf der Schiene in Deutschland ab. Geht es nach zwei italienischen Unternehmen, haben Zugpassagiere im Fernverkehr künftig die Wahl, ob sie mit dem weißen DB-ICE oder roten italienischen Zügen unterwegs sind. Die Staatsgesellschaft Ferrovie dello Stato Italiane (FS) mit ihrer Tochtergesellschaft Trenitalia sowie ihr privater Erzrivale Italo prüfen konkret den Eintritt in den deutschen Hochgeschwindigkeitsverkehr. Die Pläne sind weit fortgeschritten, vor allem beim Anbieter Italo, der seit dem vergangenen Jahr mit MSC den größten Reedereikonzern der Welt als führenden Aktionär im Rücken hat.

Nach Informationen der F.A.Z. will Italo einen höheren einstelligen Milliardenbetrag für Hochgeschwindigkeitszüge und die dazugehörigen Dienstleistungen investieren. Eine hundertprozentige Tochtergesellschaft in Deutschland sei schon gegründet, der Antrag für den Betrieb eines Eisenbahnverkehrsunternehmens in Deutschland wurde im Oktober gestellt. Italo denkt offenbar an stündliche oder zweistündliche Verbindungen innerhalb Deutschlands. Mehr als 1000 direkte Arbeitsplätze sollen dabei geschaffen werden – und noch einmal so viele indirekt.

Rahmenverträge als Voraussetzung

Doch das Unternehmen will Planungssicherheit für seine Investitionen – und zwar in Form langjähriger Verträge für den Eisenbahntrassenzugang. Diese sogenannten Rahmenverträge sollen 15 Jahre laufen, so der Wunsch aus Italien. Rund um diese Frage dürfte sich noch eine intensive politische Debatte entspinnen. Es existieren offenbar höchst unterschiedliche Interessen mit Blick auf die Bedingungen der Infrastrukturnutzung, weil damit auch festgelegt wird, wie sich der Markt künftig entwickelt. Letztlich müssen die Politik und die mit der Schienenregulierung beauftragte Bundesnetzagentur über die Bedingungen des Netzzugangs entscheiden.

Die Italo-Zentrale in Italien wollte zu den F.A.Z.-Informationen keine Stellung nehmen. Doch es ist klar, dass das Unternehmen in den Startlöchern steht. Das gilt auch für den staatlichen Anbieter Trenitalia aus der FS-Gruppe, die in Deutschland schon mit dem Regionalverkehrsanbieter Netinera und mit dem Logistikunternehmen TX Logistik unterwegs ist. „Wir überlegen, unser Geschäft in Deutschland um den renditeträchtigen Bereich der Schnellzüge zu erweitern“, sagte der Vorstandsvorsitzende Stefano Donnarumma dem „Handelsblatt“ vor einigen Tagen. 50 Hoch­geschwindigkeitszüge könnten eingesetzt werden, im Fall Italos ist von 30 bis 40 Zügen die Rede.

„Wir arbeiten sehr gut zusammen“

FS jedoch muss erst das eigene Verhältnis zur Deutschen Bahn klären. Denn für geplante grenzüberschreitende Strecken, etwa zwischen München, Mailand und Rom, bestehen Kooperationsvereinbarungen. „Wir arbeiten sehr gut zusammen“, sagte Donnarumma nun der F.A.Z. Die aktuellen Pläne bezeichnet er als „Voruntersuchungen zur Entwicklung des wichtigen deutschen Marktes“. Und er fügte hinzu: „Wir freuen uns sehr, dass die neue Vorstandsvorsitzende der DB die Italienerin Evelyn Palla ist.“

Das Interesse der Italiener und wohl auch weiterer europäischer Eisenbahnen korrespondiert mit der entscheidenden Frage, wie sich im deutschen Schienenfernverkehr mehr Wettbewerb herstellen lässt. Das war nicht zuletzt das Ziel der Bahnreform von 1994. In den drei Jahrzehnten seither haben Wettbewerber dem Marktführer Deutsche Bahn zwar im Regional- und im Güterverkehr viel Geschäft abspenstig gemacht. Dort verfügen DB-Konkurrenten inzwischen über Anteile von rund 40 beziehungsweise sogar 60 Prozent. Im Fernverkehr dagegen ist der Staatskonzern mit rund 95 Prozent Marktmacht weiterhin ungeschlagen – auch wenn die Flixbus-Schwestergesellschaft Flixtrain mit ihren grünen Zügen nach und nach hinzugewinnt.

Hohe Hürden für Newcomer auf der Schiene

Die Gründe für diese Entwicklung beklagen DB-Konkurrenten seit Längerem. Der Wettbewerberverband Mofair etwa führt an, dass in Deutschland im europäischen Vergleich sehr hohe Trassenpreise zu zahlen seien. Diese Trassenpreise sind eine Art Schienenmaut für alle Eisenbahnanbieter. Dazu komme eine unsichere Trassenzuweisung, die kapitalintensive Schienenfahrzeuge zu einem hohen Risiko mache. „Das notwendige Kapital kann kaum jemand aufbringen“, resümert Mofair.

Einige aber doch, wie sich jetzt an den deutschlandinteressierten Italienern zeigt. Tatsächlich ist der Wettbewerb im Fernverkehr zwischen Brenner und Sizilien viel weiter als hierzulande – gerade auf den Hochgeschwindigkeitsstrecken, seit Italo im Jahr 2012 an den Start ging. In den Anfangsjahren hatte der Angreifer große Schwierigkeiten, weil ihm FS viele Steine in den Weg legte, zumal sich ähnlich wie in Deutschland die nationale Gleisgesellschaft RFI ebenfalls unter dem FS-Konzerndach befindet. Nach und nach aber schuf die staatliche Aufsichtsbehörde Autorità di Regolazione dei Trasporti (ART) bessere Bedingungen, auch wenn es immer wieder Klagen gibt. Im März etwa leitete die Behörde ein Antitrust-Verfahren gegen RFI und FS ein, weil die französische Staatsgesellschaft SNCF sich behindert fühlte. Auch sie drängt auf den italienischen Markt.

Wettbewerb hat die Anbieter gestärkt

„Insgesamt hat der inneritalienische Wettbewerb Trenitalia und Italo stärker gemacht. Daher können die Unternehmen jetzt auch nach Deutschland expandieren“, erläutert Ugo Arrigo, Verkehrsfachmann an der Mailänder Universität Bocconi. Italo hat dem Platzhirsch FS-Trenitalia erhebliche Marktanteile abgerungen. Auf der lukrativen Rennstrecke zwischen Rom und Mailand bietet Italo wochentags derzeit 34 Züge an, FS-Trenitalia 43. In ganz Italien ist Italo mit 51 Hochgeschwindigkeitszügen unterwegs, Trenitalia mit 61. Beide Zugbetreiber profitieren dabei von Gleisgebühren, die im internationalen Vergleich niedrig sind. Einen Großteil der Investitionen der Netzgesellschaft RFI bezahlt der italienische Staat – oder Europa. Überweisungen an FS von 25 Milliarden Euro sind in diesem Rahmen für die Jahre 2021 bis 2026 vorgesehen.

Ein Bahnparadies ist Italien deswegen freilich auch nicht. 31 Prozent der Hochgeschwindigkeitszüge von Trenitalia (FS), den Frecciarossa, waren zwischen Juli und August verspätet. Das hat die Verbraucherorganisation Altroconsumo ermittelt. Bei Italo waren es 20 Prozent. Viele Baustellen sorgen für Verzögerungen. Außerdem hat Italien kein reines Gleisnetz nur für Hochgeschwindigkeitszüge, wie etwa Frankreich, sondern stellenweise gemischte Nutzung. „Die Reisenden werden nicht in dem Maße entschädigt, wie sie entschädigt werden sollten“, klagt Beba Minna von Altroconsumo.

Hoffnung auch für Bahnkunden

Teilweise sind die Bahngesellschaften zudem Opfer ihres eigenen Erfolges. Die Passagierzahlen haben stark zugenommen. Die finanzielle Situation ist angespannt. FS verzeichnete im ersten Halbjahr bei einem Umsatz von 8,2 Milliarden Euro einen Verlust von 89 Millionen Euro. Italo wies im vergangenen Jahr einen Umsatz von 911 Millionen Euro und einen um rund ein Drittel auf 108 Millionen Euro gesunkenen Nettogewinn aus.

Vom Engagement in Deutschland dürften sich beide Unternehmen vor allem eines erhoffen: mindestens so gute Geschäfte wie in der Heimat. Hoffen können aber auch die deutschen Bahnreisenden. Mit Italo und FS wird zwar nicht alles sofort viel besser im Bahnkrisenland Deutschland. Zumal jeder Zuganbieter mit dem Problem der veralteten Infrastruktur zu kämpfen hat. Doch Konkurrenz belebt das Geschäft. Das hat schon Flixtrain mit Niedrigpreisen und einem ausgeweiteten Zugangebot demonstriert. Sollten also künftig neben weißen und grünen Fernzügen in Deutschland auch rote unterwegs sein, gibt es zumindest einen großen Gewinner: den Kunden.

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