A
wie Alter
Der Nil gilt als längster Fluss der Welt. Allerdings ist das umstritten: Meyers Lexikon von 1926 hält den Nil nur für den „zweitlängsten Strom der Erde“. Tatsächlich war lange nicht klar, wie lang der Nil wirklich ist: Geht man vom → Blauen Nil aus, so ist der Amazonas wesentlich länger. Zählt man die Flusskilometer, die der Weiße Nil bis zum Mittelmeer zurücklegt, ist der Amazonas immer noch länger: Die Entwässerung des Viktoriasees in Uganda wird „Weißer Nil“ genannt. Ob der Nil tatsächlich der längste Fluss der Erde ist, kann nur beantworten, wer seine → Quelle findet. Gesichert ist hingegen seit kurzem, dass der Nil einer der ältesten Flüsse ist: Schon vor 30 Millionen Jahren entsprang er im Herzen Afrikas und mündete ins Mittelmeer. Wissenschaftler der Università Roma Tre untersuchten die Sedimente des → Deltas, dort steckten damals bereits Ablagerungen aus dem Hochland von Äthiopien, von dort, wo der Blaue Nil noch heute entspringt. Der Amazonas fließt erst seit neun Millionen Jahren in den Atlantik.
B
wie Blauer Nil
Der Blaue Nil ist zwar nicht der längere, aber der wasserreichere Arm der Zwillingsflüsse: Er entspringt im abessinischen Hochland auf gut 2.700 Meter Höhe und speist zunächst den Tana – Afrikas höchstgelegenen See. Je nach Jahreszeit stammen 70 bis 80 Prozent des Nilwassers, das das → Delta kurz hinter Kairo erreicht, aus dem Blauen Nil. Deshalb eignet sich der linke Nebenfluss auch sehr viel stärker für die → Wasserkraft. Allerdings ist der Blaue Nil launischer, sein Wasserstand schwankt saisonal stark, in Äthiopien durchfließt er bis zu 1.000 Meter tiefe Schluchten, sein Tisissat-Wasserfall ist der zweitgrößte Afrikas. Schifffahrt ist allenfalls im Sudan möglich, nach 1.783 Flusskilometern fließt der Blaue Nil in der sudanesischen Hauptstadt Khartum mit dem Weißen Nil zusammen, der dort im Mittel ein Viertel weniger Wasser trägt.
C
wie Chruschtschow
Wo hatte er nicht überall seine Hände im Spiel – der sowjetische Partei- und Regierungschef Nikita Sergejewitsch Chruschtschow spielte natürlich auch am Nil eine Rolle: In den 1950er Jahren wollte die ägyptische Regierung den alten Staudamm bei Assuan durch einen neuen ersetzen, um die → Wasserkraft besser zu nutzen, die USA und Großbritannien stellten finanzielle Unterstützung in Aussicht. Allerdings erkannte Ägypten 1956 die Volksrepublik China diplomatisch an, sehr zum Unwillen der USA, die ihre Finanzzusage zurückzogen. Damit war auch eine Finanzierung durch die Weltbank vom Tisch. Die Chance der Sowjetunion, auf dem afrikanischen Kontinent weiterhin Fuß zu fassen: Zeitweise arbeiteten 2.000 sowjetische Ingenieure auf der Baustelle, die Planungen übernahm das russische „Institut Hydroprojekt“, selbst ein Großteil der Baugeräte kam aus der UdSSR. Chruschtschow weihte den Damm 1964 persönlich ein, noch heute gibt es dort ein „Denkmal der ägyptisch-sowjetischen Freundschaft“.
D
wie Delta
Kurz bevor der Nil das Mittelmeer erreicht, spaltet er sich hinter Kairo in Seitenarme auf. Nimmt man historisch den rechten und den linken Flusslauf, ergibt sich ein gleichschenkliges Dreieck über die riesige Fläche von 24.000 Quadratkilometern – wie beim vierten Buchstaben des griechischen Alphabets, dem Delta (Δ). Der Geograf Herodot (490 – 430 v. Chr.) benutzte Δ 14 Mal, um die Eigenheiten der Nilmündung zu beschreiben. Wobei er auf diese Bezeichnung keine Urheberschaft erhob: Bereits die Ioner vor ihm nutzten dafür das Delta. Andere Gelehrte folgten dem: Der römische Historiker Arrianus (85 – 145 n. Chr.) verglich in seinem Werk über Alexander den Großen die Flussmündungen der Donau und des Indus mit denen des Nils – und bezeichnete sie ebenfalls als Deltas. So setzte sich der Begriff für weit verzweigte Flussmündungen durch.
H
wie Hochwasser
Normalerweise bieten die Ufer des Nils wenig ertragreichen Grund. Allerdings stellten die Bauern fest, dass der Schlamm, den das jährliche Hochwasser, hauptsächlich aus dem Quellgebiet des → Blauen Nils, in die Ebene spült, Ernten sehr wohl fruchtbar macht. Ihr Wirtschaftsjahr wurde vom Sirius-Stern bestimmt: Mit dessen Erscheinen am Firmament im Juli stieg der Fluss um bis zu acht Meter, nach Abfluss im November begann die Saat. Blieb das Hochwasser einmal aus, folgte eine schwere Hungersnot. Entsprechend verehrt und mit einem magischen Zauber versehen wurden der Nil und seine Hochwasser in der Mythologie der alten Ägypter. Und auch deshalb wehrte sich Ägypten nun vehement gegen die Pläne zu neuer → Wasserkraft am Blauen Nil: Eine zusätzliche Staumauer dort würde den Schlamm zurückhalten. Sogar eine Kriegsdrohung sprach das Land gegenüber Äthiopien aus, auch weil man fürchtet, dass es in Dürrezeiten Ägypten buchstäblich den Hahn zudrehen könnte.
L
wie Livingstone
Afrikaforscher galten in ihrer Zeit als Helden. So auch der Schotte David Livingstone, geboren 1813, der als erster Europäer die Viktoriafälle erreichte. Nicht nur das: Livingston entdeckte den Chambeshi, einen der Quellflüsse des Kongo, den Chilwa-See im Südosten Malawis, bereiste den Oberlauf des Sambesi. Die Ergebnisse dieser Expeditionen veröffentlichte er, beispielsweise 1857 in dem Buch Missionary Travels and Researches in South Africa, das 1859 auch auf Deutsch erschien. Das Werk inspirierte zahlreiche Expeditionen seiner Zeit und verstärkte das Interesse an Afrika. Warum also sollte Livingstone nicht auch die → Quelle des Nils finden? Ende 1872 machte er sich auf, allerdings schon stark geschwächt. Er vermutete die Quellen des Nils auf der Ostseite des Bangweulu-Sees. Allerdings hatte er kein Glück: Am 1. Mai 1873 starb er am Südufer des Bangweulu an Ruhr.
N
wie Nilbarsch
Lates niloticus, wie der Nilbarsch wissenschaftlich bezeichnet wird, kommt in allen bedeutenden Flusssystemen Afrikas vor: im Niger, im Kongo, im Senegal, im Nil und in seinem → Delta. Nicht vorgekommen ist er im Viktoriasee, dem Ursprung des „Weißen Nils“: Warum also nicht ein bisschen → Zauber? Warum nicht gottgleich den Nilbarsch im Viktoriasee ansiedeln? Die bis zu zwei Meter großen Raubtiere konnten in den 1970er Jahren genügend Nahrung finden, was Mitte der 1980er Jahre Investoren aus Europa und den USA anlockte. Es entstand eine beachtliche Hochseeflotte und „Viktoriabarsch“ als Marke bei Rewe, Real & Co. Allerdings war der See bald leer gefressen, jetzt fielen die großen Barsche über ihren kleineren Nachwuchs her. Wenn es allerdings keinen Nachwuchs und keinen Zauber gibt, dann bricht die Population irgendwann zusammen. Mehrere Recherchen legen nahe, dass es Investoren ohnehin nie nur um die Fischtheke gegangen ist: Auf ihrem Hinflug sollen die Transportflugzeuge Waffen nach Afrika liefern. Deshalb: Finger weg von Viktoriabarsch beim Fischkauf!
Q
wie Quelle
Wer zur Römerzeit etwas völlig Sinnloses unternahm, erntete den Spruch „Caput Nili quaerere“: Es ist aussichtslos, die Quellen des Nils zu suchen. Trotzdem machten sich renommierte Afrikaforscher wie Daniel → Livingstone auf den Weg. Der römische Geograf Claudius Ptolemäus (100 – 160 n. Chr.) mutmaßte: „Der Nil entströmt zwei großen Binnenseen in Äquatornähe.“ Was stimmt: Vor dem → Blauen Nil liegt der Tana-See, der Weiße Nil speist sich aus dem Viktoriasee. Aber wo kommt das Wasser der Seen her? Ein Zufluss des Viktoriasees ist der 800 Kilometer lange Kagera-Nil. Chinesische Forscher haben 2009 einen Zufluss dieses Zuflusses vermessen: den Luvironza, der in Burundi entspringt, in den Ruvuvu fließt und in den Kagera mündet. Mit dessen Länge summiert sich der Nil auf 7.088 Kilometer – und ist damit tatsächlich längster Fluss der Erde.
W
wie Wasserkraft
Am Nil gibt es die „gute Wasserkraft“ – beispielsweise eröffnet von Nikita → Chruschtschow –und die „böse Wasserkraft“, zum Beispiel den „Grand Ethiopian Renaissance Dam“ (GERD). Das größte Wasserkraftwerk des Kontinents, einer der zehn größten Staudämme der Welt. 2011 wurde mit den Arbeiten am → Blauen Nil begonnen, von Anfang an funkten der Sudan und Ägypten dazwischen. Denn gemäß den Verträgen besitzen sie das Recht an der Wassernutzung. Ausgehandelt hatte diese die britische Kolonialmacht, Äthiopien hat sie nie anerkannt. Seit September ist GERD nun vollständig in Betrieb, das größte Wasserkraftwerk Afrikas mit 5.000 Megawatt Leistung, so viel wie zehn Kohlekraftwerke. Ziel ist, die 120 Millionen Meschen in Äthiopien mit Strom zu versorgen. Das Problem: Es fehlen Leitungen, beispielsweise zur Hauptstadt Addis Abeba. Gelungen ist GERD immerhin die Überwindung der alten kolonialen Strukturen: Der Sudan und Ägypten müssen nun mit Äthiopien über die Wasserverteilung neu verhandeln, schon allein um das alljährliche → Hochwasser nicht zu gefährden.
Z
wie Zauber
Natürlich spielt das → Hochwasser eine große Rolle im Selbstverständnis der alten Ägypter: Atum, der Schöpfungs- und Himmelsgott, wurde von der Urflut erschaffen, wie man noch heute in den Inschriften der Pyramiden nachlesen kann. Hapi hingegen ist die göttliche Erscheinungsform der Nilflut, ein dickbäuchiger Mann mit herabhängenden weiblichen Brüsten. Auf dem Kopf trägt Hapi eine Papyrus- oder Lotospflanze, Attribute der Fruchtbarkeit. Und weil Hapis Launen für das Überleben immens wichtig waren, trachteten die Ägypter danach, den Gott versöhnlich zu stimmen. Während die Nilflut eng mit Mythologien und Zauber verbunden war, entstammte der Nil selbst dem Ur-Ozean. Und all sein Wasser floss nach seinem Anschwellen wieder dahin zurück. Platz für Verträge über Wassernutzung oder → Wasserkraft gab es damals, vor Jahrtausenden, nicht.