Hegel | Der Pöbel

„Es kommt hierin zum Vorschein, daß bei dem Übermaße des Reichtums die bürgerliche Gesellschaft nicht reich genug ist, d.h. an dem ihr eigentümlichen Vermögen nicht genug besitzt, dem Übermaße der Armut und der Erzeugung des Pöbels zu steuern.“[i]

Wenn die in Recht gesetzte Ordnung so eingerichtet ist, dass sie die Ausbeutung der einen durch die anderen ermöglicht, wie kann der aus dieser Ordnung erzeugte Pöbel Achtung vor dem Gesetz haben? Wenigstens diejenigen, denen auf Dauer die Ehre nicht zukommt, durch eigene Tätigkeit im Konkurrenzkampf (dem organisiertem bellum omnium contra omnes) zu bestehen, werden des Gefühls des schönen Rechts verlustig, fühlen sich an keine Pflicht gebunden und neigen zu Pöbeleien.

Ein Haufen einander fremder, vereinzelter Individuen, die einer organisierten, hochgerüsteten Polizei unorganisiert gegenüberstehen, ist dabei zunächst aller Macht beraubt. Er wird niemals zu einer Organisation kommen, sondern gedankenloser Haufen bleiben, es bloß gelegentlich zu Meutereien gegen die Ordnung bringen, die jedoch ohne große Wirkung sind.

Der Spießerbürger denkt sich zumeist, es geschieht dem Abschaum schon Recht, wenn seine Pöbeleien mit Knüppeln und Lügen zurückgeschlagen werden und der Pöbel wieder in seiner Ohnmacht versinkt, – denn es ist weder gut fürs Rückgrat noch fürs Gemüt immerzu den Rücken und die eigenen Gedanken zu beugen, da kommt es gerade recht, endlich Dampf ablassen zu können wider die Bagage, die durch bloße Existenz daran erinnert, dass das menschliche Rückgrat eine aufrechte Haltung ermöglicht.

Doch Pöbel kommt nun mal von ‚populus‘, das sind die Vielen, die Masse, und deshalb ist der Pöbel der ‚Gottseibeiuns!‘ der besitzenden Klasse, also der Wenigen, weshalb diese besser aufpassen sollten! – und sich erinnern, wie die Rotten zur Zeit der Bauernkriege den Umgang mit den Vögten und Pfaffen pflegten – was noch ungepflegter war als der jakobinische Umgang mit dem fetten Adel!

Denn der wirkliche Pöbel ist puer robustus, sed malitiosus und wenn aus der Leere der Pöbelexistenz mehr wird als richtungslose Erkenntnis und endlich der Entschluss der Massen wächst, die bürgerliche Gesellschaft für immer hinter sich zu lassen, dann sollte besser nicht vergessen sein, dass bei Gelegenheit die verpöbelte Masse ganz frech wird und aus ‚Niemals‘ ein ‚Heute noch!‘ werden kann.

[i] G.W.F. Hegel: „Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 245 (Hegel-Werke Bd.7, S. 389)

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