Hausärzte bekommen mehr Freiraum

Hausärzte in Deutschland sollen künftig nicht mehr wie bisher auf Budgetobergrenzen achten müssen. Sie sollen aber auch keinen finanziellen Anreiz mehr haben, chronisch kranke Patienten jedes Quartal in ihre Praxis zu bestellen. Dadurch will die Bundesregierung den Hausarztberuf attraktiver ma­chen, um drohenden Versorgungslücken vorzubeugen. Und für Versicherte soll es damit leichter werden, an Hausarzttermine ohne überlange Wartezeiten zu kommen. Dies und mehr verspricht sich Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) von seinem geplanten „Versorgungsstärkungsgesetz“. Das Bundeskabinett hat den Entwurf am Mittwoch beschlossen.

Ärzte- und Patientenvertreter bezweifeln allerdings, dass die erhofften Wirkungen eintreten. Und Krankenkassen erwarten einen beschleunigten Kostenanstieg zulasten der Zahler. Nach ihren Schätzungen führt allein die sogenannte Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung zu Mehrausgaben von 300 Millionen Euro für die gesetzliche Krankenversicherung. Eine befürchtete Ausweitung der Leistungsmenge sei dabei noch berück­sichtigt. Der Gesetzentwurf veran­schlagt einen „niedrigen dreistelligen Mil­li­onen­betrag“ und „keine unmittelbaren zusätzlichen Kosten für die deutschen öffentlichen Haushalte“, also die Steuerkassen.

Honorierung nach Menge und Leistung

Im Regelfall werden Ärzte in der ambulanten Versorgung nach Art und Menge der Leistungen honoriert, die sie individuell an ihren Patienten erbringen. Es gibt aber Obergrenzen für das Gesamthonorar je Quartal in Abhängigkeit von der Zahl der Patienten. Wird diese Grenze erreicht, kann das entweder daran liegen, dass die Praxis gerade sehr viele behandlungsintensive Fälle hatte, es kann aber auch mit mangelnder Kostendisziplin zu tun haben. Ärzte sehen in den Regeln eine Gängelung und ärgerliche Bürokratie. Für Kinderärzte war diese Begrenzung schon aufgehoben worden.

Die Vorstandsvorsitzende des Ersatzkassenverbandes VDEK, Ulrike Elsner, warnte, dass die neue, gelockerte Honorarregelung „vor allem die Attraktivität der ärztlichen Betätigung in Ballungsräumen“ steigern werde. „Ländliche Regionen, die eine Stärkung brauchen, profitieren weit weniger.“ Laut Kassenärztlicher Bundesvereinigung sind heute schon etwa 5000 Hausarztsitze vor allem in ländlichen Regionen unbesetzt. Der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, forderte, die Auswirkungen der Neuregelung „auf Kosten und Mengen genau zu beobachten“. Sie dürfe nicht der Einstieg in eine „Entbudgetierung“ weiterer Facharztgruppen werden, mit der Folge „sehr teurer Fehlanreize, die wir uns nicht leisten können“.

Versorgungspauschale für chronisch Kranke

Gesundheitsminister Lauterbach indes stellte nach dem Kabinettsbeschluss vor allem die Erwartung heraus, Hausärzten mehr Spielraum für medizinisch tatsächlich nötige Termine zu verschaffen. Heute gebe es in Deutschland jährlich mehr als eine Milliarde Arzt-Patienten-Kontakte, so viele wie sonst nirgendwo in Europa. Das sei aber kein Ausdruck von Qualität, sondern von einer „Deformation“ der medizinischen Versor­gung durch das bestehende System. Arztpraxen seien „überfüllt mit Patienten, die nicht dort sein müssten“. Und dagegen gehe die Bundesregierung nun an.

Im geplanten Gesetz soll dazu auch eine neue jährliche Versorgungspauschale beitragen, die Hausärzte für die Behandlung chronisch Kranker erhalten. Dies soll unter anderem bewirken, dass die Ärzte chronisch Kranke nicht allein aus Abrechnungsgründen jedes Quartal einbestellen. Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband zeigte sich dennoch recht enttäuscht von dem Gesetzentwurf, den die Regierung nach „schier endloser Diskussion“ auf den Weg bringe. Zwar sehe dieser „nach wie vor spürbare Verbesserungen für die Hausarztpraxen vor, der große Wurf ist das Gesetz nach den letzten Streichungen aber nicht mehr“, sagte Nicola Buhlinger-Göpfarth, Kovorsitzende des Verbands.

Tatsächlich ist auf dem Weg durchs Kabinett ein viel beachteter Punkt herausgefallen: Ursprünglich wollte Lauterbach vorschreiben, dass Versicherte von der Kasse 30 Euro Bonus im Jahr erhalten, falls sie sich auf das Konzept einer „hausarztzentrierten Versorgung“ einlassen. Fachärzte hätten sie nur mit Überweisung aufsuchen dürfen. Krankenkassen können so etwas freiwillig schon anbieten. Aller­dings gebe es dabei bisher „keine Hinweise auf Einsparungen und signifikante Effizienzsteigerungen“, berichtet der VDEK.

Der Hausärzteverband sieht aber Belege dafür, dass chronisch Kranke damit besser versorgt würden. Nun werde eine Chance vertan, die „Patientensteuerung im Gesundheitswesen schnell und zielgenau zu fördern“. Nach Kassenschätzungen hätte der Pflichtbonus jährliche Mehrausgaben von bis zu 270 Millionen Euro verursacht.

Ein weiterer Punkt des nun beschlossenen Entwurfs sind indes neue Regeln für Medizinische Versorgungszentren, in de­nen Mediziner unterschiedlicher Fachrichtungen gemeinsam Leistungen anbieten. Für Kommunen soll es leichter werden, solche Zentren zu gründen.

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