Harte Trennung: Wie sich Olaf Scholz und Christian Lindner auseinandergelebt nach sich ziehen

Es ist ein Rauschmiss mit Wumms, um es in der Sprache des Bundeskanzlers zu formulieren. Oder besser: Es ist ein Dreifach-Wumms. Am Ende eines Tages, an dem sich die Ereignisse überschlugen, entlässt Olaf Scholz seinen Finanzminister. Das Verhältnis zum FDP-Vorsitzenden Christian Lindner ist sichtbar so zerrüttet, dass der gemeinsame Weg nach knapp drei Jahren zu Ende ist.

Die Entwicklung hatte sich in den vergangenen Wochen und Monaten abgezeichnet, aber dann kam der Schluss doch abrupt. Dass Lindner in der Anfangszeit der Koalition Scholz zu seiner Hochzeit auf Sylt einlud und mit seinem Chef feierte, scheint weit entfernt zu sein. Da konnten die beiden noch gut miteinander, man hörte von Lindner kein schlechtes Wort über Scholz und von diesem kein schlechtes über Lindner. Überhaupt funktionierte die Arbeitsbeziehung zwischen SPD und FDP, anders als die zwischen den Liberalen und den Grünen – mit seinem Amtskollegen Robert Habeck kam Lindner von Anfang an kaum zurecht.

Das konnte Habeck nicht akzeptieren

Mit seinem Wendepapier hatte der FDP-Vorsitzende zuletzt massiven Druck auf seine Noch-Koalitionspartner ausgeübt: Schluss mit den Subventionen und Regulierungen im Dienste der Klimapolitik, den ganzen Klimafonds wollte Lindner abschaffen. Das große Ziel, das Land schon im Jahr 2045 klimaneutral zu machen, stellte er in Frage. Er warb dafür, es wie die anderen EU-Staaten etwas langsamer anzugehen und das Jahr 2050 als Zielmarke zu wählen.

Das war eine Provokation, das zielte in das Herz der Grünen. Dem erfahrenen Politiker muss klar gewesen sein, dass dies Wirtschaftsminister Robert Habeck niemals akzeptieren könnte. Den Genossen gab er auch eins mit. Das Bürgergeld stellte er in Frage, die Kosten der Unterkunft wollte er pauschalieren, das geplante Tariftreuegesetz wollte er kippen. Alles nicht akzeptabel für die Genossen. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken befand kühl, auf den 18 Seiten geben es keinen einzigen Punkt, der mit den Sozialdemokraten machbar sei.

Lindners Papier erinnerte viele an das Reformkonzept des früheren FDP-Wirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff, der Anfang der achtziger Jahre das Ende der sozialliberalen Koalition einläutete. Damals konnte die FDP nahtlos die Seiten wechseln. Helmut Kohl stand mit der Union längst bereit. Dieses Mal hat die FDP die Möglichkeit nicht, im Gegenteil: In den Umfragen kommt sie gut davon, wenn ihr ein Zustimmungswert von vier Prozent zugeschrieben wird. Doch viele in der Koalition empfanden das Lindner-Papier sofort als einen Scheidungsbrief.

Zwei Denkschulen

Das Bundesfinanzministerium widersprach diesem Eindruck. Man erinnerte an Habecks Wirtschaftskonzept und die runden Tische mit Industrievertretern und Gewerkschaftern im Kanzleramt nach dem Motto: Was die dürfen, können wir doch auch – Ideen, Anstöße geben. Der Grüne warb in seinem Papier ebenfalls für eine Stärkung der Investitionen. Aber anders als Lindner wollte er dafür nicht den Solidaritätszuschlag und die Körperschaftsteuer anpacken, sondern fünf Jahre eine Prämie an Investoren zahlen. Davon würden auch Unternehmen profitieren, die keine Gewinne machen.

Subventionen für Verlierer lehnte Lindner ab. Deswegen schaute er auch mit Misstrauen auf die Strategie des Kanzlers. Dass dessen angebotene Subventionen zuletzt mehrfach ins Leere liefen, die geförderten Unternehmen dankend absagten, bestärkte Lindner in seiner grundsätzlichen Skepsis.

In seinem eigenen Papier hat der Finanzminister die unterschiedlichen Ansätze von SPD und Grünen auf der einen Seite und seiner FDP sauber herausgearbeitet. Er spricht von zwei Denkschulen. Nach der ersten solle sich die Wirtschaft an den Vorstellungen und Zukunftsideen der Politik ausrichten. Dies sei oft durch den Wunsch begleitet, bestehende Strukturen und Industrien zu konservieren und vor dem internationalen Wettbewerb abzuschirmen, beispielsweise durch einen „Industriestrompreis“ oder Abwrackprämien zugunsten von E-Autos.

Diese Industriepolitik konzentriere sich traditionell auf größere Unternehmen meist auch mit den stärksten Interessenvertretungen (wie Intel oder Thyssenkrupp), vernachlässige hingegen den Mittelstand, das Handwerk und insbesondere neue und junge Unternehmen. Die umfassenden (Dauer-)Subventionen gefährdeten die Solidität der öffentlichen Finanzen. Die zweite Denkschule setzt nach seinen Worten „auf das deutsche Erfolgsrezept, durch eine Verbesserung der allgemeinen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen die Attraktivität, Wettbewerbsfähigkeit und Innovationskraft des Wirtschaftsstandorts umfassend und technologieoffen zu stärken“.

Diese beiden Denkschulen – anders gesagt SPD und Grüne hier, FDP dort – passten von Anfang an nicht zusammen. Dieser Gegensatz wurde lange mit Geld übertüncht. Aber als das Bundesverfassungsgericht vor einem Jahr die Operation „Corona-Kredite in Klimaprojekte“ stoppte, geriet die Koalition sichtlich ins Taumeln. Immer wieder kamen Scholz, Habeck und Lindner im Kanzleramt zusammen, um über den Haushalt 2025 zu brüten.

Lindner blockierte weitere Anläufe, die Schuldenregel zu umgehen – dem Vernehmen nach noch ganz zuletzt im Kanzleramt. Steuererhöhungen waren für ihn ebenso Tabu. So steigerte er die Frustration der Koalitionskollegen. Andersherum litt er selbst (schon lange) unter der Selbsttäuschung des Kanzlers und des Wirtschaftsministers, dass die Unternehmenswelt in Deutschland gesund sei, dass es keiner tiefen, strukturellen Reformen bedürfe. Das zweite Rezessionsjahr sollte ihm recht geben. Aber die Reformbereitschaft von SPD und Grünen wuchs nur begrenzt.

Das einzige, was zuletzt kräftig zulegte, war der Unmut in der FDP mit den Ampel-Partnern. Und der Ärger in den Reihen von SPD und Grünen an dem Taktieren des Oberliberalen. Kanzler Scholz formulierte es so, als er die Trennung offiziell verkündete: „Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.“ Lindner schoss umgehend zurück. Er warf Scholz vor, die Trennung gezielt herbeigeführt zu haben. „Sein genau vorbereitetes Statement vom heutigen Abend belegt, dass es Olaf Scholz längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung ging, sondern um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition.“

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