
Der Flugzeugbau boomt, und der Hafen stagniert. Die Finanzbranche erodiert, aber die Halbleiterindustrie wächst: Die Hansestadt tut viel – und vielleicht doch zu wenig, um den Strukturwandel zu gestalten. SPD, CDU und Grüne setzen im Wahlkampf beim Thema Innovationen unterschiedliche Akzente.
Drei Männer stehen vor einer Fensterfront im Dockland-Gebäude an der Elbe in Altona und bitten um Hilfe für die deutsche Wirtschaft. Teure Energie, kaputte Verkehrswege, blühende Bürokratie, zu wenig Forschung und Fachkräfte – Handelskammer-Präses Norbert Aust, Handwerkskammer-Präsident Hjalmar Stemmann und Philipp Murmann, Präsident des Dachverbandes UVNord, präsentieren an diesem Tag Ende Januar den Giftcocktail für Deutschland und für dessen größten Industrie- und Hafenstandort Hamburg: „Wir stehen wirklich am Scheideweg“, sagt Aust.
Verbitterung klingt bei Aust mit an, der selbst Unternehmer ist. Die Wirtschaft werde durch immer mehr Vorschriften wie etwa das Lieferkettengesetz unter „Generalverdacht“ gestellt, etwas Illegales zu tun: „Früher sind wir von der Unschuldsvermutung ausgegangen.“ Die Stimmung zwischen „der Wirtschaft“ und „der Politik“ vor den Wahlen zum Bundestag am 23. Februar und zur Hamburgischen Bürgerschaft am 2. März ist so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht. Die Hafenkulisse am Dockland soll das an diesem Tag unterstreichen. Deutschlands größter Seehafen verbindet Hamburg mit der Welt, er ist mit den Geschicken der Hansestadt seit Jahrhunderten verknüpft – und sein Gesamtumschlag stagniert seit mehr als 15 Jahren, während Konkurrenzhäfen wie Rotterdam weiterhin wachsen.
Die Stärke der Hamburger Wirtschaft liegt auch in ihrer Vielfalt: Luftfahrt, Schwerindustrie, Hafenumschlag und Logistik, Schifffahrt, Versandhandel, Medien, Finanzwirtschaft und Hochtechnologien bilden eine Bandbreite, die auch eine Art inneren Ausgleich schafft. Der Hafen fällt zurück, aber die Reederei Hapag-Lloyd, an der Hamburg beteiligt ist, erwirtschaftet Milliardengewinne. Die Metallindustrie leidet an hohen Energiekosten, aber der Flugzeugbau bei Airbus boomt. Die Finanzbranche vor Ort schrumpft, und die Fertigung von Halbleitern wächst. Konzerne, etablierte Mittelständler und junge, kleinere Firmen: Rund 180.000 Unternehmen vertritt die Handelskammer Hamburg. Doch Stärke und Wohlstand von Wirtschaft, Stadt und Bürgertum hemmen die Bereitschaft zur Erneuerung, nicht nur im Hafen. „Hamburg war einmal das Tor zur Welt“, postuliert das CDU-nahe, außerparlamentarische Bündnis „Hamburg vor zur Welt“. „Inzwischen scheint die Stadt so zufrieden, dass sie den Strukturwandel verpasst. Unter den europäischen Metropolregionen fällt Hamburg immer weiter zurück.“
Hamburg gibt sich gern selbstgewiss. Bei der Arbeitslosenquote landete Deutschlands zweitgrößte Stadt im Januar mit 8,4 Prozent zwar nur auf Rang 13 aller 16 deutschen Bundesländer, Spitzenreiter Bayern verzeichnete 4,2 Prozent. Beim Bruttoinlandsprodukt je Einwohner indes liegt Hamburg mit mehr als 79.000 Euro (2023) deutlich vorn, auch vor Bayern, das Rang 2 belegt. Hamburg erreicht diesen Wert jedoch nur, weil die hoch verdichtete Wirtschaft des Stadtstaates auch von täglich Hunderttausenden Pendlern aus den Nachbarländern Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern in Gang gehalten wird.
SPD, CDU und Grüne haben teils sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie Hamburgs Wirtschaft innovativer werden, wie sie Trends und Entwicklungen schneller aufnehmen kann. Nur diese drei Parteien haben eine realistische Chance, den nächsten Senat zu bilden. Die SPD regiert seit 2011 ununterbrochen, seit 2015 gemeinsam mit den Grünen. Beide Parteien wollen ihre Koalition fortsetzen, die Wahlumfragen sprechen dafür, dass es so kommt. Die CDU will wieder mitregieren, wie zuletzt zwischen 2001 und 2011, als sie drei Senate anführte.
Um Hamburgs Gründer- und Erfindergeist zu mobilisieren, will die CDU bei der Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsförderung ansetzen: „Die Hamburger Wirtschaftsbehörde muss neu strukturiert und dadurch deutlich gestärkt werden“, sagt Götz Wiese, wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. „In den vergangenen Jahren wurde die Wirtschaftsbehörde immer weiter geschwächt, dafür ist vor allem die SPD verantwortlich.“ Zuständig für weite Teile der Infrastruktur sei heutzutage die Verkehrsbehörde, für den Arbeitsmarkt die Sozialbehörde und für die Energiepolitik die Umweltbehörde.
Die Branchennetzwerke, die sogenannten „Cluster“, müssten stärker fokussiert und in ihrer Zahl begrenzt werden, sagt Wiese: „Wir müssen uns auf die Vernetzung und Förderung derjenigen Branchen konzentrieren, die in der Metropolregion bei den Hochtechnologien wettbewerbsfähig sind, auch im weltweiten Maßstab. Der nächste Senat muss die gesamte Clusterpolitik auf den Prüfstand stellen.“ Man brauche etwa in Hamburg kein neues „Food Cluster“ – die Nahrungsmittelwirtschaft müsse vielmehr dem bereits erfolgreichen Netzwerk „Life Science Nord“ zugeordnet werden. Auch eine Aufwertung der Metropolregion Hamburg sei ein „Kernanliegen“ der CDU: „Um das Konzept der Metropolregion wirklich zu stärken, bräuchten wir zum Beispiel länderübergreifende Gewerbegebiete, sofern die nahe den Landesgrenzen liegen.“ Es genüge nicht, dass die Metropolregion Hamburg „ein Büro in der Hamburger Wirtschaftsbehörde betreibt“, sagt Wiese: „Wir müssen hier neue Strukturen schaffen, das ist rechtlich möglich.“
Die Grünen leiteten das Wirtschaftsressort in der Hansestadt noch nie. Und sie sind keinem tradierten Wirtschaftsmilieu – wie etwa dem Hafen – historisch verbunden. Auch deshalb stellen sie gern ihre Ambitionen als Innovationspartei heraus. „Wir als Grüne fordern – ähnlich wie auch die Handelskammer – eine ,Innovationsmilliarde’ für die Weiterentwicklung der Hamburger Wirtschaft“, sagt Verkehrssenator Anjes Tjarks. „Die wollen wir in eine Zukunftsstiftung einbringen, um die Zusammenarbeit von Wirtschaft und Wissenschaft zu stärken.“ Beim Reizthema Hafen suchen die Grünen Deckung hinter dem größeren Koalitionspartner SPD. „Wir haben in der Wirtschaftspolitik gemeinsam mit der SPD in den vergangenen zehn Jahren viel erreicht“, sagt Tjarks. „Die SPD ist traditionell sehr stark auf den Hafen fokussiert und auf die Strukturen der Sozialpartner dort. Der Hafen muss modernisiert und auch weiter automatisiert werden.“
Daran arbeitet SPD-Landeschefin Melanie Leonhard seit Ende 2022 als Senatorin für Wirtschaft und Innovation. Zuvor war das Ressort seit 2010 von parteilosen Senatoren geführt worden. Im vergangenen Jahr setzte sie mit dem rot-grünen Senat durch, dass die weltgrößte Reederei MSC mit Sitz in Genf bis zu 49,9 Prozent des städtischen Hafenlogistikkonzerns HHLA übernimmt. Die Stadt senkte dafür ihre HHLA-Anteile von zuvor rund 70 auf 50,1 Prozent ab. Die übrigen Anteile erwarb MSC an der Börse. Der Widerstand gegen das Geschäft von CDU, AfD, Linken und FDP in der Bürgerschaft war massiv, unterstützt wurde der Protest von Hafenarbeitern und Gewerkschaften. Doch war zuvor auch der Handlungsdruck auf den Senat deutlich gestiegen, wegen der bereits jahrelangen Stagnation des Hafens.
Die SPD sieht den Hafen auch weiterhin als Zentrum für Wirtschaftswachstum und Innovation in Hamburg. „Seit die SPD wieder Verantwortung für das Wirtschaftsressort und für den Hafen trägt, arbeiten wir sehr konkret an der Erneuerung der Infrastruktur, die Milliarden Euro kosten wird“, sagt Leonhard. „Wir haben eine neue Struktur bei der HHLA durchgesetzt – mit Unterstützung der Grünen – und wollen die Erneuerung des Hafens weiter vorantreiben – mit modernen Terminals für den Containerumschlag wie auch für den Umschlag und die Erzeugung erneuerbarer Energien im Rahmen einer Wasserstoffwirtschaft.“
Die CDU hatte sich während ihrer bislang letzten Regierungszeit mit der Hafenwirtschaft überworfen. Ihr Konzept, dass die Hafenunternehmen den Ausbau der Infrastruktur selbst mitfinanzieren sollen, nahm die SPD nach 2011 wieder zurück. Der Hafen bleibt aber auch für die CDU im politischen Fokus. „Der Hamburger Hafen braucht deutlich mehr Wettbewerb – völlig unabhängig vom Einstieg der Reederei MSC bei der HHLA“, sagt Wiese. „Im Hafen müssen neue, im Zweifel hoch automatisierte Terminals für den Güterumschlag entstehen, etwa bei der Westerweiterung des Eurogate-Terminals in Waltershof oder auch auf den zu entwickelnden Flächen auf Steinwerder.“ Diese Anlagen müssten vor allem von Unternehmen errichtet und betrieben werden, „die bislang nicht mit Terminals in Hamburg aktiv sind“.
Die künftige Energieversorgung im Norden – auch in Verbindung mit dem Hafen – ist ein Schlüsselthema für alle drei Parteien. Nach der Stilllegung des Vattenfall-Kohlekraftwerks Moorburg im Jahr 2021 ist Hamburg noch abhängiger vom Strom aus norddeutschen Windparks. „Wir brauchen zwingend eine neue Architektur bei den Stromnetz-Entgelten in Deutschland. Die höchsten Netzentgelte fallen heutzutage in Norddeutschland an, wo der meiste Windstrom erzeugt wird“, sagt Leonhard. Das müsse – in Form von Netzzonen mit differenzierten Kosten – „dringend geändert werden. Und wir brauchen einen verlässlichen Industriestrompreis, gerade auch in Hamburg, Deutschlands größter Industriestadt.“ Deutliche Kritik übt Leonhard hierbei vor allem an den Grünen: „Bei der Energiepolitik haben wir in Hamburg – auch gemeinsam mit den Grünen – vieles hinbekommen. Es hätte noch mehr sein können, wenn Energiepolitik nicht auf Bundesebene hin und wieder quasi als Geisel auch für andere politische Themen genommen werden würde.“
Mehr Wettbewerb hält die CDU auch bei der Entwicklung der Energieversorgung für zwingend: „Die stärkere Ausrichtung des Hamburger Hafens auch als Energiehafen für Wasserstoff und für erneuerbare Energien leuchtet mir sehr ein“, sagt Wiese. „Aber das muss mit der Kraft von Unternehmen und unter marktwirtschaftlichen Bedingungen geleistet werden. Hamburg hinkt da erneut Rotterdam hinterher.“ Rotterdam ist Europas größter Seehafen.
Erhebliche Unterschiede gibt es zwischen den Parteien auch beim Thema Innovationsförderung. Die SPD lehnt die von Grünen und CDU – und der Handelskammer – geforderte „Innovationsmilliarde“ ab. Die Sozialdemokraten verweisen darauf, dass die Innovations- und Förderbank Hamburg bereits deutlich effektiver arbeitet, als dies eine Stiftung mit einem Kapital von einer Milliarde Euro könnte. Und sie sehen einen – teils erheblich steigenden – Finanzbedarf in allen Ressorts, von der Schuldentilgung bis zum Ausbau der Infrastruktur. „Wir wollen zum Beispiel den Bau von Schiffen in Hamburg deutlich stärken“, sagt Leonhard etwa zum Marineschiffbau bei Blohm+Voss: „Wir werden die Kaimauer am südlichen Werftrand von Blohm+Voss für mehrere Hundert Millionen Euro erneuern.“ Allein der Bau einer neuen Köhlbrandbrücke werde zudem rund fünf Milliarden Euro kosten – jeweils die Hälfte davon tragen der Bund und Hamburg.
Einig ist sich Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) mit Wissenschaftssenatorin und Zweiter Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) allerdings darin, dass Hamburg in den kommenden zehn bis 20 Jahren mehr als sechs Milliarden Euro in den Ausbau seiner Universitäten investieren muss. Das sei nur mithilfe des Bundes möglich.
Der CDU genügt das nicht. „Wir müssen die Hochschulen in Hamburg stärken und hier deutlich mehr investieren, gerade im Bereich der naturwissenschaftlichen und technischen Fächer“, sagt Wiese. „Gefördert werden müssen dabei aber auch Anreize, Unternehmen aus den Hochschulen auszugründen. Auch das wiederum macht zum Beispiel München sehr viel besser als Hamburg.“
Die Grünen sehen sich bei der Modernisierung des Landes ohnehin als Vorreiter – vor allem mit dem Universalthema Klimaschutz: „Wir haben es in der vergangenen Legislaturperiode geschafft, in Deutschland bei drei Themen Bürokratie in großem Umfang abzubauen – bei den erneuerbaren Energien Windkraft und Sonnenkraft und beim Deutschlandticket, also im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck und im Verkehrsministerium“, sagt Tjarks, der auch Bundesverkehrsminister Volker Wissing lobt, früher FDP, nun parteilos. Eine weitgehend „klimaneutrale“ Wirtschaft, sagt Tjarks, sei nur mit Innovationen zu erreichen, etwa bei der elektrischen und autonomen Mobilität in den Städten.
Das Thema Innovation hätten die Grünen gern ganz offiziell in ihrem Ressort: „Die Handelskammer wirbt dafür, den Innovationsteil der Wirtschaftsbehörde in die Wissenschaftsbehörde zu verlagern“, sagt Tjarks. „Das spricht sehr stark dafür, dass die Wirtschaft die Grünen als den Innovationstreiber in der Wirtschaftspolitik wahrnimmt.“
Olaf Preuß ist Wirtschaftsreporter von WELT und WELT AM SONNTAG für Hamburg und Norddeutschland. Er berichtet seit mehr drei Jahrzehnten über die regionale Wirtschaft und ihren Wandel.
Source: welt.de