Im Nationalen Wasserstoffrat der Bundesregierung ist viel Sachverstand aus Wissenschaft, Wirtschaft und Gesellschaft versammelt. Unter den 26 Mitgliedern sind etwa die Ökonomin Veronika Grimm, Chemie-Gewerkschaftschef Michael Vassiliadis sowie Spitzenmanager aus der Industrie und Energiewirtschaft. Umso mehr aufhorchen lässt eine alarmierende Stellungnahme des Wasserstoffrats, die kommende Woche veröffentlicht werden soll und die der F.A.S. vorliegt: „Wasserstoffhochlauf in Gefahr. Sofortmaßnahmen dringend erforderlich“, ist der Brandbrief der Experten überschrieben. Der vom grünen Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck geplante Aufbau einer klimafreundlichen Wasserstoffwirtschaft drohe zu scheitern. Gestartet wurde die „Nationale Wasserstoffstrategie“ vor vier Jahren von Habecks Amtsvorgänger Peter Altmaier (CDU).
„Ohne wirksame Maßnahmen drohen die in der Nationalen Wasserstoffstrategie verankerten Ziele verfehlt zu werden“, schreiben Habecks Berater. „Deutschland und der Standort laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren“, befürchten sie und warnen vor Verlagerung von Fabriken und Jobs ins Ausland.
Der Joker der Energiewende
Klimaschonender „grüner“ Wasserstoff gilt als unverzichtbar für den Klimaschutz. Er wird durch die Aufspaltung von Wasser mithilfe von erneuerbarem Strom erzeugt. Auch die unterirdische Speicherung von CO2, das bei der konventionellen Herstellung von „grauem“ Wasserstoff aus Erdgas entsteht, hilft beim Klimaschutz.
Der Wasserstoff ist eine Art Joker der Energiewende. Er soll Stahl- und Chemiewerke klimafreundlich machen, aber auch helfen, gesellschaftliche Mehrheiten für den Klimaschutz zu organisieren: Eigenheimbesitzer wollen nicht von der Gasheizung auf elektrische Wärmepumpen umsteigen? Kein Problem, Gasheizungen können in Zukunft auch mit Wasserstoff betrieben werden, so die Verheißung. Autofahrer wollen weiter ihren Benziner oder Diesel fahren? Macht nichts, an den Tankstellen wird man klimafreundliche E-Fuels tanken können, die aus Wasserstoff hergestellt werden.
Doch dafür braucht es Wasserstoff in rauen Mengen – und der Aufbau der dafür benötigten Erzeugungsanlagen stockt. Laut Wasserstoffstrategie soll es 2030 Anlagen mit einer Leistung von 10 Gigawatt geben. Zwar gebe es Ankündigungen und Pläne, aber bisher nur für magere 0,3 Gigawatt konkrete Investitionsentscheidungen, rechnen die Experten in ihrer Stellungnahme vor.
Katherina Reiche, die Vorsitzende des Wasserstoffrats und im Hauptberuf Managerin des Essener Energiekonzerns Eon, spricht von einem Novum. „Das ist ein wirklich dringlicher Aufruf, den wir erstmals in dieser Deutlichkeit adressieren. Weitere Verzögerungen beim Wasserstoffhochlauf können wir uns nicht mehr erlauben.“ Dabei wäre Deutschland eigentlich in einer guten Ausgangsposition, sagt Uwe Lauber, Ratsmitglied und Chef des Augsburger Maschinenbauers MAN Energy Solutions: „Wir haben die Wasserstoff-Kompetenz in Deutschland und die richtigen Produkte, aber wir nutzen diese Chance nicht, weil wir viel zu langsam sind.“
Förderung fehlt es an „ausreichenden Mitteln“
Als ein Haupthindernis bezeichnet der Wasserstoffrat in seiner Stellungnahme die mangelnde finanzielle Unterstützung des Staates. Grüner Wasserstoff ist derzeit bis zu sechsmal so teuer wie aus Erdgas hergestellter. Die potentiellen Abnehmer seien nicht bereit oder in der Lage, diesen Preisaufschlag zu bezahlen, schreiben die Fachleute. Zwar gebe es dafür politische Lösungsinstrumente, doch seien diese „nicht mit ausreichenden Mitteln hinterlegt“. Klimaschutz koste nun mal Geld, sagt MAN-Manager Lauber. Er spricht von einer „Anschubförderung“. Nur so könne die Wasserstoff-Erzeugung hochgefahren werden, und nur bei größeren Produktionsmengen ließen sich die Herstellungskosten senken.
Als wichtiges Förderinstrument gelten die vom Wirtschaftsminister Habeck initiierten sogenannten Klimaschutzverträge (carbon contracts for difference). Das sind staatliche Produktionskostenzuschüsse, die Unternehmen während einer mehrjährigen Anlaufphase erhalten sollen, wenn sie den bislang teureren klimaschonenden Wasserstoff einsetzen. Doch dafür droht der Ampelregierung angesichts der Sparzwänge im Bundeshaushalt das Geld zu fehlen.
„Stand heute ist völlig offen, wie es mit den Klimaschutzverträgen nächstes Jahr weitergeht“, kritisiert Reiche. „Projekte dieser Größenordnung brauchen aber langfristige Sicherheit. Da kann man sich nicht von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr hangeln.“ Auf der derzeitigen Basis sei kein Geschäftsplan für Wasserstoff möglich, sagt der MAN-Manager Lauber. „Das ist das Hauptproblem: Ohne einen für zehn oder mehr Jahre tragfähigen Businessplan gibt es keine Investition.“
Der Wasserstoffrat weist auch auf Finanzierungslücken an anderer Stelle hin. So seien die Europäische Wasserstoffbank und die von der Bundesregierung aufgelegte Wasserstoff-Importplattform H2Global unterfinanziert. „Die Ausstattung dieser Mechanismen ist weit davon entfernt, die notwendigen Mengeneffekte zu erzielen“, heißt es in der Stellungnahme. Der Rat kritisiert auch den von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) verhängten Förderstopp für Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland.
Die Experten halten zudem die Pläne für den staatlich geförderten Bau und Betrieb von neuen Gaskraftwerken mit Wasserstoff für unterdimensioniert. Diese seien „nicht ausreichend“, um in Zukunft eine sichere Stromversorgung in Deutschland zu gewährleisten, schreiben sie in ihrer Stellungnahme. Die von Habeck geplanten Wasserstoff-Kraftwerke sollen ab dem nächsten Jahrzehnt eingesetzt werden, wenn wetterbedingt vorübergehend zu wenig Wind- und Sonnenstrom erzeugt wird.