Stalins Schreckensherrschaft, Faschistisches Italien und ein feministischer Klassiker: Die Nominierten zum Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung
Grafik: der Freitag
Faschistisches Italien
Verena von Koskull übersetzt den gefeierten Roman „Die Eisenbahnen Mexikos“
Eine Literaturliebhaberin, ein Partisan, ein Priester und ein Verwaltungsangestellter – sie alle und weitere skurrile Charaktere säumen den Weg des im Piemont lebenden Unteroffiziers Cesco Magetti, der 1944 den Befehl erhält, für die Nazis einen Plan des mexikanischen Eisenbahnsystems zu zeichnen. Das Ziel: die Entdeckung einer Wunderwaffe. Sie soll zum Endsieg verhelfen. Humor und Abenteuerlust sowie ein tiefer Blick in die Geschichte des Faschismus ergeben die Symbiose des Romans Die Eisenbahnen Mexikos von Gian Marco Griffi. Der wichtigste italienische Roman seit Der Name der Rose, urteilte Denis Scheck. Die Übersetzung stammt von der 1970 geborenen Verena von Koskull. Nachdem sie Italienisch, Englisch und Kunstgeschichte in Berlin und Bologna studiert sowie ein Stipendium für die Übersetzerwerkstatt des Literarischen Colloquiums Berlin erhalten hatte, wirkte sie in deutschen und italienischen Verlagen. Jenseits ihrer Übertragungen aus dem Englischen wurde sie 2020 mit dem Deutsch-Italienischen Übersetzerpreis für ihre Übersetzung des Romans Die katholische Schule von Edoardo Albinati ausgezeichnet.
Russische Tyrannis
Olaf Kühl hat einen dichten Roman über die Stalin’sche Schreckensherrschaft übersetzt
Vom Aufstieg zum tiefen Fall: Konrad Widuch, einst ein begeisterter russischer Revolutionär, verliert unter Stalins Schreckensherrschaft alles, was ihm lieb und heilig war. Er kommt in den Gulag, kann nur mit Glück fliehen und landet schließlich, gemeinsam mit Ljubow und Gabaidze, bei dem noch traditionell lebenden Volk der Ljaudis. Doch selbst bei ihnen, diesen so sonderbaren wie mystischen Menschen, finden sie keine Ruhe. Denn bald schon landet ein russisches Flugzeug im hohen Norden und die Verfolgten müssen erneut das Weite suchen. Übersetzt wurde Szczepan Twardochs Roman über die russische Tyrannis, der Mahnung für die Gegenwart sein will, von Olaf Kühl. 1955 geboren, studierte er Slawistik, Osteuropäische Geschichte und Zeitgeschichte, bevor er als Osteuropareferent für den Regierenden Bürgermeister von Berlin tätig war. Für seine übersetzerischen Arbeiten aus dem Polnischen und Russischen erhielt er bereits den Karl-Dedecius-Preis und wurde mit dem „Brücke Berlin“-Preis ausgezeichnet. Ferner war sein zweiter Roman unter dem Titel Der wahre Sohn 2013 für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Eine Tour d’Horizon
Feministischer Klassiker neu aufgelegt: Lilian Peter übersetzt „Angst vorm Fliegen“
Es ist ein Klassiker der feministischen Literatur, ein Erotik-Bestseller, der noch heute, mehr als fünfzig Jahre nach der Erstveröffentlichung, kühn und avanciert anmutet: Angst vorm Fliegen von Erica Jong. Im Zentrum steht die jüdische Lyrikerin und Journalistin Isadora Wing, die der wohlhabenden Upper West Side von New York City entstammt. Als sie in eine Sinnkrise gerät, sucht sie Zerstreuung, Abenteuer und vor allem ihr verlorenes Selbst. Welch Glück, dass sie gerade in dieser Situation mit ihrem Mann zu einer Psychoanalytiker-Konferenz nach Wien reist, wo sie eine wilde Affäre mit einem seiner Kollegen beginnt. Doch damit nicht genug. Was folgt, ist eine Tour d’Horizon durch sexuelle Vergnügungen in ganz Europa. Ins Deutsche aus dem amerikanischen Englisch übertragen hat den Text Lilian Peter, die diverse Studien vor ihrer Übersetzerkarriere belegte. Mitunter war sie für Musikwissenschaften, später für Philosophie, Slawistik und Altgriechisch an den Universitäten Wien, Tübingen und Heidelberg eingeschrieben und belegte überdies ein Zweitstudium am Deutschen Literaturinstitut Leipzig.
Leidvolle Erinnerung
Thomas Weiler übersetzt ein Buch mit Stimmen von Wehrmachtsopfern in Belarus
Ales Adamowitsch, Janka Bryl und Uladsimir Kalesnik haben in Belarus Stimmen derer zusammengetragen, die den Zweiten Weltkrieg überlebt haben. Sie berichten von den grauenhaften Taten der Wehrmacht in den sogenannten Feuerdörfern, wirken als mahnende Stimmen in einer zunehmend durch rechten Nationalismus, autoritäre Regime und populistische Propaganda unter Druck geratenen Welt. Der Übersetzer des Buches, Thomas Weiler, wurde 1978 in Wolfach geboren und arbeitet mitunter als Herausgeber und Literaturvermittler. Nach Stationen an der Universität Leipzig, der Humboldt-Universität zu Berlin sowie an der Staatlichen Universität St. Petersburg schloss er sein Studium in Russisch und Polnisch 2007 mit Diplom ab. Ausgezeichnet wurden seine bisherigen Übertragungen ins Deutsche, um nur einige zu erwähnen, mit dem Paul-Celan-Preis, der August-Wilhelm-von-Schlegel-Gastprofessur für Poetik der Übersetzung, dem Förderpreis zum Straelener Übersetzerpreis sowie dem Deutschen Jugendliteraturpreis.
Die Erde umkreisen
Julia Wolf übersetzt einen Roman über Astronaut:innen, die ihre Heimat von oben sehen
Ein Roman im Zeichen des Anthropozäns, der sogenannten Menschenzeit: Samantha Harveys Umlaufbahnen, der 2024 bereits mit dem Booker Prize prämiert wurde. Darin erzählt sie von sechs Astronaut:innen, die sechzehnmal in vierundzwanzig Stunden die Erde umkreisen. Was sie trennt: ihre diversen nationalen, kulturellen und sozialen Hintergründe. Was sie eint: ihr Alltag aus Schlafen, Essen, Gesprächen. Auch wenn sich das Zeitempfinden im All anders darstellen mag, bleiben sie allesamt der Erde, auf die sie schauen, verhaftet. Die Heimat schimmert in der Ferne und ist zugleich durch menschliche Umweltzerstörung bedroht. Wie nah ist man dem eigenen Ursprung in den Weiten des Alls und was verrät der Blick auf einen Planeten, den man ursprünglich nur als Bewohner kennt? Die Übersetzerin des Romans ist Julia Wolf. Sie ist insbesondere als Autorin in Erscheinung getreten und wurde, allen voran für ihre Romane Walter Nowak bleibt liegen sowie Alte Mädchen, mit dem 3sat-Preis und dem Licher Literaturpreis ausgezeichnet. Zudem war sie für den Deutschen Buchpreis nominiert.
Die Eisenbahnen Mexikos Gian Marco Griffi Claassen Verlag 2024, 800 S., 36 €
Kälte Szczepan Twardoch Rowohlt 2024, 432 S., 26 €
Angst vorm Fliegen Erica Jong Ecco Verlag 2024, 528 S., 25 €
Förderpreis zum Straelener Übersetzerpreis sowie dem Deutschen Jugendliteraturpreis. Feuerdörfer. Wehrmachtsverbrechen in Belarus. Zeitzeugen berichten Ales Adamowitsch, Janka Bryl, Uladsimir Kalesnik Aufbau Verlag 2024, 587 S., 39 €
Umlaufbahnen Samantha Harvey dtv 2024, 224 S., 22 €