Ricarda Lang scheint bestens gelaunt. Kurz bevor der Parteitag der Grünen am Freitagnachmittag beginnt, steht sie mit einem Glas Sekt in der Hand an einem Stehtisch im Wiesbadener RheinMain CongressCenter. „Ein bisschen Wehmut ist schon dabei“, sagt die Nochparteivorsitzende der Grünen, die an diesem Wochenende verabschiedet werden soll. Ein bisschen erleichtert wirkt sie aber auch. Mit sich selbst und ihrer Entscheidung, den Parteivorsitz aufzugeben, scheint sie mittlerweile ziemlich im Reinen. Sie und ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour seien nach der Serie von verlorenen Wahlen in diesem Jahr Ende September einfach zu der Einsicht gekommen, dass sie derzeit keine Strategie hätten, wie sie die Partei wieder aus der Krise führen könnten, sagt sie. Und sie selbst habe irgendwann keine Lust mehr gehabt, darüber immer wieder hinwegzureden.
Nun müssen es andere richten. Die Grünen sind an diesem Wochenende für drei Tage in Wiesbaden zusammengekommen, um einen neuen Parteivorstand zu wählen und ihren Kanzlerkandidaten zu küren. Ursprünglich waren auf dem Parteitag auch harte Debatten über die Politik der Grünen in der Regierung befürchtet worden. Schließlich hatte die Partei in der Ampel immer wieder schwierige Zugeständnisse vor allem bei ihren Kernthemen Klimapolitik und Asylpolitik machen müssen. Und anders als im ersten Jahr der Ampelkoalition wird der Ärger darüber eben längst nicht mehr durch gleichbleibend hohe Umfragewerte ausgeglichen. Statt bei über 20 stehen die Grünen mittlerweile bei zehn bis elf Prozent.
Der Bruch der Ampel allerdings hat die Vorzeichen für das Treffen verändert. Das jedenfalls ist die Hoffnung der grünen Spitzenpolitiker. Wie wäre dieser Parteitag gelaufen, wenn die Regierung nicht gebrochen wäre, fragt Robert Habeck, als er am Freitagabend im Rahmen der Antragsdiskussion einen kurzen ersten Auftritt auf der Parteitagsbühne hat. „Möglicherweise hätten wir uns Debatten geliefert über rote Linien und Vorgaben für die Regierungspolitik.“ Das allerdings, betont Habeck, könne man sich nun sparen. Stattdessen, fordert er die Delegierten auf, müsse man die nächsten drei Tage nutzen, um über die nächsten drei Monate bis zur vorgezogenen Bundestagswahl zu reden. Entscheidend sei, diesem Land Orientierung zu geben und zu verstehen, was in der Welt los ist.
Habeck zeichnet dramatisches Bild der Lage
Autokratische Regime organisierten einen Angriff auf die freiheitlichen Systeme, sie nutzten dazu hybride Kriegsführung und die Medien, keiner wisse mehr, was Wahrheit sei und was Lüge, zeichnet Habeck ein dramatisches Bild der Lage. In dieser Situation müsse die Partei klar sein, sie müsse Antworten geben, die sonst keiner gebe: Nicht mehr Nationalismus, sondern der Einsatz für eine echte Demokratie in einer europäischen Demokratie, das sei die grüne Haltung. „Dieses Verständnis findet sich in der Halle“, beschwört Habeck die Delegierten.
Beistand bekommt Habeck an diesem Abend von seiner einstigen Konkurrentin Annalena Baerbock. Nachdem Baerbock sich vor drei Jahren in der Frage der Kanzlerkandidatur durchgesetzt hatte, galt das Verhältnis der beiden lange als belastet. Mittlerweile, so wird aus Parteikreisen berichtet, sollen die beiden sich allerdings ausgesöhnt haben. Bereits im Juli hatte Baerbock angekündigt, dass sie diesmal auf eine Kanzlerkandidatur verzichten werde. Stattdessen verspricht sie Habeck nun volle Unterstützung. Dass in dem Antrag, mit dem Habeck offiziell gekürt werden soll – wobei das Wort „Kanzlerkandidatur“ angesichts der aktuellen Umfragewerte allerdings doch lieber gemieden wird –, von einem Spitzenduo Habeck-Baerbock die Rede ist, widerspreche dem nicht, heißt es in der Partei. Baerbock wolle Habeck keinesfalls erneut Konkurrenz machen, vielmehr sei auch 2021 Habeck Teil des Spitzenduos gewesen.
Baerbock hat an diesem Abend den größeren Auftritt, weil sie den Dringlichkeitsantrag, mit dem die Parteiführung auf die aktuelle Situation reagiert und der in Grundrissen bereits das Wahlprogramm skizziert, einbringt. Sie nutzt die Gelegenheit – ähnlich wie Habeck –, um an die Verantwortung der Delegierten zu appellieren. Manche hätten vielleicht gedacht, nach dem Bruch der Ampel könne man sich nun im Wahlkampf vom schwierigen Regierungsalltag etwas ausruhen und wieder die grünen Positionen in Reinform vertreten, sagt sie. Dies sei aber nicht der Fall. „Wir haben noch lange nicht fertig, und jetzt strengen wir uns doppelt an, die Lösung zu finden, für die andere nicht die Kraft haben“, fordert sie stattdessen. Baerbock zeigt zwar Verständnis für alle in der Partei, die beispielsweise an den auch von ihr verhandelten Asylkompromissen gelitten haben. Doch sie wirbt eindringlich dafür, sich in diesem Zusammenhang auch künftig nicht von dem Wort Begrenzung „triggern“ zu lassen. Humanität und Ordnung gehörten zusammen.
Ungewohnte Unterstützung
Unterstützung bekommen die Grünen an diesem Abend aber auch von ungewohnter Seite. Parteichef Omid Nouripour hat sich als Laudator zu seinem Abschied Wolfgang Ischinger, den ehemaligen Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, eingeladen. Viele der Dinge, die heute nicht gut funktionierten, lassen sich darauf zurückführen, dass wir uns ständig wandeln müssen, sagt er. „Die einzige Partei, die während der letzten 30 Jahre nicht nur auf ihre eigene Veränderung gesetzt hat, sondern auch auf die Veränderung des Landes, wart ihr, waren die Grünen“, ruft er den Delegierten zu. Vor allem in der Frage von Krieg und Frieden hätten die Grünen einen weiteren Weg zurückgelegt als jede andere Partei. „Chapeau“, befindet Ischinger. Die Grünen seien die Partei gewesen, auf die man sich immer habe verlassen können, wenn es darum gegangen sei, ob die Ukraine weiter unterstützt werden solle.
Die Grünen wären nicht die Grünen, wenn deswegen in der anschließenden Debatte der große Frieden ausgebrochen wäre. Es gibt durchaus Delegierte, die sich angesichts des Ampelbruchs keineswegs von ihrer grundsätzlichen Kritik an der Regierungspolitik abbringen lassen wollen. „Menschen aus der Klimabewegung haben uns den Rücken zugewandt“, kritisiert etwa Sascha Krieger aus Pankow. „Das ist fatal, auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.“ Die Grünen seien immer stolz auf ihre wertebasierte Politik gewesen. Werte seien aber auch Grenzen. Anders als Habeck vorgeben wolle, gehe es auf diesem Parteitag sehr wohl darum, rote Linien für eine künftige Regierungsbeteiligung zu ziehen, etwa in der Asylpolitik.
Auch Sonja Völker aus dem KV Münster kritisiert Abschiebungen in Kriegsgebiete. Mit der gegenwärtigen Politik, wie sie auch von den Grünen betrieben werde, dürfe man sich nicht abfinden. „Wir dürfen uns nicht weiter von rechtem Populismus treiben lassen.“ Auch die Bundessprecherin der Grünen Jugend, Jette Nietzard, kritisiert die Ampelkompromisse und fordert ihre Partei auf, auch beim Thema Gerechtigkeit deutlich zu werden. Die Vermögensteuer und eine stärkere Belastung für Reiche hätten schließlich schon im vergangenen Wahlprogramm gestanden. „Seid mutig“, fordert sie ihre Partei auf.
Ricarda Lang scheint bestens gelaunt. Kurz bevor der Parteitag der Grünen am Freitagnachmittag beginnt, steht sie mit einem Glas Sekt in der Hand an einem Stehtisch im Wiesbadener RheinMain CongressCenter. „Ein bisschen Wehmut ist schon dabei“, sagt die Nochparteivorsitzende der Grünen, die an diesem Wochenende verabschiedet werden soll. Ein bisschen erleichtert wirkt sie aber auch. Mit sich selbst und ihrer Entscheidung, den Parteivorsitz aufzugeben, scheint sie mittlerweile ziemlich im Reinen. Sie und ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour seien nach der Serie von verlorenen Wahlen in diesem Jahr Ende September einfach zu der Einsicht gekommen, dass sie derzeit keine Strategie hätten, wie sie die Partei wieder aus der Krise führen könnten, sagt sie. Und sie selbst habe irgendwann keine Lust mehr gehabt, darüber immer wieder hinwegzureden.