Grüne im Zusammenhang Europawahl: Lächelnd macht Baerbock eine Anspielung hinaus Habeck – WELT

Das ist das Überraschende an diesem Freitagabend: Es gibt tatsächlich noch Kundgebungen der rot-grün-gelben Ampel-Parteien, bei denen nicht geschrien, gepfiffen und gepöbelt wird. Bei denen nicht „Kriegstreiber-Kriegstreiber“ und „Free Palestine“-Sprechchöre die Redner lauthals zu übertönen versuchen. Bei denen Polizei und Sicherheitscrews nahezu entspannt in die tiefstehende Sonne blinzeln können und höchstens ein paar grau in grau gekleidete Pseudo-Spaßmacher von „Die Partei“ für Ablenkung sorgen. Europa-Wahlkampfabschluss der Grünen im Kölner Stadtteil Ehrenfeld. Es ist ein wenig wie früher.

Dabei hat die Partei ziemlich groß aufgefahren auf dem Platz vor dem traditionsreichen Neptunbad. Annalena Baerbock ist da, die Außenministerin. Ricarda Lang und Omid Nouripour, die beiden Parteivorsitzenden. Terry Reintke, die allerdings auch nach langen Wahlkampfwochen nur mäßig bekannte Europa-Spitzenkandidatin.

Sowie Mona Neubaur, die grüne NRW-Wirtschaftsministerin. Sie sucht in ihrem Redebeitrag besonders auffällig den Schulterschluss mit Unternehmern und Unternehmen und wirbt für eine Politik, „die nicht über die Köpfe der Menschen hinweg verordnet, was gut ist“, sondern für eine Politik, „die einlädt, die Allianzen schmiedet, vielleicht auch mit denen, mit denen wir vor zehn Jahren noch keine Allianzen geschmiedet haben“.

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Deutliche, schwarz-grüne Töne, die man zuletzt häufiger mal vom Vizekanzler gehört hat. Aber Robert Habeck, der derzeit eigentlich keinen Anlass auslässt, um sich als künftigen Kanzlerkandidaten seiner Partei zu präsentieren, hat für die Abschlusskundgebung kurzfristig abgesagt. Er bebrütet stattdessen an diesem Abend in Berlin mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) den Bundeshaushalt 2025 aus, der für das Überleben der Ampel-Koalition absehbar noch zukunftsweisender sein dürfte als das Ergebnis der Europa-Wahl an diesem Sonntag.

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Eine unvorhergesehene Abwesenheit, die Habecks innerparteiliche Rivalin Baerbock tatsächlich zu einer kleinen Spitze verleitet. In den vergangenen Monaten hat sie die steten Ambitionen des Vizekanzlers fast stoisch ignoriert. Jetzt sagt sie: „Und Robert Habeck – das ist das Schöne, wenn man bei Bündnis 90 / Die Grünen im Team agiert – ja? – dann können zwei Minister gleichzeitig in Berlin und Nordrhein-Westfalen sein und sagen eigentlich genau das Gleiche.“

Und sie lächelt bei diesem eingeschobenen „Ja?“ so charmant und spitzbübisch ins Publikum, dass man ihr glatt wieder zutrauen könnte, dem „lieben Robert“ im kommenden Herbst, vielleicht doch noch einmal die Schau zu stehlen.

Staatstragendes in Grün

Soweit ist es aber nicht, kommt es vermutlich auch nicht. In Köln-Ehrenfeld steht jedenfalls vor allem die Außenministerin Baerbock auf dem Podium und sagt solche, sehr staatsfräuischen Sätze:

„Was für ein unglaubliches Glück, dass wir, unsere Generationen, unser Leben lang in Frieden und in Freiheit aufwachsen und leben durften. Das ist das größte Geschenk, was wir haben, das heißt: Europäische Union.“

„Daher tun wir, gerade in diesen Tagen, alles dafür, dass nur wenig Flugstunden von uns entfernt, die Menschen in der Ukraine eines Tages auch wieder in Frieden und Freiheit leben können. Das ist unsere Verantwortung.“

„Wir unterstützen die Ukraine solange sie uns braucht.“

„Es liegt ganz allein in den Händen von Wladimir Putin, den Frieden endlich auf den Weg zu bringen.“

„Es ist doch kein Widerspruch, deutlich zu machen: Wir tun alles dafür, dass Menschen in Israel in Frieden und in Sicherheit und Freiheit leben können. Und wir tun alles dafür, dass Menschen in Gaza, in den palästinensischen Gebieten eines Tages ihren eigenen Staat haben und auch in Freiheit und Sicherheit leben können.“

Große Worte, ambitionierte Wahlkampfrede, klar, aber vorerst noch kein versteckter Staatsstreich gegen den Vizekanzler.

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Für die Abteilung Attacke gegen den politischen Gegner ist an diesem warmen Juniabend dagegen vor allem die grüne Parteichefin zuständig. Ricarda Lang greift in ihrer emotionalen Ansprache persönlich vor allem Friedrich Merz an. Den CDU-Chef hält die Grünen-Spitze offenkundig weiter für ein Feindbild, das die eigene Klientel optimal motiviert.

Lang hält Merz in Köln vor, bei seiner Bundestagsrede zum Thema Sicherheit am vergangenen Donnerstag die Hochwasser-Katastrophe in Süddeutschland „nicht ein einziges Mal“ erwähnt zu haben. Ein etwas erbsenzählerischer Anwurf, aus dem die grüne Parteichefin zudem ableitet, dass die Union sich aufgemacht habe, auf europäischer Ebene den Klimaschutz zurückzunehmen. „Die klimapolitische Ignoranz von Friedrich Merz“, wettert Lang, sei „ein Schlag ins Gesicht der Menschen in den Hochwassergebieten“. Großer Beifall auf dem Kölner Neptunplatz.

Bei allem Engagement, dass die Grünen hier an den Tag legen, eins werden sie nicht verhindern können. Aus der Europawahl am Sonntag wird die Partei absehbar als größte Verliererin hervorgehen. Die 20,5 Prozent, die die Grünen vor fünf Jahren geholt haben, sind angesichts der bestenfalls mäßigen Vorwahl-Umfragen in diesem Jahr nicht zu holen. Ein Minus von fünf bis sieben Prozent erscheint realistisch. Verluste in dieser Größenordnung prognostizieren die Wahlforscher keiner anderen Partei.

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Entsprechend niedrig haben die Grünen ihr Wahlziel angesetzt. Man wolle am Sonntag nicht schlechter abschneiden als die AfD, hieß es auf einem kleinen Parteitag am vergangenen Wochenende. Nach am Donnerstag veröffentlichten Berechnungen der Forschungsgruppe Wahlen (Politbarometer) liegen die beiden Parteien in der Wählergunst derzeit mit 14 Prozent genau gleichauf. Auch deswegen dreht Ricarda Lang am Schluss ihrer Rede noch einmal richtig auf.

Bei der Europawahl, so die Grünen-Chefin, gehe es auch darum „ob wir oder die AfD vorne liegen“. „Grün oder Blau“. Das ist tatsächlich eine der spannenderen Fragen, die an diesem Wahlsonntag zu beantworten sind.

Source: welt.de

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