Wie hat es Katharina Dröge eben erst so treffend in ihrer fulminanten Rede im Bundestag gesagt? „Es war ein Plan, der vorbereitet war. Es war ein Drehbuch, das geschrieben war.“ Das schleuderte die Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen am Donnerstag Friedrich Merz in der Debatte um die von CDU, CSU und SPD beantragte Grundgesetzänderung zu Schuldenbremse und Sondervermögen entgegen: „Wir müssen erkennen und die Bürgerinnen und Bürger müssen erkennen, dass das Ihr Politikprinzip ist: Nicht immer ehrlich zu sein, nicht immer zu sagen, was Sie planen.“ Auch SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil bekam sein Fett weg.
Einen Tag später können die Bürgerinnen und Bürger erkennen: In diesem Drehbuch spielen die Grünen die ihnen zugedachte Rolle. Keine 24 Stunden nach der Bundestagsdebatte haben sie sich mit Union und SPD geeinigt.
Demnach sollen Militärausgaben, die ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts übersteigen, künftig von der Schuldenbremse ausgenommen werden. Es gilt dabei der „erweiterte Sicherheitsbegriff“, den die Grünen verlangt hatten. Gelder in unbegrenzter Höhe können somit nicht nur für die Bundeswehr, sondern auch für Geheimdienste, Cybersicherheit, Zivil- und Bevölkerungsschutz sowie zusätzliche militärische Unterstützung für die Ukraine fließen.
Ebenfalls vom Kernhaushalt ausgenommen bleiben 500 Milliarden Euro Sondervermögen für Infrastrukturinvestitionen. 100 Milliarden Euro davon sind nun für den Klima- und Transformationsfonds vorgesehen. Für all diese Ausgaben soll das Kriterium der „Zusätzlichkeit“ im Grundgesetz verankert werden, um zu verhindern, dass sich die designierte schwarz-rote Bundesregierung Ausgaben im Haushalt spart und diese in das Sondervermögen verschiebt. Wie belastbar und vor Gericht beklagbar dieses Kriterium ist, wird sich zeigen müssen.
Heidi Reichinnek zu den Grünen: „Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet“
Unveränderter Bestandteil des Pakets bleibt die Reform der Schuldenbremse für die Bundesländer. Sie sollen in Zukunft wie der Bund Kredite im Umfang von 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aufnehmen dürfen.
Durch die Einigung mit den Grünen gilt eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag als sicher. Das Bundesverfassungsgericht wies am Freitagnachmittag Eilanträge von Linkspartei und AfD gegen die Einberufung des alten Bundestages ab. Auch die BSW-Abgeordnete Sevim Dağdelen wollte verhindern, dass Schwarz-Rot-Grün die Verfassungsänderung noch im alten Bundestag beschließen will, obwohl der neue Bundestag längst gewählt ist. Das hatten auch die Grünen kritisiert. In deren Richtung sagte Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek am Donnerstag im Bundestag: „Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Schade eigentlich, ich hatte kurz Hoffnung auf ihr Rückgrat.“
Passiert die Grundgesetzänderung kommenden Dienstag den Bundestag, so wird sie Ende kommender Woche im Bundesrat zur Abstimmung stehen und auch dort eine Zwei-Drittel-Mehrheit brauchen. Diese entspricht mindestens 46 der insgesamt je nach Bevölkerungsgröße auf die Länder verteilten 69 Stimmen. Die Bundesländer, in denen ausschließlich Union, SPD oder Bündnis 90/Die Grünen an Mehrheitsregierungen beteiligt sind, bringen es auf 37 Stimmen: Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein. In Sachsen, wo eine schwarz-rote Minderheitsregierung amtiert, verlangt das Bündnis Sahra Wagenknecht, dass sich Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) eine Mehrheit im Parlament besorgt, bevor er mit den vier Stimmen des Freistaats dem Paket im Bundesrat zustimmt.
In Thüringen regiert das BSW mit CDU und SPD, der Koalition fehlt im Landtag eine Stimme für eine Mehrheit. „Im Bereich der Verteidigungsausgaben ist meine kritische Haltung und die meiner Partei gegen Hochrüstung bekannt“, sagte BSW-Landeschefin Katja Wolf dem Freitag. Die stellvertretende Ministerpräsidentin hätte sich die Zustimmung des Freistaats zu einem einzeln zur Abstimmung vorgelegten Sondervermögen Infrastruktur vorstellen können, wie dies die Grünen zwischenzeitlich angestrebt hatten. „Ich begrüße es selbstverständlich, wenn es dem Freistaat und vor allem den Kommunen ermöglicht wird, intensiver in die Infrastruktur, wie Schulen, Bäder, Straßen und vieles mehr zu investieren“, so Wolf. „Daher finden das Sondervermögen Infrastruktur wie auch die Veränderungen bei der Schuldenbremse meine ungeteilte Zustimmung.“
Nun allerdings werden alle Grundgesetzänderungen gemeinsam abgestimmt. Man werde sich wie vor jeder Bundesratssitzung üblich in der Landesregierung besprechen. „Es gibt in der Koalition in Thüringen Spielregeln, an die wir uns zu halten gedenken“, sagte Wolf. „Eine Spielregel ist, dass wir diese Fragen erst im Kabinett besprechen.“
Sahra Wagenknecht: Länder mit BSW-Regierungsbeteiligung werden im Bundesrat nicht zustimmen
Die BSW-Bundesvorsitzende Sahra Wagenknecht hatte am Donnerstag im Bundestag bekräftigt, dass die beiden Länder mit BSW-Regierungsbeteiligung dem Paket im Bundesrat nicht zustimmen werden. Ein Sprecher von Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) sagte dem Freitag: „Das Thüringer Kabinett hat sich bislang nicht mit einem möglichen Abstimmungsverhalten im Bundesrat zu den geplanten Grundgesetzänderungen befasst. Eine Entscheidung hierzu wird ausschließlich auf Grundlage konkreter Bundesratsvorlagen getroffen, die derzeit nicht vorliegen. Entsprechend wird das Abstimmungsverhalten Thüringens im Bundesrat allein im Kabinett und nicht durch Dritte beschlossen. Vor diesem Hintergrund besteht auch keine Grundlage für eine weitergehende Kommentierung mit Blick auf das Abstimmungsverhalten Thüringens im Bundesrat.“
Aus Brandenburg, wo das BSW mit der SPD regiert, ließ der stellvertretende Ministerpräsident und BSW-Landesvorsitzende Robert Crumbach wissen: „Deutschland will bei einem neuen Wettrüsten den Klassenstreber spielen und mit Kriegskrediten hunderte Milliarden für Aufrüstung verpulvern.“ Das BSW mache „bei diesem Irrsinn nicht mit“, sagte Crumbach dem Freitag. „Wenn die Aufrüstungspläne von CDU und SPD im Bundesrat zur Abstimmung gestellt werden, werden wir ganz sicher nicht zustimmen.“
In Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt (je vier Stimmen) ist die FDP an der Regierung beteiligt. Aus Magdeburg teilte ein Regierungssprecher mit: „Grundsätzlich werden Entscheidungen beziehunsgweise das Abstimmungsverhalten des Landes im Bundesrat durch die gesamte Landesregierung auf der Basis vorliegender Gesetzesinitiativen beschlossen. Derzeit liege noch keine vom Deutschen Bundestag beschlossene Gesetzesvorlage auf dem Tisch. Sobald dies der Fall ist, wird die Landesregierung diese auch bewerten.“
Die Landesvorsitzende der FDP Sachsen-Anhalt, Infrastrukturministerin Lydia Hüskens, hatte kurz nach Bekanntgabe der Pläne von Union und SPD für Schuldenbremsenreform und Sondervermögen gesagt: „Unmittelbar nach der Bundestagswahl spielt die CDU mit dem Gedanken, die Schuldenbremse im Schnellverfahren aufzuweichen und will die Wahlrechtsreform umdrehen. Damit ist klar: Die nächsten vier Jahre wird der Staat nicht kleiner, sondern er wird wieder wachsen.“
Hüskens, in Sachsen-Anhalt Ministerin für Infrastruktur und Digitales, weiter: „Gerade jetzt braucht es die FDP in den Landesparlamenten als Gegengewicht zu den Parteien des übermächtigen Staates.“ Der Chef der schwarz-rot-gelben Koalition, Sachsen-Anhalt Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), hatte zuletzt eindringlich dazu aufgefordert, sich auf die avisierten Grundgesetzänderungen zu einigen.