Großbritannien | Energienotstand: Liz Truss bevorzugt Subventionen statt Thatcher-Liberalismus

Ein Drei-Punkte-Plan gegen den Energienotstand beläuft sich rund 150 Milliarden Pfund. Unter anderem sollen britische Haushalte ab 2023 24 Monate lang höchstens 2.500 Pfund jährlich für die Energieversorgung zahlen

Boris Johnson war exaltiert, unterhaltsam und immer gut für einen Überraschungscoup. Seine Nachfolgerin ist anders, was wird ihre Regierung besser, was schlechter machen als die soeben abgelöste?

Zehn Tage Staatstrauer und politischer Stillstand in Großbritannien sind ein unerwartetes Geschenk für Liz Truss. Während die Briten die Queen betrauern und ihren neuen König in Augenschein nehmen, hat die Premierministerin Zeit, sich zu sortieren. Ihr Kabinett hat sie im Eiltempo besetzt und dabei durchaus kompetente Leute gefeuert, die bis dahin Boris Johnson überstanden hatten. Die Ausnahme heißt Ben Wallace, der Verteidigungsminister bleibt. Die Unterstützer ihres Rivalen Rishi Sunak jedoch sind entlassen. Unbedingte Loyalität zur neuen Regierungschefin schien das Kriterium der Berufung.

Notstand im Januar?

Bei ihren bisherigen Auftritten gebricht es Truss an Brillanz, kein Vergleich mit den rhetorischen Kaskaden ihres Vorgängers. Ihr wird das Talent nachgesagt, Überzeugungen rasch zu wechseln, an der dann bezogenen Meinung aber eisern festzuhalten. Als Außenministerin riskierte sie Krawall mit der EU und hat ein Gesetz, das die Nordirland-Einigung des Brexits infrage stellt, auf den Weg gebracht. Bleibt sie als Premierministerin dabei, wird ein ausufernder Handelskrieg mit der EU unausweichlich sein, wenn der EU-Austrittsdeal einmal mehr auf seine Belastbarkeit hin getestet wird. Truss scheint gewillt, das Nordirland-Protokoll auf ihre Weise auszulegen, ganz gleich, was die Kontinentaleuropäer und Nordiren davon halten.

Vor allem aber bedrängen Großbritannien rapide steigende Energiepreise – Energienotstand ist nicht auszuschließen. Nirgends in Europa ist Altbaubestand derart verbreitet, so schlecht isoliert und sanierungsbedürftig wie auf der Insel. In absehbarer Zeit, spätestens im Januar, könnten bis zu zwei Drittel der Haushalte in akute Zahlungsnot geraten, schätzen der Nationale Gesundheitsdienst und der Sozialdienst die Lage ein. Wenn Gas- und Stromrechnungen unbezahlbar werden, drohen dem Königreich Aufruhr und den Tories Sympathieverlust. Da Liz Truss nicht sonderlich beliebt ist – nach der jüngsten Yougov-Erhebung sind nur 22 Prozent der Befragten von ihr in 10 Downing Street angetan –, muss sie handeln und tut es.

Das Unterhaus bekam einen Drei-Punkte-Plan gegen den Energienotstand vorgelegt, dessen Kosten sich auf rund 150 Milliarden Pfund (173 Milliarden Euro) belaufen und der die Inflation um fünf Prozentpunkte drücken soll. Die maßgebliche Regelung wird sein, dass ein durchschnittlicher Haushalt für die nächsten 24 Monate nicht mehr als 2.500 Pfund pro Jahr für Energie zahlen muss. Unternehmen erhalten eine Preisgarantie für zunächst sechs Monate. Die Öl- und Gasvorkommen in der Nordsee sollen stärker ausgebeutet werden, zudem wird das Fracking-Verbot aus dem Jahr 2019 fallen. Alle Stromproduzenten, die kein Gas verbrennen, sollen einen Teil der erzielten Gewinne abgeben.

Ob es bei den 150 Milliarden Pfund bleibt, dürfte davon abhängen, wie stark die staatlich gesetzten Energiepreise von den Marktpreisen abweichen. „Unser Plan garantiert die Preise, begrenzt die Inflation und stärkt das Wirtschaftswachstum“, erklärt Truss. Bezahlen will sie das Paket mit neuen Staatsschulden. Allein diese Option ließ das Pfund in den Keller gehen. Seit die Zinsen wieder steigen, beflügelt das die staatlichen Kreditkosten. Jedenfalls hat sich der Zinssatz für zehnjährige Staatsanleihen bereits mehr als verdreifacht, sodass sich die Zinslast für den britischen Staatsetat noch in diesem Jahr mehr als verdoppeln wird – auf beachtliche 100 Milliarden Pfund. Und die Bank of England hat schon den nächsten Zinsschub angekündigt.

Zufallsgewinne abschöpfen

Eisern hält Truss an ihrem Credo fest, Steuern zu senken. Da hat sie reichlich Spielraum und wenig Skrupel, Versprechen ihres Vorgängers zu kassieren. Noch weigert sie sich strikt, die bereits bestehende Übergewinnsteuer auf Profite der Öl- und Gasproduzenten zu erhöhen. Das kann sich ändern, da selbst die Tory-Anhänger mehrheitlich dafür sind, „Windfall Profits“ (Zufallsgewinne) wegzusteuern. Steuersenkungen für die große Mehrheit, etwa bei der Umsatzsteuer auf Lebensmittel und Strom oder der Einkommensteuer, und mehr Steuern für die Krisengewinnler – diese Mischung kommt bei den Briten an. Vor allem wird Truss die von Johnson im Vorjahr beschlossenen Erhöhungen der Körperschaftssteuer und Sozialversicherungsbeiträge zurücknehmen. Beides soll die Bürger aller Klassen entlasten und das Wachstum ankurbeln. Dafür müssen dann eben einige Staatsausgaben gekürzt werden. Den Staat dauerhaft zurückzufahren, ist ein zentrales Gebot in der Truss-Agenda, trotz des jetzt aufgespannten Energie-Schutzschirms.

Was den Ukraine-Krieg angeht, wird sie Johnsons harten Kurs fortsetzen und die Ukraine weiterhin massiv unterstützen, koste es, was es wolle. Darauf wird Verlass sein.

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